Dennoch stets pünktlich in den Feierabend
Ein Schreibtisch sagt auch etwas über seinen Nutzer aus – oder? In dieser Hz-serie werden Arbeitsplätze von Führungskräften aus der Region vorgestellt. Heute: Mathias Bretzger von der ESC Gmbh in Nattheim.von
Heute lässt Mathias Bretzger von der ESC Gmbh in Nattheim auf seinen Schreibtisch blicken.
Manchmal macht das Leben unerwartete Kehrtwendungen, die sich im Rückblick als Glück erweisen. Mathias Bretzgers beruflicher Werdegang ist ein gutes Beispiel dafür. Im Jahr 2000, als das Internet noch ein geheimnisvolles Buch mit sieben Siegeln war, machte er an der BA Heidenheim im nigelnagelneuen Studiengang E-commerce seinen Abschluss. Mit dem Diplom-betriebswirt in der Tasche und fundiertem Wissen über Marketing trat er schließlich bei Röhm in Sontheim eine Festanstellung an. Was für eine spannende und zugleich mühsame Zeit! „Heute gibt es alles, von Google über Ebay bis hin zu Amazon. Damals gab es nichts. Ich fing also ganz von vorne an, und zwar mit einer Firmenhomepage“, erinnert sich der 44-Jährige an seinen Einstieg ins Berufsleben.
Ein paar Jahre später stellte der Zufall erstmals die Weichen für die Gründung der ESC Gmbh. Bei einer Feier im Vereinsheim der Heidenheimer Schützen waren Mathias Bretzgers damaligem Chef Pokale aufgefallen: „Er fragte, ob das meine Pokale sind. Ich sagte Ja. Er sagte, gut, dann bist du ab jetzt auch für die Waffen zuständig.“Klassische Schreckschusswaffen waren ebenso im Sortiment wie Luftpistolen und Luftgewehre. Schnell arbeitete sich der Marketingleiter in die Materie ein. Was will der Markt? Was kann Röhm leisten, wofür braucht es Kooperationspartner? Die nächsten Jahre
Stolz auf den FCH Obwohl der 44-Jährige kein eingefleischter Fußballfan ist, hängt ein Trikot im Büro: „Dass der FCH in der 2. Liga spielt, darauf bin ich als Heidenheimer und ehemaliger Hsb-spieler stolz.“
Heute gibt es alles, damals gab es nichts.
brachten eine Verdoppelung des Umsatzes. Doch dann kam das Jahr 2008 und das Sontheimer Unternehmen wurde von der Finanzkrise gebeutelt. Mathias Bretzger: „Wir haben ein Dreivierteljahr an einem Managementbuy-out gearbeitet. Doch nur wenige Tage vor Weihnachten wurde mir mitgeteilt, dass die Waffensparte an den Hauptkonkurrenten Umarex geht. Das war der Cut, der Startschuss für die Selbstständigkeit.“Und Zufall Nummer zwei.
Nach Rücksprache mit der österreichischen Firma ISSC, für die Röhm Kleinkaliberwaffen konstruiert und entwickelt hatte und mit der damals noch ein Projekt lief, übernahmen Mathias Bretzger und der ISSC-CHEF das Segment KK samt laufendem Auftrag und den drei daran beteiligten Mitarbeitern: „Dann haben wir vier Jahre dort weitergemacht, wo Röhm aufgehört hatte. Mit all den Fixkosten war es eine harte Anfangszeit, wir hangelten uns von Monat zu Monat. Doch unser Businessplan funktionierte.“Ein kleiner Stand auf der Nürnberger Waffenmesse IWA erwies sich als gewinnbringender Türöffner für künftige Handelsgeschäfte. Das Team bot ausgewählten Firmen aus aller Welt an, sich um die jeweilige Zulassung der Produkte für den deutschen Markt zu kümmern. Im Gegenzug würde es die exklusiven Vertriebsrechte für deren Sortiment erhalten.
Vom Geheimtipp zum Bestseller
Auf diesem Weg entstand Kontakt zu einer Firma in der Türkei. Die ESC Gmbh hatte deren Schreckschusswaffen für mehr als gut befunden und nach dem Regeln der Formalien als Erstauftrag 100 Stück bestellt. Bis dahin war der Großhandel die Zielgruppe. Doch der winkte ebenso ab wie der Einzelhandel. Waffen aus der Türkei? Ne, lieber nicht. „Wir richteten also einen Internetshop für Endkunden ein. Ich hatte das ja mal studiert“, so Bretzger. Tatsächlich mauserte sich „dieses
Zoraki-zeug, das niemand haben wollte“, innerhalb kurzer Zeit vom Geheimtipp zum Bestseller. Die Geschäftsräume in Ulm platzten aus allen Nähten, zumal mittlerweile auch ein großer Us-konzern und einer der ältesten Munitionshersteller in Deutschland vertreten wurden.
Zufällig ist zu dieser Zeit in Nattheim ein geräumiges Bürogebäude mit viel Lagerfläche frei geworden. Der kurze Weg zur Autobahn und die Möglichkeit, hier nicht nur Verkaufsräume einzurichten, sondern auch eine eigene Beschussanlage, machten die Entscheidung leicht. Mit dem Umzug im Jahr 2014 verbunden war eine strategische Neuausrichtung des Unternehmens. Die Entwicklung wurde abgetrennt und bei ISSC Österreich angesiedelt. Bretzger übernahm im Gegenzug die Mehrheitsanteile an der ESC und führt seither das Unternehmen eigenverantwortlich.
„Anfangs saß ich zusammen mit den Kollegen im Großraumbüro. Irgendwann hieß es: ‚Ach, hier bei uns ist es schon eng, geh du doch hoch.‘ Also steht mein Schreibtisch nun im ersten Stock. Aber ich bin trotzdem die meiste Zeit unten bei den anderen“, sagt der Familienvater.
Seine Arbeitstage folgen dem Standardmuster 9 to 5. Dass dann mit wenigen Ausnahmen der Hammer fällt, sei Grundvoraussetzung für die Selbstständigkeit und mit der Ehefrau so abgesprochen: „Die Arbeit sollte einen gewissen Umfang nicht sprengen. Meine Familie ist mir wichtiger als das Geschäft. Kinder werden so schnell groß. Ich will bis dahin viel mit ihnen erleben.“Zeit nimmt er sich nach Feierabend auch für Spaziergänge mit Hündin Kia, für sportliche Aktivitäten wie Krav Maga und Treffen mit guten Freunden. Eine große Leidenschaft hat er für die USA. „Ansonsten interessiere ich mich fürs Internet als Gesamtes. Ich bin ein typischer Surfer, der sich abends im Bett über Neuigkeiten informiert. Das reicht von Politik über E-mobilität bis hin zu künstlicher Intelligenz. Eine interessante Frage ist, was uns die Technik künftig abnehmen wird.“
Waffen aus der Türkei
Das Sortiment der ESC Gmbh ist über die Jahre beachtlich gewachsen. Erlaubnispflichtige Jagd- und Sportwaffen und deren Munition gibt es hier ebenso zu kaufen wie Bögen, Armbrüste und Messer. Pro Jahr liefert alleine die türkische Firma zwischen 50 000 und 60 000 Waffen nach Nattheim. Munition aus Bosnien wird unter anderem als Eigenmarke vertrieben, jährlich bestellen Kunden zwischen zehn und zwölf Millionen Schuss. Das Zubehör für den Großhandel wird in Asien hergestellt. Die Holster, Zielfernrohre, Stahlziele und weitere Produkte vertreibt die ESC Gmbh unter dem Label „First Strike“, das in der Branche einen guten Ruf hat.
Wo der Kern der Truppe seit über 20 Jahren Seite an Seite arbeitet, sind enge freundschaftliche Beziehungen entstanden. Man sei wie eine Familie, was das Team sehr besonders, die Mitarbeitersuche allerdings besonders schwierig mache. Wer passt wirklich dazu? Ob Pakete annehmen oder Waffen aufmunitionieren für den anschließenden Beschuss: Bei anstehenden Aufgaben wird nicht diskutiert, jeder tut, was zu tun ist. Bei wichtigen Entscheidungen dagegen wird diskutiert:
Welche Aspekte müssen berücksichtigt werden, welche Risiken gibt es? Selbstverständlich habe man in zehn Jahren Firmengeschichte auch Fehlschläge zu verzeichnen. Dass sich über die Jahre dennoch Erfolg eingestellt hat, freut Mathias Bretzger: „Es ist ja nicht so, dass wir anfangs genau wussten, was funktionieren wird und was nicht. Es gehört schon auch Glück dazu – und Beharrlichkeit. Wenn man liebt, was man macht, dann kommt irgendwann auch der Erfolg. Deshalb empfinde ich meinen Job insgesamt auch nicht als Arbeit im klassischen Sinn.“
Natürlich wird der ESC-CHEF immer wieder mal in Diskussionen über Waffen verwickelt. Darauf lässt er sich gerne ein, vorausgesetzt, es werden keine Pauschalmeinungen breitgetreten. Die Jagd ist für ihn die Art der Fleischgewinnung, die dem Tierschutz am nächsten kommt. Als älteste Waffe der Menschheit fasziniert ihn aber auch der Bogen – was für eine Präzision, was für eine Effektivität. Dass es in Deutschland mit die schärfsten Gesetze für Waffenbesitzer gibt, hält Mathias Bretzger für durchaus sinnvoll, wenn auch nicht immer zielführend. Wichtig ist ihm Folgendes: „Sportschützen und Jäger sind keine Amokläufer und kein Gesetz der Welt kann verhindern, dass Menschen, die Böses tun wollen, dafür einen Weg finden. Denn die Gefahr geht nicht von den Waffen aus.“
zeigt uns Stefanie Brenner seinen Schreibtisch.