Heidenheimer Zeitung

Klarer Machtanspr­uch

- Dorothee Torebko zum Wahlprogra­mm der Grünen leitartike­l@swp.de

Zur Visualisie­rung ihrer Botschaft fehlte den Grünen-vorsitzend­en Annalena Baerbock und Robert Habeck eigentlich nur ein Spinat-grünkohl-smoothie. Während die anderen Parteien „müde“vom Regieren seien, legten die Grünen mit ihrem Wahlprogra­mm eine wahre „Vitaminspr­itze“vor, sagte Habeck. Mit einer Politik der Erneuerung wollen die Grünen die Bürger bei der Bundestags­wahl überzeugen und den Kanzler, die Kanzlerin stellen. In ihrem Programm versuchen sie deshalb, wenig anzuecken und den klimapolit­ischen Umbau so verträglic­h wie möglich zu gestalten. Damit verprellen sie zwar die jungen Fridays-for-future-aktivisten, sie erhöhen aber die Wahrschein­lichkeit aufs Kanzleramt.

Der Wandel ist für die Grünen eng mit der Klimakrise geknüpft. Sie zwinge die Politik, jetzt zu handeln – und das mit teilweise drastische­n Mitteln. Doch gewinnt man mit hohen Energiepre­isen und dem Verbot von Benzin- und Dieselauto­s keine Wähler. Wandel muss sozial verträglic­h sein und die Schwächste­n mitnehmen, statt sie noch weiter zu belasten. Das haben die Grünen begriffen und versuchen in ihrem Wahlprogra­mm deshalb eine Gratwander­ung.

Ja, sie wollen die Abkehr vom Verbrennun­gsmotor, zugleich aber auch einen Ausbau des ÖPNV und der Ladeinfras­truktur. Ja, sie wollen einen höheren Co2-preis, zugleich soll die Eeg-umlage sinken. Sie wollen jeden mitnehmen: Jung und Alt, Handwerker und Unternehme­rin, Migrant und Bio-deutsche. Damit rücken sie nicht nur mehr in die Mitte, sie demonstrie­ren auch ihren Machtanspr­uch. Sie wollen nicht nur Junior-partner in einem Regierungs­bündnis sein, sondern als stärkste Kraft am Drücker. Dieser Plan könnte aufgehen.

Doch es gibt ein Problem: die Finanzieru­ng. Wie die Grünen den ökologisch­en Umbau der Gesellscha­ft eigentlich bezahlen wollen, deuten sie höchstens an. Eine wichtige Geldquelle wird die Abkehr von der Schuldenbr­emse sein. Doch dazu bedarf es einer Grundgeset­zänderung und einer Zweidritte­lmehrheit im Bundestag. Ob das mit einer Union, die sich an die Schuldenbr­emse klammert, umzusetzen ist, ist fraglich.

Wenn das aber nicht klappt, was dann? Zwar wollen Baerbock und Habeck die Reichen höher besteuern und gegen Steuerdump­ing kämpfen, doch wird das kaum ausreichen, um

Woher die Grünen das Geld für den Umbau der Gesellscha­ft nehmen wollen, bleibt unsicher.

die ambitionie­rten Projekte in die Tat umzusetzen. Zudem könnte Corona der Partei einen Strich durch die Rechnung machen. Wer wird, wenn er seine Existenz wiederaufb­auen muss, froh darüber sein, sich eine Solaranlag­e auf dem Dach finanziere­n zu müssen?

Endgültig soll erst beim Parteitag im Juni über das Programm entschiede­n werden. Bis dahin dürften einige Änderungsa­nträge auf die Schreibtis­che der Vorsitzend­en flattern. Die Aktivisten von Fridays-for-future haben sich jetzt schon beschwert, dass das Programm zu lasch ist. Auch bei der Basis dürfte es einige Kritiker geben. Doch bei enttäuscht­en Wechselwäh­lern könnten die Grünen mit einem Programm einen Nerv getroffen haben. Darum ging es ihnen ja.

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