Klarer Machtanspruch
Zur Visualisierung ihrer Botschaft fehlte den Grünen-vorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck eigentlich nur ein Spinat-grünkohl-smoothie. Während die anderen Parteien „müde“vom Regieren seien, legten die Grünen mit ihrem Wahlprogramm eine wahre „Vitaminspritze“vor, sagte Habeck. Mit einer Politik der Erneuerung wollen die Grünen die Bürger bei der Bundestagswahl überzeugen und den Kanzler, die Kanzlerin stellen. In ihrem Programm versuchen sie deshalb, wenig anzuecken und den klimapolitischen Umbau so verträglich wie möglich zu gestalten. Damit verprellen sie zwar die jungen Fridays-for-future-aktivisten, sie erhöhen aber die Wahrscheinlichkeit aufs Kanzleramt.
Der Wandel ist für die Grünen eng mit der Klimakrise geknüpft. Sie zwinge die Politik, jetzt zu handeln – und das mit teilweise drastischen Mitteln. Doch gewinnt man mit hohen Energiepreisen und dem Verbot von Benzin- und Dieselautos keine Wähler. Wandel muss sozial verträglich sein und die Schwächsten mitnehmen, statt sie noch weiter zu belasten. Das haben die Grünen begriffen und versuchen in ihrem Wahlprogramm deshalb eine Gratwanderung.
Ja, sie wollen die Abkehr vom Verbrennungsmotor, zugleich aber auch einen Ausbau des ÖPNV und der Ladeinfrastruktur. Ja, sie wollen einen höheren Co2-preis, zugleich soll die Eeg-umlage sinken. Sie wollen jeden mitnehmen: Jung und Alt, Handwerker und Unternehmerin, Migrant und Bio-deutsche. Damit rücken sie nicht nur mehr in die Mitte, sie demonstrieren auch ihren Machtanspruch. Sie wollen nicht nur Junior-partner in einem Regierungsbündnis sein, sondern als stärkste Kraft am Drücker. Dieser Plan könnte aufgehen.
Doch es gibt ein Problem: die Finanzierung. Wie die Grünen den ökologischen Umbau der Gesellschaft eigentlich bezahlen wollen, deuten sie höchstens an. Eine wichtige Geldquelle wird die Abkehr von der Schuldenbremse sein. Doch dazu bedarf es einer Grundgesetzänderung und einer Zweidrittelmehrheit im Bundestag. Ob das mit einer Union, die sich an die Schuldenbremse klammert, umzusetzen ist, ist fraglich.
Wenn das aber nicht klappt, was dann? Zwar wollen Baerbock und Habeck die Reichen höher besteuern und gegen Steuerdumping kämpfen, doch wird das kaum ausreichen, um
Woher die Grünen das Geld für den Umbau der Gesellschaft nehmen wollen, bleibt unsicher.
die ambitionierten Projekte in die Tat umzusetzen. Zudem könnte Corona der Partei einen Strich durch die Rechnung machen. Wer wird, wenn er seine Existenz wiederaufbauen muss, froh darüber sein, sich eine Solaranlage auf dem Dach finanzieren zu müssen?
Endgültig soll erst beim Parteitag im Juni über das Programm entschieden werden. Bis dahin dürften einige Änderungsanträge auf die Schreibtische der Vorsitzenden flattern. Die Aktivisten von Fridays-for-future haben sich jetzt schon beschwert, dass das Programm zu lasch ist. Auch bei der Basis dürfte es einige Kritiker geben. Doch bei enttäuschten Wechselwählern könnten die Grünen mit einem Programm einen Nerv getroffen haben. Darum ging es ihnen ja.