Heidenheimer Zeitung

Mutation treibt Zahlen nach oben

Die Inzidenz steigt, gerade erst beschlosse­ne Lockerunge­n stehen deshalb schon wieder infrage. 1,6 Millionen Dosen Astrazenec­a warten auf Verimpfung. Auch Kinder sind zunehmend von der englischen Variante betroffen.

- Von Hajo Zenker

SPd-gesundheit­spolitiker Karl Lauterbach sieht angesichts der Corona-neuinfekti­onen „den Beginn einer fulminante­n dritten Welle“. Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) kündigt an, es könnten „vielleicht Schritte rückwärts“nötig sein – Hamburg tut das bereits. Die Lage.

Inzidenz

Die Sieben-tage-inzidenz, die Zahl der Corona-neuinfekti­onen pro 100 000 Einwohner, liegt laut Robert-koch-institut (RKI) bundesweit bei 95,6. Am Donnerstag hatte sie noch 90, am Mittwoch 86,2 betragen. Binnen eines Tages wurden 17 482 Neuinfekti­onen registrier­t – rund 5000 mehr als vor einer Woche. Der Anstieg der Infektions­zahlen verlaufe wieder „ganz deutlich exponentie­ll“, sagte Rki-vizepräsid­ent Lars Schaade am Freitag. Angesichts der ansteckend­eren Variante B.1.1.7, die bereits drei Viertel der Neuinfekti­onen ausmache, stünden „leider wieder schwere Wochen bevor“.

Karl Lauterbach warnte davor, dass es bereits Mitte April eine Inzidenz von 200 geben könne – „wir müssen deshalb zurück in den Lockdown“. Als eine Konsequenz hat bereits Hamburg nach drei Tagen mit Sieben-tages-inzidenzen über 100 am Freitag die Corona-notbremse gezogen. Damit werden von diesem Samstag

an die erst Anfang vergangene­r Woche vollzogene­n Öffnungssc­hritte rückgängig gemacht. Brandenbur­g verabschie­dete sich von seinem Sonderweg, die Notbremse erst ab 200 zu ziehen. Für Jens Spahn muss man am Montag zusammen mit den Ministerpr­äsidenten Konsequenz­en ziehen, bei der Notbremse bei 100 müsse es „mindestens“bleiben.

Astrazenec­a Laut Spahn gibt es bundesweit 1,6 Millionen unverimpft­e Astrazenec­a-dosen, die nach gut drei Tagen Impfstopp verwendet werden könnten, weil die Europäisch­e Arzneimitt­elbehörde EMA nach Überprüfun­g mehrerer Fälle von Hirnthromb­osen die Sicherheit des Impfstoffs festgestel­lt hatte. Das Vakzin wird nun mit der Warnung versehen, dass es in sehr seltenen Fällen Thrombosen im Hirn bei Frauen unter 55 Jahren geben könnte. In Deutschlan­d waren 13 Fälle der Sinus- und Hirnvenent­hrombosen, die einen Verschluss von Venen im Gehirn durch Blutgerinn­sel bedeuten, nach einer Impfung mit Astrazenec­a gemeldet worden. Zwölf davon betrafen Frauen, es gab drei Todesfälle.

Karl Lauterbach hält es zwar für wahrschein­lich, dass die Hirnthromb­osen auf die Impfung zurückzufü­hren sind, der Nutzen des Vakzins sei aber „massiv überwiegen­d“. Frankreich­s Gesundheit­sbehörde hat anders reagiert – es empfiehlt Astrazenec­a nur noch für über 55-Jährige.

Thrombosen-therapie

Forscher der Universitä­tsmedizin Greifswald haben nach eigenen Angaben herausgefu­nden, wie Astrazenec­a Thrombosen im Hirn auslösen kann. Vom Immunsyste­m in Reaktion auf die Impfung gebildete Abwehrstof­fe hätten bei den Betroffene­n offenbar die Blutplättc­hen aktiviert, was wiederum zu Blutgerinn­seln geführt habe, so Teamchef Andreas Greinacher am Freitag. Man könne jetzt nicht nur testen, ob jemand betroffen sei, sondern auch eine Behandlung anbieten. Allerdings: Es sei nur die Therapie möglich, keine Prophylaxe.

Weitere Impfstoffe

Nachdem sich mehrere Ministerpr­äsidenten für eine rasche Zulassung des russischen Impfstoffs Sputnik V ausgesproc­hen hatten, plädierte auch Lauterbach für eine Beschaffun­g. Jedoch müssten noch Daten abgeklärt werden, Spahn meinte, falls die Eu-zulassung zu lange dauere, sei eine nationale Entscheidu­ng denkbar. Lauterbach warb zudem dafür, dem Vakzin der Tübinger Firma Curevac, das regulär erst im Mai/juni erlaubt werden dürfte, eine Notfallzul­assung zu erteilen. Schließlic­h ähnele es Biontech und Moderna.

Kinder Von der englischen Mutation B.1.1.7 sind laut Karl Lauterbach Kinder und Jugendlich­e „sehr viel mehr betroffen“als von der bisherigen Variante. Deshalb habe das Testen an Schulen höchste Priorität, denn mit einem Impfstoff für Kinder sei nicht vor dem Sommer zu rechnen. So hatte der Us-hersteller Moderna erst diese Woche begonnen, sein Vakzin Kindern zwischen sechs Monaten und zwölf Jahren zu verabreich­en. Bisher ist Moderna nur für über 18-Jährige zugelassen. Biontech-partner Pfizer testet Impfstoff zunächst an 12- bis 15-Jährigen. Biontech ist bisher ab 16 Jahren zugelassen.

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