Eine Stunde Impfwunder
Üblich ist es nicht,
dass die Bundeskanzlerin dabei ist, wenn im Schloss Bellevue das Verdienstkreuz verliehen wird. Aber die Zeremonie an diesem Freitagmorgen will sich Angela Merkel (CDU) offenbar nicht entgehen lassen. Gute Nachrichten und schöne Bilder sind derzeit rar. Es ist aber auch eine Geste der Wertschätzung gegenüber den beiden Geehrten: Özlem Türeci und Ugur Sahin. Das Forscher- und Unternehmerpaar hat Deutschland und dem Rest der Welt eine der wichtigsten Waffen im Kampf gegen das Corona-virus beschert. Dank der beiden Helden aus Mainz ist das Wort Impfstoff zumindest für diese eine Stunde nicht verbunden mit den zuletzt üblichen Zusätzen wie Knappheit, Chaos oder gar Debakel. Von einem „Impfwunder“spricht vielmehr Bundespräsident Frank-walter Steinmeier. Er lobt nicht nur die „wissenschaftliche Großtat“, sondern auch die übrigen Zutaten der Erfolgsgeschichte: Hingabe, Risikobereitschaft und internationale Kooperation.
Ehrung ohne Kontakt
Schmal und bescheiden sitzen die beiden Mediziner derweil auf ihren Stühlen, neben sich ein silbernes Schälchen mit Bundesadler-prägung zur Ablage der Maske. Es ist Türeci und Sahin anzumerken, dass sie sich einerseits über die Ehre freuen und es andererseits kaum erwarten können,
wieder an die Arbeit zu gehen. Wegen Corona kann ihnen der Orden nicht mal persönlich angeheftet werden, „ich darf Sie bitten, ihn sich selbst zu nehmen“, sagt Steinmeier.
Er hat in seiner Rede eine kleine Mahnung in Richtung Politik und Bürger gepackt; die Mahnung zu „einem guten Stück mehr Pragmatismus“. Es werde „wahrlich viel Kraft auf der Suche nach dem Schuldigen des Tages“verbraucht, „Kraft, die wir als Gesellschaft an anderer Stelle brauchen“. Sahin formuliert es in seiner Dankesansprache so: Pragmatismus bei den Impfungen sei „nicht das Gegenteil von Perfektionismus, sondern der Weg dorthin“. Merkels Blick, zuvor an der ein oder anderen Stelle freundlich oder auch amüsiert, ist in diesem Moment nicht zu deuten. Vielleicht denkt sie an die ihr mal wieder bevorstehenden Runden mit den Ministerpräsidenten, bei denen sich das Impfwunder Biontech wieder in seine bürokratischen Einzelheiten auflösen dürfte.