„Das ist wie bei der Titanic“
Der Stuttgarter Kreisvorsitzende und Bundestagsabgeordnete Kaufmann fordert nach der Wahlschlappe Konsequenzen.
Stuttgart. Der Stuttgarter Cdukreischef und Bundestagsabgeordnete Stefan Kaufmann drängt seine Partei zu Reformen: inhaltlich, strukturell und personell. An der Basis rumore es, sagt der 51-jährige Jurist.
Herr Kaufmann, können Sie das Cdu-debakel bei der Landtagswahl erklären?
Stefan Kaufmann:
Die Grünen haben mit Winfried Kretschmann einen populären Ministerpräsidenten, wir hatten eine Spitzenkandidatin mit schlechten Popularitätswerten. Dass Susanne Eisenmann Kultusministerin ist, hat sicher nicht geholfen, in dem Amt kann man es nie allen recht machen. Dazu kamen Holprigkeiten im Corona-management der Bundesregierung und die unsägliche Maskenaffäre. Wir haben aber auch langfristige Entwicklungen, die der CDU schaden, der Niedergang hält ja bereits seit zehn Jahren an.
Ein Ergebnis ist, dass Großstadt-vertreter in der Landtagsfraktion Exoten-status haben. Das muss Sie als Stuttgarter Kreischef sorgen.
Das ist wie bei der Titanic: Wir haben zum dritten Mal die Eisberge geschrammt, aber die Kapelle spielt weiter als sei nichts geschehen, und auf der Brücke trinkt man grünen Tee. Ich habe schon vor zehn Jahren gewarnt, dass wir mit unseren Themen und unserer Aufstellung in den großen Städten untergehen werden. An diesem Debakel ist auch die Landtagsfraktion schuld, die sich einer Reform des Wahlrechts verweigert hat. Nun ist unsere Anmutung noch ländlicher, hilfreich ist das nicht.
Was muss jetzt passieren?
Wir brauchen personelle und inhaltliche Konsequenzen, wir können nach dem Rückzug von Susanne
Eisenmann nicht einfach zur Tagesordnung übergehen und sagen: Weiter zu regieren, ist alles, was zählt. Auch der Landesvorsitzende Thomas Strobl muss sich Gedanken über seine Rolle machen. Die Cdu-spitze im Land sollte jetzt dringend die Basis einbeziehen. Diejenigen, die Plakate geklebt haben und an den Marktständen ihren Kopf für die CDU hingehalten haben, fragen sich doch, was da gerade passiert. An der Basis rumort es gewaltig.
Was bedeutet die Forderung, die Basis einbeziehen, konkret?
Bevor man jetzt möglicherweise in Koalitionsverhandlungen mit den Grünen einsteigt, sollte die Parteispitze zumindest die Meinung der Cdu-kreisvorsitzenden einholen: Wollen wir das überhaupt – oder können wir uns in der Opposition besser erneuern? Es gibt für beide Positionen gute Argumente. Aber ein erneutes Bündnis mit den Grünen nur von oben herab durchzuwinken, hielte ich für falsch.
Wo sehen Sie inhaltlichen Erneuerungsbedarf?
Die CDU muss sich endlich für ein Listenwahlrecht im Land einsetzen. Wir brauchen eine Strategieund auch eine Kommunikationsdebatte. Warum setzen wir etwa nicht stärker auf eine klimafreundliche Industriepolitik? Warum kämpfen wir nicht für ein digitales Musterländle? Wir müssen auch an die Parteistrukturen ran. Wir sind mit unseren Bezirksstrukturen schlicht überorganisiert.