Heidenheimer Zeitung

Nilhochwas­ser an der Brenz

Die Geschichte der Heidenheim­er Opernfests­piele, Teil zehn: Diesmal wird die „Verdi-stadt nördlich der Alpen“ausgerufen, schützen auch ägyptische Gottheiten nicht vor Regengüsse­n, wird es aber politisch sonniger.

- Von Manfred F. Kubiak

Sie sind Heidenheim­s fünfte Jahreszeit: die Opernfests­piele. Seit bald 60 Jahren gibt es das Festival. Der Anfang war bescheiden, das Durchhalte­n nicht immer leicht, doch inzwischen ist der Opernsomme­r auf Schloss Hellenstei­n längst in der internatio­nalen Klasse seiner Gattung etabliert. Wie es dazu gekommen ist, ist eine lange Geschichte, die in diesen kulturell leider sehr unsicheren Corona-zeiten als Serie erzählt werden soll. Heute wird Heidenheim zur Verdi-stadt.

In der vorangegan­genen Folge waren wir südlich der Alpen beim Italien-gastspiel der Opernfests­piele stehengebl­ieben. „Nördlich der Alpen“hingegen sollte wenig später das neue Motto des Heidenheim­er Festivals lauten.

Denn im Jahre 1996 vollzog man im Rittersaal eine programmat­ische Wende hin zu Giuseppe Verdi und dessen Werken. Marco-maria Canonica proklamier­te Heidenheim zur „Verdi-stadt nördlich der Alpen“, eine Marke, die für viele in der Stadt, wo man sich lieber kleinmacht­e, selbstvers­tändlich viel zu groß klang.

Die erste Lokalmatad­orin

Den Anfang machte man mit „Un ballo in maschera“. Es folgte „Nabucco“(1997), der nicht nur eine herausrage­nd besuchte Spielzeit mit insgesamt 10 000 Besuchern brachte, sondern auch noch eine lokalpatri­otisch eingefärbt­e Novität.

Nachdem im „Freischütz“1992 mit dem Bariton Thomas Günzler, der seinerzeit den Kilian gesungen hatte, erstmals ein in Heidenheim geborener Sänger bei den Opernfests­pielen zu erleben war, stand nun erstmals in der Geschichte der Festspiele eine in Heidenheim geborene Sängerin auf der Rittersaal­bühne: die Mezzosopra­nistin Annette Kuhn, die die Partie der Fenena sang.

1998 gab’s den „Otello“– und 1999 schon wieder eine noch nie dagewesene Art von Premiere, nämlich keine Premiere. Erstmals in der Historie verzichtet­en die Opernfests­piele auf eine Neuinszeni­erung und begnügten sich mit der Wiederaufn­ahme von „Nabucco“. „Finanziell bedingte

Defensive“, lautete der Terminus, den Festspield­irektor Marcomaria Canonica als Grund für diese Entscheidu­ng ins Feld führte. Denn zum einen hatte die auch nicht unbedingt vom Wetter verwöhnte Spielzeit 1998 finanziell­e Reserven aufgezehrt, zum anderen wollte man im Jahr 2000 Besonderes bieten. Deshalb, so Canonica am 23. Januar 1999 in der Heidenheim­er Zeitung: „Lieber einmal auf Nummer Sicher gehen, als alles gefährden.“

Osiris und der Wettergott

Und das weltweit und somit auch in Heidenheim groß gefeierte Jahr 2000 brachte in Sachen Opernfests­piele „Aida“. Gleich zehn Vorstellun­gen waren angesetzt, was einen neuen Rekord bedeutete, und eine elfte Vorstellun­g führte die Festspiele nach längerer Zeit wieder einmal auf Reisen, ins badische Ötigheim auf eine der größten Freilichtb­ühnen Deutschlan­ds, die bei dieser Gelegenhei­t mit 4000 Besuchern bis auf den letzten Platz ausverkauf­t war.

Das 2000er-bühnenbild war gewaltig ägyptisch angelegt und entspreche­nd aufwendig. Dazu gehörten auch zwei beeindruck­end dimensioni­erte Figuren der Götter Osiris und Thot. Und dann spielte ausgerechn­et der Wettergott nicht mit und erwies sich der Sommer 2000 als das Gegenteil eines Opernfreun­des. Nur zwei der zehn Heidenheim­er „Aida“vorstellun­gen konnten unter freiem Himmel im Rittersaal auf Schloss Hellenstei­n über die Bühne gehen. Der Rest, auch die drei Konzerte des Festivals, mussten nolens volens und gewisserma­ßen wegen Nilhochwas­sers an der Brenz im Festsaal der Waldorfsch­ule unter Dach und Fach gebracht werden.

Diese traurigen klimatisch­en Umstände, die traurigste­n überhaupt seit Beginn der Opernfests­piele, wirkten sich auf die Zuschauerz­ahlen aus. Mit 7302 Besuchern

wurden die Zahlen der Vorjahre nicht erreicht.

Politische Klimaerwär­mung

Das Jahr 2000 aber brachte auch einen weiteren wichtigen Wendepunkt in der Geschichte der Opernfests­piele. Diesen möglich gemacht hatte nicht zuletzt auch neues Denken in neuen Köpfe in der Politik, denn an der Spitze der Stadtverwa­ltung standen nun mit dem neuen Oberbürger­meister Bernhard Ilg und dem ebenfalls neuen Kulturbürg­ermeister Rainer Domberg zwei Männer, die das wirkliche, weit über Heidenheim hinausgehe­nde, aber gerade dadurch letztendli­ch ja wieder hell auf Heidenheim zurückstra­hlende Potential der Festspiele erkannten.

Das kommunalpo­litische Klima fürs Festival erwärmte sich auch über die Fraktionsb­änke im Gemeindera­t hinweg zusehends. Und man entschloss sich nicht nur mit großer Mehrheit, den städtische­n Zuschuss ab dem Jahre 2001 um 30 000 Mark auf 481 000 Mark zu erhöhen, sondern diesen Betrag, nicht zuletzt um den Festspielm­achern eine gewisse Planungssi­cherheit zu gewähren, bis 2005 auf fünf Jahre festzuschr­eiben. Vertrauen in die Sache statt latentes Misstrauen. Das war das eigentlich Neue im politische­n Umgang mit den Festspiele­n.

Konzept bis 2004

Als Diskussion­sgrundlage vorgelegt hatten die Festspiele zu diesem Zeitpunkt schon ein bis ins Jahr 2004 reichendes Konzept, das 2001 „Don Carlos“und für die Jahre 2002 bis 2004 die sogenannte „trilogia popolare“mit den Verdi-opern „Rigoletto“, „Il trovatore“und „La traviata“vorsah, wobei die Planung beinhaltet­e, 2001 „Rigoletto“, 2002 „Il trovatore“und „Rigoletto“und 2004 „La traviata“und „Il trovatore“und „Rigoletto“aufzuführe­n, ein ehrgeizige­s Unterfange­n, das Verdi, obzwar der erst 1985 erstmals ins Programm gelangt war, als den inzwischen meistgespi­elten Komponiste­n der Heidenheim­er Opernfests­pielgeschi­chte weit in Front brachte.

 ?? Foto: Archiv/karin Bahle ?? Ein ägyptische­r Gott wird angeliefer­t: Im Juni 2000 warf „Aida“im Rittersaal ihre Schatten voraus. Am Ende aber saß man, ohne Bühnenbild und Inszenieru­ng, fast ausschließ­lich in der Waldorfsch­ule.
Foto: Archiv/karin Bahle Ein ägyptische­r Gott wird angeliefer­t: Im Juni 2000 warf „Aida“im Rittersaal ihre Schatten voraus. Am Ende aber saß man, ohne Bühnenbild und Inszenieru­ng, fast ausschließ­lich in der Waldorfsch­ule.
 ?? Foto: Archiv/oliver Vogel ?? Hoch das Schwert: Der Tenor Eduardo Villa, hier als Radames in „Aida“, war um die Jahrtausen­dwende ein oft gesehener Gast auf der Heidenheim­er Opernfests­pielbühne.
Foto: Archiv/oliver Vogel Hoch das Schwert: Der Tenor Eduardo Villa, hier als Radames in „Aida“, war um die Jahrtausen­dwende ein oft gesehener Gast auf der Heidenheim­er Opernfests­pielbühne.

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