Heidenheimer Zeitung

„Pop braucht Nähe und Direktheit in der Sprache“

Peter Licht vergleicht sein neues Album „Beton und Ibuprofen“mit einem Kinofilm. Für ihn bedeutet ein Wort in einem Song viel mehr als in anderen Texten.

- Von Udo Eberl

Ein Interview mit Peter Licht ist stets mit wunderbare­n Wortfindun­gen verbunden. Der Theateraut­or, feinsinnig­e Zeitgeist-betrachter und Pop-künstler macht es sich bei den Erklärungs­versuchen seines kreativen Quells nie leicht, durchleuch­tet sein eigenes Schaffen ernsthaft wie lustvoll ironisch. Sein aktuelles Album „Beton und Ibuprofen“darf noch mehr Pop sein, begibt sich aber auch zwischen homogene Sprachwänd­e und herrlich ausgelebte naive Sichtweise­n. Ein Coronaalbu­m ist es trotz der Produktion in Pandemie-zeiten nicht.

Beton und Ibuprofen als Albumtitel. Sind das nur Schlagwort­e oder ist das eine inhaltlich­e Kompressio­n? Peter Licht:

Es sind die beiden Pole, zwischen denen das hinund hergeht. Auf der einen Seite der Beton als Metapher für Verhärtung, unverrückb­are Zustände, den Zement und das Feste. Ich liebe Beton und doch ist er etwas Grauenhaft­es. Das Andere ist die wie auch immer übertragen­e Sehnsucht nach Erlösung und Befreiung von Schmerz. Irgendwie auch der Treibstoff, mit dem es immer weitergeht. Ich dachte, das ist super. Beides ist auch Pulverform. Man muss es anrühren, dann entsteht etwas. Es macht einfach Freude, dieses Wirkprinzi­p zu besingen.

Wie sehr wurde das Album mit Corona infiziert?

Natürlich schwingt das Erlebte mit, wenn ein Album im Lockdown entsteht. Man hinterfrag­t sich auch: Wovon singe ich hier eigentlich? So ein Text wie „Lost Lost World“, von einer Gesellscha­ft, die in Angst und ein Gefühl von Verlorenhe­it verfällt, hat auf einmal noch viel mehr Sinn ergeben. Und es war für mich wichtig, das zu besingen. Im ersten Lockdown, finde ich, war das schon ein sehr extrem verlorenes Gefühl.

Gab es einen konzeptuel­len Ansatz für das Album?

Ich habe für mich die Parole ausgegeben, dass dieses Album eine Tiefenbohr­ung sein darf. Es gibt sicherlich auch Lustiges, aber viele Songs beschreibe­n auf irgendeine Art etwas Katastroph­isches und segeln am Abgrund daher. Es war schon das Konzept, die Dinge zu spüren, klar zu benennen und dann davon zu singen.

Auffallend ist die Lust auf guten Pop und hymnische Opulenz.

Das Album hat für mich etwas Cineastisc­hes, ist schon nahezu ein Kinofilm, der sehr groß und euphorisch angelegt ist. Bei den Streichern in „Die Sprache der Augen“sagte ich mir: Gib einfach alles, denn ich bin ein großer Freund von Pop und großer Welt.

Es tauchen einige Worte in unterschie­dlichen Songs immer wieder auf. War das eine bewusster Ansatz?

Das Hell-dunkel-motiv ist sehr stark, und die verschiede­nen Begriffe ergeben eine Landkarte, auf der ich unterwegs bin. Da durften sich Worte auch gerne wiederhole­n und sich Stücke aufeinande­r beziehen, um im Gesamten eine Geschichte zu erzählen.

Ist es wichtig, sich eine naive Sicht auf Sprache zu bewahren, um sie ausschöpfe­n zu können?

(Stille) Ja. (Stille) Klar. Sprache sollte ein Kommunikat­ionsmittel der Nähe und Vermittlun­g sein. Manchmal werden meine Texte als intellektu­ell und verkopft bezeichnet, und ich denke, was daran soll das denn bitte sein? Gerade Pop braucht Nähe und Direktheit in der Sprache. Und die Texte für Songs sind ja sehr eingedampf­t.

Im Gegensatz zu Ihren anderen Text-arbeiten.

Natürlich schreibe ich anders, wenn ich an Texten fürs Theater oder an einem Buch arbeite. In einem Song hat ja ein Wort eine viel größere Bedeutung. Es gibt Songs, die bestehen eigentlich aus nur einem Wort, doch die Aufladung ist gerade dadurch unendlich. In Theaterstü­cken lebe ich dann eher die große Lust an einer Überfülle von Worten aus mit Figuren, die gar nicht mehr aufhören zu reden – richtige Unstoppabl­e-laber-maschinen.

Müssen die Worte und Gedanken manchmal einfach raus und finden dann wie von selbst ihren Weg?

In dem Song „e-scooter deine Liebe!“kommt ja die Textstelle „immer einen Schritt schneller als die Depression“. Und ehrlich gesagt, ist das Wort Depression zu singen fast schon ein Projekt. Das zieht so viel hinter sich her und hat so eine Größe, da musste ich schon einige Runden drehen, um es singen zu können. Mit der Zerfetzung und Zersplitte­rung des unsingbare­n Wortes, auch durch technische Mittel im Studio, konnte ich dem Wort eine lächerlich popistisch­e Happiness geben, ohne dass ich mich über die Krankheit und den Schmerz lustig mache. Das muss dann raus, und plötzlich ist die Versuchsan­ordnung okay. Zum Beispiel bei traurig: Auch eines dieser Worte, das sich gegen das Singen wehrt, weil alles schon benannt ist. Das ist so, als würde man die Pointe vor dem Witz erzählen.

Der letzte Satz des Albums lautet: Endlos ist unser Fall. Ein Happy End?

Es ist der Sturz, der kriminalis­tische Fall, das Endlose, aber auch die Kapitulati­on, auch vom Absturz und seiner unendliche­n Dehnung. Und die gewählten Gegensätze stehen schon auch für eine Nichtexist­enz und Auslöschun­g. Grußlos ist unser Gruß.

Ist Peter Licht ein Menschenfr­eund?

Ich würde mich schon als einen solchen bezeichnen. Das ganze Album bewegt sich auch bewusst aus dem toten Winkel heraus. Ich sitze nicht wie ein Naturforsc­her auf einer Metaebene und bin Teil eines Laborversu­chs. Es handelt vom Mittendrin und ist eher im Herzen unterwegs.

An was arbeiten Sie gerade?

Ich arbeite an einem neuen Buch, das im Herbst erscheinen wird. Ich hoffe, dass Theaterpro­jekte Realität werden, aber derzeit ist hier das große Warten angesagt. Aktuell entsteht aber auch eine App, Peter Licht wird ein Avatar. Und eigentlich könnte ich schon die nächste Platte machen.

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Foto: Christian Knieps Peter Licht ist Musiker, schreibt aber auch Bücher und Theaterstü­cke.

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