Knutschen am Bildschirm
In Zeiten des Abstands boomt das digitale Kennenlernen. Anbieter wie Tinder und Elitepartner melden Zuwächse – und neue Umgangsformen.
Der Kerzenschein flackert nur auf dem Bildschirm, das gemeinsame Glas Rotwein wird ganz einsam vor dem Computer getrunken, private Treffen sind schwierig, Körperkontakt sowieso: Die Pandemie verändert auch das Kennenlernen. Wenn Partys verboten und soziale Distanz geboten sind, haben viele Singles nur noch die Möglichkeit, ins Internet auszuweichen. Die Folge: Online-dating boomt.
Schon vor der Krise suchten viele Menschen Partner für eine Nacht oder ein ganzes Leben übers Internet. Eine Studie der Online-vermittlungsagentur Elitepartner stellte jüngst einen Vergleich an: Bei den Paaren, die ein bis fünf Jahre zusammen sind, lernte sich ungefähr jedes dritte Paar online kennen. Bei den Paaren, die 2020 zusammenkamen, also bis zu einem Jahr liiert sind, waren es 43 Prozent.
User loggen sich häufiger ein
Auch andere Zahlen bestätigen den Trend. So loggt sich jeder dritte Nutzer von Online-dating-diensten seit der Pandemie häufiger dort ein als zuvor, ergab eine Befragung im Auftrag des Digitalverbands Bitkom. 67 Prozent der Nutzer von Online-dating-diensten haben sich nun auch bei neuen Anbietern angemeldet. 5 Prozent der Menschen in Deutschland haben während der Pandemie erstmals überhaupt Online-dating ausprobiert. Jeder zehnte Nutzer gab sogar an, während der Corona-pandemie im Internet die große Liebe kennengelernt zu haben. Auch die Bereitschaft, dafür Geld zu bezahlen, steigt. Am meisten werden zwar weiter die kostenlosen Basisversionen von Dating-portalen und -Apps wie Parship, neu.de oder Tinder genutzt, aber 13 Prozent der Befragten haben seit Corona erstmals ein kostenpflichtiges Online-dating-angebot genutzt. Das kann schnell – je nach gebuchtem Paket – bis zu 80 Euro im Monat kosten. Verbraucherschützer warnen mitunter vor einem Labyrinth an Kosten und ungewollt langen Vertragslaufzeiten.
Wera Aretz, Professorin für Psychologie an der Hochschule Fresenius in Köln, hat in einer Studie herausgefunden, dass Online-dating in der Zeit des Lockdowns insgesamt intensiver betrieben wurde, es wurde deutlich mehr Zeit dafür aufgewendet. „Auch die Form der Kommunikation hat sich deutlich verändert. Zum einen antworten die User schneller und ausführlicher. Zum anderen sind die Gespräche tiefsinniger geworden“, sagt Aretz.
Während die jüngeren Social-dater, die Plattformen wie Tinder oder Lovoo vor allem über das Smartphone nutzen, deutlich häufiger Text- und Sprachnachrichten
verschicken, greifen Nutzer von Online-partnervermittlungen oder Singlebörsen häufiger zum Telefon, ergab die Studie. Ein eher überraschendes Ergebnis: Trotz der Kontaktbeschränkungen haben sich 70 Prozent
Professorin für Psychologie hätten sie sich schnell der Situation angepasst und kreative Wege gefunden, miteinander in Verbindung zu treten. So fanden Treffen zum Beispiel auf virtuellen Spielinseln wie im Online-game „Animal Crossing“statt. Masken seien in den Profilen zu einem Modeaccessoire geworden.
Tinder gilt als die umsatzstärkste Nicht-gaming-app der Welt. Sie wurde mehr als 400 Millionen Mal heruntergeladen und hat nach eigenen Angaben bereits zu mehr als 55 Milliarden Matches geführt, also Treffern von potenziell zueinander passenden Nutzerprofilen. Die App hat das Ziel, das Kennenlernen in der näheren Umgebung zu erleichtern.
Elitepartner geht es eher um langfristige Verbindungen. Pressesprecherin Beatrice Bartsch sagt auf Anfrage: „Wir haben tatsächlich vor allem in Phasen stärkerer Kontaktbeschränkungen einen positiven Trend in der Plattformund Kommunikationsaktivität unserer Mitglieder gesehen.“Es seien zeitweise ein Fünftel mehr Nachrichten als im Vorjahr verschickt worden, die Anzahl der Video-dates habe sich phasenweise fast verdoppelt. Die Online-partnervermittlung hat wie auch Tinder in der Corona-zeit eine Möglichkeit für Video-dates geschaffen. „Schon kurz nach der Einführung gab es Video-dates, die fünf Stunden und mehr gedauert haben. Das längste Video-date bisher dauerte mehr als 15 Stunden.“Wie ein persönliches Treffen, das gar nicht mehr enden soll.
Die Nutzer antworten schneller, ausführlicher und tiefsinniger. Wera Aretz