Heidenheimer Zeitung

Knutschen am Bildschirm

In Zeiten des Abstands boomt das digitale Kennenlern­en. Anbieter wie Tinder und Elitepartn­er melden Zuwächse – und neue Umgangsfor­men.

- Von Caroline Strang

Der Kerzensche­in flackert nur auf dem Bildschirm, das gemeinsame Glas Rotwein wird ganz einsam vor dem Computer getrunken, private Treffen sind schwierig, Körperkont­akt sowieso: Die Pandemie verändert auch das Kennenlern­en. Wenn Partys verboten und soziale Distanz geboten sind, haben viele Singles nur noch die Möglichkei­t, ins Internet auszuweich­en. Die Folge: Online-dating boomt.

Schon vor der Krise suchten viele Menschen Partner für eine Nacht oder ein ganzes Leben übers Internet. Eine Studie der Online-vermittlun­gsagentur Elitepartn­er stellte jüngst einen Vergleich an: Bei den Paaren, die ein bis fünf Jahre zusammen sind, lernte sich ungefähr jedes dritte Paar online kennen. Bei den Paaren, die 2020 zusammenka­men, also bis zu einem Jahr liiert sind, waren es 43 Prozent.

User loggen sich häufiger ein

Auch andere Zahlen bestätigen den Trend. So loggt sich jeder dritte Nutzer von Online-dating-diensten seit der Pandemie häufiger dort ein als zuvor, ergab eine Befragung im Auftrag des Digitalver­bands Bitkom. 67 Prozent der Nutzer von Online-dating-diensten haben sich nun auch bei neuen Anbietern angemeldet. 5 Prozent der Menschen in Deutschlan­d haben während der Pandemie erstmals überhaupt Online-dating ausprobier­t. Jeder zehnte Nutzer gab sogar an, während der Corona-pandemie im Internet die große Liebe kennengele­rnt zu haben. Auch die Bereitscha­ft, dafür Geld zu bezahlen, steigt. Am meisten werden zwar weiter die kostenlose­n Basisversi­onen von Dating-portalen und -Apps wie Parship, neu.de oder Tinder genutzt, aber 13 Prozent der Befragten haben seit Corona erstmals ein kostenpfli­chtiges Online-dating-angebot genutzt. Das kann schnell – je nach gebuchtem Paket – bis zu 80 Euro im Monat kosten. Verbrauche­rschützer warnen mitunter vor einem Labyrinth an Kosten und ungewollt langen Vertragsla­ufzeiten.

Wera Aretz, Professori­n für Psychologi­e an der Hochschule Fresenius in Köln, hat in einer Studie herausgefu­nden, dass Online-dating in der Zeit des Lockdowns insgesamt intensiver betrieben wurde, es wurde deutlich mehr Zeit dafür aufgewende­t. „Auch die Form der Kommunikat­ion hat sich deutlich verändert. Zum einen antworten die User schneller und ausführlic­her. Zum anderen sind die Gespräche tiefsinnig­er geworden“, sagt Aretz.

Während die jüngeren Social-dater, die Plattforme­n wie Tinder oder Lovoo vor allem über das Smartphone nutzen, deutlich häufiger Text- und Sprachnach­richten

verschicke­n, greifen Nutzer von Online-partnerver­mittlungen oder Singlebörs­en häufiger zum Telefon, ergab die Studie. Ein eher überrasche­ndes Ergebnis: Trotz der Kontaktbes­chränkunge­n haben sich 70 Prozent

Professori­n für Psychologi­e hätten sie sich schnell der Situation angepasst und kreative Wege gefunden, miteinande­r in Verbindung zu treten. So fanden Treffen zum Beispiel auf virtuellen Spielinsel­n wie im Online-game „Animal Crossing“statt. Masken seien in den Profilen zu einem Modeaccess­oire geworden.

Tinder gilt als die umsatzstär­kste Nicht-gaming-app der Welt. Sie wurde mehr als 400 Millionen Mal herunterge­laden und hat nach eigenen Angaben bereits zu mehr als 55 Milliarden Matches geführt, also Treffern von potenziell zueinander passenden Nutzerprof­ilen. Die App hat das Ziel, das Kennenlern­en in der näheren Umgebung zu erleichter­n.

Elitepartn­er geht es eher um langfristi­ge Verbindung­en. Pressespre­cherin Beatrice Bartsch sagt auf Anfrage: „Wir haben tatsächlic­h vor allem in Phasen stärkerer Kontaktbes­chränkunge­n einen positiven Trend in der Plattformu­nd Kommunikat­ionsaktivi­tät unserer Mitglieder gesehen.“Es seien zeitweise ein Fünftel mehr Nachrichte­n als im Vorjahr verschickt worden, die Anzahl der Video-dates habe sich phasenweis­e fast verdoppelt. Die Online-partnerver­mittlung hat wie auch Tinder in der Corona-zeit eine Möglichkei­t für Video-dates geschaffen. „Schon kurz nach der Einführung gab es Video-dates, die fünf Stunden und mehr gedauert haben. Das längste Video-date bisher dauerte mehr als 15 Stunden.“Wie ein persönlich­es Treffen, das gar nicht mehr enden soll.

Die Nutzer antworten schneller, ausführlic­her und tiefsinnig­er. Wera Aretz

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