Botschafter der Vielfalt
Wer Falter in seinen Garten locken möchte, sollte diesen nicht zu sehr aufräumen, rät der Ökologe Michael Altmoos. Damit tut man auch vielen anderen Tieren und Pflanzen einen Gefallen.
Mit Schmetterlingen kriegt man sie alle.“Michael Altmoos weiß, wovon er spricht. Zusammen mit seiner Frau Ursula führt der 54-Jährige das Mitmach-museum für Naturschutz in Staudernheim (Rheinland-pfalz) – ein zentraler Teil der Anlage ist ein Schmetterlingsgarten. Bislang ist er noch keinem Menschen begegnet, der die flatternden Insekten nicht mag. Auch er selbst ist dem Zauber der Falter erlegen, bereits als Junge, wie er in seinem Buch „Besonders: Schmetterlinge“schreibt. Schon früh hat er auch erfahren, wie zerbrechlich die Tiere sind. Das Kind wollte eine Schmetterlingssammlung anlegen, der gefangene Falter wurde zusammen mit einem Wattebausch Äther in ein Glas gesetzt. Als der Junge beobachtete, wie ein letztes Zittern durch die Schmetterlingsflügel lief, war er zutiefst betroffen. Die Schmetterlingssammlung wurde zusammen mit dem Falter begraben, nicht aber Michael Altmoos’ Engagement für die Tiere. Denn er weiß auch: Zwar lieben alle Menschen Schmetterlinge. Wahr ist aber auch, dass die meisten sehr wenig über sie wissen. Kohlweißling, Zitronenfalter, Tagpfauenauge – nach zwei, drei gängigen Arten ist der Großteil seiner Besucher am Ende seiner Weisheit. Nachtschmetterlinge sind erst recht kaum bekannt. Allenfalls als Schädling, wie etwa der Buchsbaum-zünsler. „Dabei sind das nicht nur dumme graue Motten“, sagt Altmoos. Viele Nachtfalter können ihren tagaktiven Artgenossen in puncto Aussehen locker das Wasser reichen. Das Nachtpfauenauge etwa, der Totenkopfschwärmer oder der Weinschwärmer.
Auf das Aussehen allein soll es aber nicht ankommen. Nicht nur die besonders auffälligen Falter sind schließlich schützenswert, sondern jede Art hat ihre Aufgabe, ihren Wert in ihrem speziellen Lebensraum. Als Ökologe weiß Altmoos, dass es auf jedes Tier, jede Pflanze, auf Boden und Klima in ihrem Zusammenspiel ankommt. „Man darf nie nur eine Art für sich betrachten“, betont er.
Trotzdem hat er sich entschlossen, Schmetterlinge in den Mittelpunkt seiner Arbeit zu setzen. Nicht nur, weil die Menschen mit ihrer Hilfe für den Naturschutz zu begeistern sind. Sondern auch, weil dort, wo sich Schmetterlinge wohl fühlen, viele andere Arten gedeihen. Blütenpflanzen etwa sind nicht nur gut für die Falter, sondern auch für Bienen, Hummeln und viele andere Insekten. Und diese wiederum sind Futter für Vögel, Igel und Reptilien.
So wertvoll eine Blumenwiese aber auch ist – mir ihr allein ist den vielen Schmetterlingsarten nicht unbedingt gedient. „Schmetterlinge lieben die Vielfalt“, erklärt Altmoos. Also quasi das Gegenteil einer aufgeräumten Landschaft. Je kleinteiliger, je unterschiedlichere Bedingungen sie finden, desto besser.
Schmetterlinge sind genauso kapriziös wie sie Hoch spezialisierte Raupen aussehen. Teils sind wahre Gourmets unter den Tieren, denen nur eine ganz bestimmte Pflanze schmeckt. Vor allem die Raupen sind oft hoch spezialisiert, fehlt die Futterpflanze, sucht man sie vergebens. Diese Pflanzen sind für viele Gärtner allerdings wenig attraktiv: Gräser, Klee, Brennnessel, Brombeeren, und ganz wichtig die Pflanzen nährstoffarmer Standorte, gehören zu den Favoriten unter den hungrigen Raupen.
Besucher des Schmetterlingsgartens in Staudernheim mag vielleicht auch überraschen, dass keineswegs jeder Bereich der Anlage mit Pflanzen bedeckt ist. Manche Bereiche scheinen brach zu liegen, Steine und Kies unterbrechen die Vegetation. „Viele Falter brauchen diese Bereiche, zum Beispiel, um sich aufzuwärmen“, erklärt Altmoos. Weshalb er zu einer Mosaik-gartenbewirtschaftung rät. Man teile den Garten in mehrere Bereiche: einen, in dem Stauden wachsen, einen, in dem hohe Gräser stehen, einen, in dem Brennnessel und Brombeeren wuchern dürfen und einen, in dem nährstoffarme Erde und Kies offen liegen. Da die Natur niemals ruht und die Pflanzen mit der Zeit alles zuwachsen würden, rät Altmoos dazu, in einem rotierenden Prinzip die Bereiche durchzuwechseln. Wie der Landwirt seine Felder.
„Niemals zu viel auf einmal machen“, rät Altmoos. Also nicht die ganze Hecke auf einmal schneiden, nicht die ganze Wiese auf einmal mähen. So ermöglicht man den Tieren – nicht nur den Schmetterlingen –, notwendige Vielfalt und Versteckmöglichkeiten. Als Freund der Natur lernt man auch unweigerlich eines ihrer eher unschönen Prinzipien kennen: fressen und gefressen werden. Nicht alle Lieblinge des Menschen sind sich unbedingt grün, Schmetterlinge und Meisen etwa. „Man sollte vielleicht nicht an jeder Ecke im Garten einen
Nistkasten aufhängen“, formuliert es Altmoos diplomatisch. Denn Meisen betrachten Raupen als Delikatessen. Lockt man Meisen an, hat man automatisch weniger Schmetterlinge. „Man darf nie das große Ganze aus den Augen verlieren“, rät der Ökologe.
Wem jetzt der Kopf schwirrt und die Arme bereits beim Gedanken ans viele Hacken und Graben schmerzen, den kann Altmoos beruhigen: „So kompliziert wie es klingt, ist es gar nicht.“Und ja, er weiß, dass viele Gärtner den Gedanken an einen „unaufgeräumten“Garten nicht ertragen können. So sehr Altmoos für „seine Sache“brennt, er möchte den Menschen ungern mit der Moralkeule kommen. „Und vorschreiben, was sie machen sollen, schon gar nicht.“Stattdessen gibt er lieber Anregungen.
Ein Erfolgserlebnis: Eine Gemeinde wollte etwas für Schmetterlinge tun, auf ihre geschnittenen Rasenflächen allerdings keinesfalls verzichten. Blühende Randstreifen kamen ebenfalls nicht in Frage, die Gemeinde sollte ja nicht unordentlich dastehen. Eine unauflösbare Situation, sollte man denken. Nicht für Altmoos: Er schlug vor, beim Rasenmähen herzförmige Flecken stehen zu lassen. Denn Herzen mag wie Schmetterlinge jeder. „Das ist eine akzeptierte Form und keine Unordnung“, sagt er. Und tatsächlich: Die Gemeinde ging darauf ein, wenig später flatterten Schmetterlinge über den Wiesen-herzen.
Nur: Lässt sich mit so einem Wiesen-herz tatsächlich etwas ausrichten? Sind es nicht wieder die Allerweltsarten wie Kohlweißling und Kleiner Fuchs, die am Nektar saugen? Denn aufgeräumte
Gärten sind bei Weitem nicht das einzige Problem, weder der Schmetterlinge noch der Insekten. Einen entscheidenden Anteil hat die intensive Landwirtschaft mit ihren auf maximalen Ertrag getrimmten, riesigen Monokulturen, die diesen nur unter hohem Dünger- und Pestizideinsatz liefern können. Auf solchen Flächen blühen kaum Pflanzen, an denen die Falter saugen können, für die Raupen findet sich keine Nahrung. Falls doch, wird ihnen das Gift zum Verhängnis – schließlich soll es die Ackerpflanzen genau davor schützen, von hungrigen Mäulern angeknabbert zu werden. Selbst die Blühstreifen, die viele Landwirte seit einiger Zeit stehen lassen, sind laut Altmoos oft nutzlos, wenn sie nicht über mehrere Jahre dort wachsen dürfen. Einen dauerhaften Lebensraum finden die Falter sonst nicht.
Ein zweites großes Insektenproblem: Immer mehr Lebensräume werden zubetoniert, mit Straßen oder Häusern bedeckt. Für die Tiere sind das oft unüberwindbare Hindernisse, die sie etwa von einer ergiebigen Blumenwiese trennen kann.
An diesen Faktoren kann ein einzelner Akteur kaum etwas ändern. „Das muss politisch geschehen, das ist klar“, sagt Altmoos. „Natürlich könnte ich jetzt zur Revolution aufrufen“, fügt er ironisch hinzu. Er verfolgt aber lieber einen anderen Weg. „Ich mache erst einmal bei mir im Garten, was ich kann.“Wenn man nicht in einer vollkommen zugebauten Gegend lebt, könne man mit einem naturnahen Garten auf jeden Fall fünf bis zehn Schmetterlings-arten anlocken. „Sogar auf einem großen Balkon ist das möglich.“
Solche Gebiete seien wichtige Inseln, die den Tieren unter Umständen den Sprung zu einer größeren, vollwertigen Wiese ermöglichen. Und wenn dann zunächst doch „nur“der Kohlweißling kommt, ist das immer noch besser als nichts. Möglicherweise entdeckt man bislang unerkannte Schönheit in dem „Allerweltstier“. Und lässt sich bezaubern, wie damals Michael Altmoos als kleiner Junge.