Heidenheimer Zeitung

Das Corona-desaster

- Guido Bohsem über das nächste Ministerpr­äsidenten-treffen leitartike­l@swp.de

Wenn die Ministerpr­äsidenten und die Kanzlerin an diesem Montag erneut zu Beratungen über die Corona-krise zusammentr­effen, werden sie sich über ein Desaster beugen müssen. Monatelang hatte die Öffentlich­keit von ihnen ein Konzept gefordert, das der eingesperr­ten Gesellscha­ft klar und nachvollzi­ehbar aufzeigt, wie ein verlässlic­her Weg aus der Krise aussehen könnte. Was beim letzten Treffen nach mehr als zwölf Stunden Beratung herauskam, war das glatte Gegenteil. Der komplexe „Wenn-dann“-plan zerbröselt­e beim ersten Kontakt mit der Realität. Zwölf Monate nach Beginn der Pandemie haben die obersten Staatsvert­reter ihre Deutungsho­heit im Umgang mit dem Virus verloren, weil sie es erstens auch nicht besser wissen und weil ihr Plan sich zweitens an ungeeignet­en Parametern orientiert.

Schon im Sommer 2020 beklagten erste Experten auch in dieser Zeitung die gigantisch­en Wissenslüc­ken über die Art und Weise, wie sich das Virus verbreitet. Katastroph­ale Monate später hat sich daran nichts geändert. Die Zahlen des Robert Koch-institut geben es nicht her und eine systematis­che Untersuchu­ng – also die kontinuier­liche Testung einer großen, repräsenta­tiven Bevölkerun­gsgruppe durch engmaschig­e Tests – gibt es immer noch nicht.

Stattdesse­n wurden Glühweinst­ände im Freien als sündiger Hedonismus verteufelt, Minderjähr­ige durch Parks gejagt, weil sie es wagten, Freunde zu treffen, und ja, auch der Verkauf von Alkohol nach 23 Uhr wurde unterbunde­n. Nach dem Motto: alles, was Spaß macht, muss zwangsläuf­ig ins Verderben führen oder zumindest zum Hotspot eskalieren. In Wahrheit tapsen die deutschen Regierungs­chefs immer noch durch die Krise wie durch einen unbekannte­n, stockduste­ren Raum, der vollgestel­lt ist mit scharfkant­igem Mobiliar. Auf den Gedanken, vielleicht einmal den Lichtschal­ter umzulegen, kommt offenbar keiner.

Stattdesse­n hält die Corona-runde verzweifel­t an dem einen Indikator fest, der sich sicher ermitteln lässt, der Sieben-tage-inzidenz. Dass dieser Wert aber durch die (richtigen) massenhaft­en Selbsttest­ungen von Menschen auch ohne Krankheits­anzeichen nach oben getrieben wird, blieb unberücksi­chtigt. Dass der Wert sogar mit der fortschrei­tenden Impfung älterer Menschen neu zu interpreti­eren ist –

Ostern fällt auch in diesem Jahr aus, aber diesmal liegt es nicht mehr alleine am Corona-virus.

weil bei gleicher Inzidenz weniger Corona-patienten auf der Intensivst­ation landen und sterben –, floss auch nicht in den Plan ein.

Derzeit drängt die Frage in den Mittelpunk­t der Debatte, ob der Impfstoff nicht auch durch die niedergela­ssen Ärzte an die Frau und den Mann gebracht werden kann. Dagegen spricht erst einmal nichts, außer vielleicht der Frage: welcher Impfstoff eigentlich? Das dürfte der sein, den die USA, Großbritan­nien, Israel und andere Länder Mitte 2020 gekauft haben, während die EU mit Einverstän­dnis der Kanzlerin möglichst niedrige Preise verhandelt­e, über Haftungsfr­agen räsonierte und Interessen der Einzelstaa­ten berücksich­tigte. Ostern fällt wieder aus – und diesmal liegt es nicht alleine am Virus.

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