Wer verantwortet Wirecard-pleite?
Seit Monaten müht sich der Untersuchungsausschuss des Bundestags, Licht in den Milliardenskandal und in die Rolle von Politik und Aufsehern zu bringen. Die Zwischenbilanz zeigt ein kompliziertes Geflecht.
Unglaublich viel Geld, windige Geschäfte, ausländische Geheimdienste, Manager auf der Flucht oder in Untersuchungshaft und eine versagende staatliche Aufsicht – der Fall Wirecard hat alle Zutaten für einen Wirtschaftskrimi der Extraklasse. Der Schaden durch die Pleite des Finanzdienstleisters aus Aschheim bei München wird auf mindestens 3,2 Milliarden Euro geschätzt. Noch nicht abschätzbar ist der Imageschaden für den Finanzstandort Deutschland.
Wie konnte es passieren, dass die gewaltigen Manipulationen bei dem Dax-konzern der staatlichen Aufsicht nicht auffielen? Welche Verantwortung tragen Politiker? Das versucht seit Monaten ein Untersuchungsausschuss des Bundestags aufzuklären. Mit jeder Sitzung wird die Geschichte unübersichtlicher und unglaublicher.
Eine ganze Reihe von Beteiligten musste bereits den Hut nehmen, wenn auch nur aus der zweiten Reihe. Offen ist, was an den Spitzen hängen bleibt. Im Fokus stehen Finanzminister Olaf Scholz (SPD) und sein Staatssekretär Jörg Kukies, eher am Rand Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) und Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Ihre Aussagen im April werden mit Spannung erwartet.
Die Pleite Wirecard ist die Geschichte vom Aufstieg eines Abwicklers von Zahlungen für Pornound Glücksspielseiten im Internet zu einem Weltkonzern, der zeitweise Milliarden umsetzte und mehr als 5000 Mitarbeiter beschäftigte. Geadelt im Jahr 2018 durch die Aufnahme in den Dax, in dem die wichtigsten börsennotierten Aktiengesellschaften gelistet sind. Viele Politiker ließen sich gern mit Vertretern des angeblichen nationalen Champions sehen.
Doch dessen Erfolg war auf Lug und Trug aufgebaut. Am 25. Juni 2020 musste er Insolvenz anmelden, weil sich 1,9 Milliarden Euro, die auf Treuhandkonten in
Asien liegen sollten, als Luftbuchungen erwiesen. Vermutlich gab es das Geld nie.
Dem früheren Chefbuchhalter kamen die Geschäfte angeblich trotzdem nicht merkwürdig vor. Vor kurzem sagte er vor dem Untersuchungsausschuss zu dem Skandal: „Es war für mich unvorstellbar, dass so was passieren konnte.“
Für den Grünen-finanzpolitiker Danyal Bayaz gab es drei zentrale Faktoren: eine „Bande mit hoher krimineller Fantasie und Energie“in der Wirecard-chefetage, ein „Kollektivversagen“bei Institutionen, Behörden und Aufsichtsorganen sowie ein Heer an Beratern und Lobbyisten, „die Klinkenputzen waren“, um das Bild des Technologiestars glänzen zu lassen. Die Parlamentarier haben die zwei letzten Punkte im Blick.
Die Aufsicht „Gemessen an den Rücktritten kann sich die Bilanz des Untersuchungsausschusses sehen lassen“, sagt Linken-fraktionsvize Fabio De Masi. Die prominentesten waren bisher Felix Hufeld, Chef der FinanzmarktAufsicht Bafin, und seine Stellvertreterin Elisabeth Rögele.
Die Behörde fühlte sich kaum zuständig, weil es sich nur bei einer Wirecard-tochter um eine Bank handelte. Aber wenn sie eingriff, dann zugunsten des Konzerns. Dabei hatten die Finanzbehörden „fundierte Hinweise auf kriminelles Verhalten bei Wirecard“, sagt der Fdp-finanzexperte
Florian Toncar. Informationen der Bundesbank seien auf dem Behördenweg verloren gegangen, einem Geldwäscheverdacht wurde nicht nachgegangen. Dafür wurden Journalisten verfolgt, die schon 2016 auf Ungereimtheiten berichtet hatten.
Die Opposition hat insbesondere Staatssekretär Kukies im Auge. Zwischen ihm und der Bafin habe es in den Jahren 2019 und 2020 „eine regelrechte Standleitung gegeben“. Er reiste persönlich zu Wirecard-chef Braun. Zeitweise gab es sogar die Überlegung, Wirecard mit Steuermitteln zu retten. Was wusste von all dem Scholz? Einerseits ließ er sich laufend informieren. Andererseits sagt er, ihm vieles sei nicht bekannt gewesen.
Die Wirtschaftsprüfer EY, einer der vier großen, international tätigen Prüfkonzerne, sollte eigentlich mit seiner Unterschrift Aktionären und Öffentlichkeit bestätigen, dass die Bilanzen korrekt sind. Das tat er auch bis einschließlich 2018. Dabei waren sie nach Ansicht der Münchner Staatsanwaltschaft spätestens seit 2015 manipuliert. Erst als die Ey-prüfer das Testat für 2019 verweigerten, fiel das Kartenhaus zusammen. Zuvor hatte die konkurrierende KPMG aufgedeckt, dass es die Milliarden-guthaben in Asien nicht gab. Inzwischen hat EY seinen Deutschland-chef ausgetauscht. An dieser Stelle kommt Altmaier ins Spiel: Das Wirtschaftsministerium ist zuständig für die Wirtschaftsprüferaufsicht Apas. Deren Chef Ralf Bose musste gehen – er hatte noch mit Aktien des Skandalunternehmens privat gehandelt, als seine Behörde den Fall bereits untersuchte.
Die Lobbyisten Ex-minister Karltheodor zu Guttenberg und Klaus-dieter Fritsche, früherer Geheimdienstkoordinator im Kanzleramt, wurden aktiv, als Wirecard in China aktiv werden wollte. Merkel setzte sich bei einem China-besuch 2019 für den Dienstleister ein. Da hätten eigentlich im Kanzleramt aufgrund kritischer Berichte schon die Alarmglocken schrillen müssen. Heute sagen die Lobbyisten, sie hätten von nichts gewusst.