Forschung in der Wolkenkammer
Mal sehen sie bedrohlich-dunkel aus, mal plüschig-weich: Wolken ziehen seit Urzeiten über den Himmel und beeinflussen das Klima. Doch viele Fragen sind noch offen. Das soll sich bald ändern.
In der Wolkenkammer könnte Kristina Höhler auch Corona-impfstoffe lagern. Auf bis zu minus 90 Grad abkühlbar ist die drei Stockwerke hohe Anlage des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT). „Meist kühlen wir sie aber nur auf minus 20, minus 30 Grad“, sagt Höhler. Die Chemikerin und ihre Kollegen am Institut für Meteorologie und Klimaforschung interessieren sich dann auch weniger für Impfstoffe – sondern dafür, wie sich Wolken bilden.
Klingt simpel. Doch obwohl seit Millionen von Jahren Wolken über den Himmel ziehen, sind noch viele Fragen offen. Dabei geht es unter anderem um die Wolkenbildung und ihren Einfluss auf das Klima. „Insbesondere die Entstehung von Eispartikeln in der Atmosphäre ist noch nicht hinreichend gut verstanden“, sagt Axel Seifert vom Deutschen Wetterdienst (DWD). Als Beispiel nennt er die Wirkung der Aerosolpartikel als Eiskeime. Das werde zwar seit vielen Jahren untersucht. Jedoch sei der Fortschritt ausgesprochen langsam. Es handle sich um komplizierte Phänomene, „die auch die Experimentatoren an ihre Grenzen bringen“.
Solche Aerosol-wolken-prozesse untersuchen die Kit-forscher in der deutschlandweit einzigartigen Wolkensimulationskammer Aida. Mehr als 80 Kubikmeter Luft passen dort hinein, die Wände sind eisbedeckt, wie Höhler erklärt. Dann werde zum Beispiel Wüstensand eingeleitet und der Druck abgesenkt. Damit sinke auch die Temperatur und die Forscher können die Wolkenbildung beobachten – und vor allem messen. Anders als in der Natur schwirren dabei nicht noch Feinstaub, Pollen oder andere Partikel umher. „Das ist ein klarer Vorteil, wenn man nicht immer alles auf einmal untersuchen muss“, sagt Höhler.
Sie leitet mit ihrem Kollegen Ottmar Möhler ein neu gegründetes Zentrum CIS, an dem auch Forscher aus Leipzig, Großbritannien und Österreich beteiligt sind. Es ist Teil eines europaweiten Projekts Actris zur Langzeitbeobachtung von Aerosolen, Wolken und Spurengasen.
Im Laufe dieses Jahres soll es losgehen. Dann wollen die Wissenschaftler unter anderem verschiedene Wolkenvariablen wie Flüssigkeitsgehalt, Zahl und Größe von Eiskristallen und die chemische Zusammensetzung von Wolkenwasser messen, wie Höhler sagt. Besonders im Fokus stehen die sogenannten eisnukleierenden Partikel (in dem Wort steckt der lateinische Begriff Nukleus für Kern). Denn selbst wenn es hoch oben am Himmel minus 20 Grad kalt ist, bilde sich nicht automatisch Eis, erklärt die Chemikerin. Die Vorbereitungen sind auf fünf Jahre angesetzt, wie Höhler sagt. Geplant ist unter anderem ein möglichst flächendeckender Aufbau nationaler Messstationen. Auch mit Drohnen sollen mobile Plattformen in Wolken geflogen werden.
Wolken transportieren Wasser, reflektieren Sonnenlicht, verhindern aber auch, dass Wärme ins All abgeführt wird. Die Zahl ihrer Partikel und das Verhältnis von Wassertröpfchen und Eis in ihnen schwanken. Global steigende Temperaturen können zum Beispiel zur Folge haben, dass Wolken in anderen Höhen gebildet werden oder dass weniger oder mehr Wolkeneis entsteht. „Wenn in Island Gletscher zurückgehen, werden wir mehr
Staubpartikel in der Luft haben“, sagt Höhler. Wenn in Regionen andere Pflanzen wachsen aufgrund höherer Temperaturen, dann gebe es wieder andere Einträge in die Luft. All das habe Einfluss auf Wolken–- und diese wiederum auf das Klima. „Wir erwarten eine veränderte Wolkenbildung, die sich auf den Klimawandel auswirkt.“
Wichtig für Meteorologen wären laut Dwd-experte Seifert auch genauere Erkenntnisse zu optischen und mikrophysikalischen Eigenschaften der Eispartikel. Diese seien für viele Prozesse des Strahlungstransports – also das Wärmen und Kühlen – sowie der Niederschlagsbildung relevant. „Hier ist das Grundproblem die komplizierte Geometrie der Eispartikel, die eine exakte Beschreibung unmöglich macht“, so Seifert. Es gehe darum, die Näherungen und Modelle immer weiter zu verbessern, auch wenn sie vielleicht nie perfekt sein werden.
Alsbald werden die Daten aus der Karlsruher Wolkenkammer aber noch keinen Einfluss auf die Wetterprognosen haben. „Die Wettermodelle des DWD müssen global und zu jeder Jahreszeit gute Vorhersagen liefern und hierfür benötigen wir robuste und erprobte Verfahren“, erklärt Seifert. Sehr wertvoll seien detaillierte Wolkenbeobachtungen etwa von Wolkenradar-systemen. „Diese Messungen nutzen wir für die Modellentwicklung und Validierung, und betreiben auch an Observatorien des DWD selbst derartige Messsysteme“, so Seifert.
„Generell ist es ein weiter Weg von der akademischen Forschung hin zur operationellen Wettervorhersage“, erläutert er. Oft dauere es zehn Jahre oder länger, bis Ergebnisse aus dem Labor in die Anwendung kommen. Von den Arbeiten zur Eisnukleation erhofften sich die Fachleute langfristig ein besseres Verständnis der Prozesse.
Gehen in Island die Gletscher zurück, werden wir mehr Staubpartikel in der Luft haben.
Kristina Höhler
Chemikerin und Leiterin des CIS