Heidenheimer Zeitung

Forschung in der Wolkenkamm­er

Mal sehen sie bedrohlich-dunkel aus, mal plüschig-weich: Wolken ziehen seit Urzeiten über den Himmel und beeinfluss­en das Klima. Doch viele Fragen sind noch offen. Das soll sich bald ändern.

- Marco Krefting

In der Wolkenkamm­er könnte Kristina Höhler auch Corona-impfstoffe lagern. Auf bis zu minus 90 Grad abkühlbar ist die drei Stockwerke hohe Anlage des Karlsruher Instituts für Technologi­e (KIT). „Meist kühlen wir sie aber nur auf minus 20, minus 30 Grad“, sagt Höhler. Die Chemikerin und ihre Kollegen am Institut für Meteorolog­ie und Klimaforsc­hung interessie­ren sich dann auch weniger für Impfstoffe – sondern dafür, wie sich Wolken bilden.

Klingt simpel. Doch obwohl seit Millionen von Jahren Wolken über den Himmel ziehen, sind noch viele Fragen offen. Dabei geht es unter anderem um die Wolkenbild­ung und ihren Einfluss auf das Klima. „Insbesonde­re die Entstehung von Eispartike­ln in der Atmosphäre ist noch nicht hinreichen­d gut verstanden“, sagt Axel Seifert vom Deutschen Wetterdien­st (DWD). Als Beispiel nennt er die Wirkung der Aerosolpar­tikel als Eiskeime. Das werde zwar seit vielen Jahren untersucht. Jedoch sei der Fortschrit­t ausgesproc­hen langsam. Es handle sich um komplizier­te Phänomene, „die auch die Experiment­atoren an ihre Grenzen bringen“.

Solche Aerosol-wolken-prozesse untersuche­n die Kit-forscher in der deutschlan­dweit einzigarti­gen Wolkensimu­lationskam­mer Aida. Mehr als 80 Kubikmeter Luft passen dort hinein, die Wände sind eisbedeckt, wie Höhler erklärt. Dann werde zum Beispiel Wüstensand eingeleite­t und der Druck abgesenkt. Damit sinke auch die Temperatur und die Forscher können die Wolkenbild­ung beobachten – und vor allem messen. Anders als in der Natur schwirren dabei nicht noch Feinstaub, Pollen oder andere Partikel umher. „Das ist ein klarer Vorteil, wenn man nicht immer alles auf einmal untersuche­n muss“, sagt Höhler.

Sie leitet mit ihrem Kollegen Ottmar Möhler ein neu gegründete­s Zentrum CIS, an dem auch Forscher aus Leipzig, Großbritan­nien und Österreich beteiligt sind. Es ist Teil eines europaweit­en Projekts Actris zur Langzeitbe­obachtung von Aerosolen, Wolken und Spurengase­n.

Im Laufe dieses Jahres soll es losgehen. Dann wollen die Wissenscha­ftler unter anderem verschiede­ne Wolkenvari­ablen wie Flüssigkei­tsgehalt, Zahl und Größe von Eiskristal­len und die chemische Zusammense­tzung von Wolkenwass­er messen, wie Höhler sagt. Besonders im Fokus stehen die sogenannte­n eisnukleie­renden Partikel (in dem Wort steckt der lateinisch­e Begriff Nukleus für Kern). Denn selbst wenn es hoch oben am Himmel minus 20 Grad kalt ist, bilde sich nicht automatisc­h Eis, erklärt die Chemikerin. Die Vorbereitu­ngen sind auf fünf Jahre angesetzt, wie Höhler sagt. Geplant ist unter anderem ein möglichst flächendec­kender Aufbau nationaler Messstatio­nen. Auch mit Drohnen sollen mobile Plattforme­n in Wolken geflogen werden.

Wolken transporti­eren Wasser, reflektier­en Sonnenlich­t, verhindern aber auch, dass Wärme ins All abgeführt wird. Die Zahl ihrer Partikel und das Verhältnis von Wassertröp­fchen und Eis in ihnen schwanken. Global steigende Temperatur­en können zum Beispiel zur Folge haben, dass Wolken in anderen Höhen gebildet werden oder dass weniger oder mehr Wolkeneis entsteht. „Wenn in Island Gletscher zurückgehe­n, werden wir mehr

Staubparti­kel in der Luft haben“, sagt Höhler. Wenn in Regionen andere Pflanzen wachsen aufgrund höherer Temperatur­en, dann gebe es wieder andere Einträge in die Luft. All das habe Einfluss auf Wolken–- und diese wiederum auf das Klima. „Wir erwarten eine veränderte Wolkenbild­ung, die sich auf den Klimawande­l auswirkt.“

Wichtig für Meteorolog­en wären laut Dwd-experte Seifert auch genauere Erkenntnis­se zu optischen und mikrophysi­kalischen Eigenschaf­ten der Eispartike­l. Diese seien für viele Prozesse des Strahlungs­transports – also das Wärmen und Kühlen – sowie der Niederschl­agsbildung relevant. „Hier ist das Grundprobl­em die komplizier­te Geometrie der Eispartike­l, die eine exakte Beschreibu­ng unmöglich macht“, so Seifert. Es gehe darum, die Näherungen und Modelle immer weiter zu verbessern, auch wenn sie vielleicht nie perfekt sein werden.

Alsbald werden die Daten aus der Karlsruher Wolkenkamm­er aber noch keinen Einfluss auf die Wetterprog­nosen haben. „Die Wettermode­lle des DWD müssen global und zu jeder Jahreszeit gute Vorhersage­n liefern und hierfür benötigen wir robuste und erprobte Verfahren“, erklärt Seifert. Sehr wertvoll seien detaillier­te Wolkenbeob­achtungen etwa von Wolkenrada­r-systemen. „Diese Messungen nutzen wir für die Modellentw­icklung und Validierun­g, und betreiben auch an Observator­ien des DWD selbst derartige Messsystem­e“, so Seifert.

„Generell ist es ein weiter Weg von der akademisch­en Forschung hin zur operatione­llen Wettervorh­ersage“, erläutert er. Oft dauere es zehn Jahre oder länger, bis Ergebnisse aus dem Labor in die Anwendung kommen. Von den Arbeiten zur Eisnukleat­ion erhofften sich die Fachleute langfristi­g ein besseres Verständni­s der Prozesse.

Gehen in Island die Gletscher zurück, werden wir mehr Staubparti­kel in der Luft haben.

Kristina Höhler

Chemikerin und Leiterin des CIS

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Kristina Höhler forscht am KIT mit Hilfe eines Wolkensimu­lators.

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