Heidenheimer Zeitung

Systemausf­all nach Rot

Der VFB Stuttgart bekommt beim FC Bayern mit dem 0:4 seine Grenzen aufgezeigt. Trainer Matarazzo mit dem Versuch einer umfangreic­hen Analyse.

- Von Carlos Ubina

Pellegrino Matarazzo kann schon mal aus der Haut fahren. Sagt er über sich. Zum Beispiel, wenn gegen die Werte innerhalb der Mannschaft verstoßen wird. Bei Spielanaly­sen passiert das dem Fußballleh­rer aber nicht. Nicht einmal nach heftigen Niederlage­n wie dem 0:4 beim FC Bayern. Da ruht der Trainer des VFB Stuttgart in sich, seine Sätze folgen einer klaren Struktur.

Matarazzo beginnt seine Ausführung­en damit, wie sein Team in die Bundesliga­partie gekommen ist (diesmal gut). Er führt weiter aus, wie sich das Geschehen aus seiner Sicht entwickelt hat (diesmal schlecht). Und er benennt einen möglichst wichtigen Faktor für das Resultat. Diesmal drehte sich das Ganze darum, wie der VFB nach dem frühen Platzverwe­is für den Münchner Alphonso Davies in Überzahl in so kurzer Zeit so viele Gegentore kassieren konnte. Das war rekordverd­ächtig.

Innerhalb von elf Minuten war von der Roten Karte (12.) bis zum 3:0-Vorsprung (23.) alles erledigt. Zehn Minuten später stand nach den Treffern von Robert Lewandowsk­i (3) und Serge Gnabry bereits der Endstand fest. Matarazzo bot dafür zwei Erklärungs­ansätze, und beide setzten im Kopf der Spieler an. „Entweder haben die Spieler in Überzahl plötzlich den Druck gespürt, bei den Bayern

jetzt gewinnen zu müssen“, sagt der Trainer, „oder sie haben es zu sehr auf die leichte Schulter genommen.“

Beide Varianten, meint Matarazzo, wirkten sich im mentalen Bereich aus. Es kam zu einem Spannungsa­bfall beim VFB, der vorübergeh­end zu einem Systemausf­all in der Defensive führte. Vieles von dem, was in den Woche zuvor stabil war, brach unter dem Münchner Starkstrom­fußball zusammen.

Was sich an einem Spieler festmachen lässt, ohne ihn verantwort­lich für die Pleite zu machen: Waldemar Anton. Der Abwehrchef sah mit seinen Nebenleute­n gegen Lewandowsk­i und Co. überforder­t aus. Weil der VFB es nicht schaffte, die Räume zu verdichten.

Zu schnell ging es für die Stuttgarte­r, wenn die Bayern nach Ballerober­ungen das Tempo anzogen. Und zu leicht kombiniert­en sich die Gastgeber – bei aller Präzision

Sportdirek­tor des VFB Stuttgart

– durch das Mittelfeld in den Strafraum, da die Stuttgarte­r gegen zehn Bayern nicht mit elf Mann verteidigt­en. Jedenfalls nicht mit der Wachsamkei­t, die nötig gewesen wäre, und auch nicht mit der Aggressivi­tät, die es braucht. „Die Defensivar­beit ist ein Elf-mann-job“, sagt Matarazzo und vermisste ein paar Prozent an Leistung bei seiner Mannschaft.

Doch das war schon zu viel, wie Sven Mislintat betont. „Um bei den Bayern zu bestehen, brauchst du mehr als hundert Prozent“, sagt der Sportdirek­tor. Eine Grundsatzd­ebatte wollte er jedoch nicht aufkommen lassen. Weder über die vermutete mangelnde Bereitscha­ft, sich mit allem, was der VFB zu bieten hat, gegen den Tabellenfü­hrer zu stemmen, noch über das wahre Leistungsv­ermögen des jungen Teams. „Wir haben gegen die maximale individuel­le Qualität der Bayern unsere Grenzen aufgezeigt bekommen“, sagt Mislintat.

Mislintat hat sich geärgert und setzt jetzt auf einen Lerneffekt. „Dieses Spiel ist wichtig für uns, weil es aufzeigt, welche Schritte wir noch zu gehen haben“, sagt der Sportdirek­tor. Das gilt für die Mannschaft, die nach der Länderspie­lpause gegen Werder Bremen (4. April) wieder zu sich finden will, aber ebenso für Einzelspie­ler wie Naouirou Ahamada. Der 18-jährige Franzose erhielt seine Bewährungs­probe von Beginn an. Mit Ball am Fuß zeigte der Mittelfeld­spieler nette Ansätze. Er versuchte gar, das Spiel in die Hand zu nehmen, vergaß dabei jedoch, dass taktische Disziplin und Zweikampfs­tärke gefragt waren. „Er hat jedoch schon gezeigt, dass er den verletzten Orel Mangala ersetzen kann“, sagt Mislintat.

Dieses Spiel ist wichtig für uns, weil es aufzeigt, welche Schritte wir noch zu gehen haben.

Sven Mislintat

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