Systemausfall nach Rot
Der VFB Stuttgart bekommt beim FC Bayern mit dem 0:4 seine Grenzen aufgezeigt. Trainer Matarazzo mit dem Versuch einer umfangreichen Analyse.
Pellegrino Matarazzo kann schon mal aus der Haut fahren. Sagt er über sich. Zum Beispiel, wenn gegen die Werte innerhalb der Mannschaft verstoßen wird. Bei Spielanalysen passiert das dem Fußballlehrer aber nicht. Nicht einmal nach heftigen Niederlagen wie dem 0:4 beim FC Bayern. Da ruht der Trainer des VFB Stuttgart in sich, seine Sätze folgen einer klaren Struktur.
Matarazzo beginnt seine Ausführungen damit, wie sein Team in die Bundesligapartie gekommen ist (diesmal gut). Er führt weiter aus, wie sich das Geschehen aus seiner Sicht entwickelt hat (diesmal schlecht). Und er benennt einen möglichst wichtigen Faktor für das Resultat. Diesmal drehte sich das Ganze darum, wie der VFB nach dem frühen Platzverweis für den Münchner Alphonso Davies in Überzahl in so kurzer Zeit so viele Gegentore kassieren konnte. Das war rekordverdächtig.
Innerhalb von elf Minuten war von der Roten Karte (12.) bis zum 3:0-Vorsprung (23.) alles erledigt. Zehn Minuten später stand nach den Treffern von Robert Lewandowski (3) und Serge Gnabry bereits der Endstand fest. Matarazzo bot dafür zwei Erklärungsansätze, und beide setzten im Kopf der Spieler an. „Entweder haben die Spieler in Überzahl plötzlich den Druck gespürt, bei den Bayern
jetzt gewinnen zu müssen“, sagt der Trainer, „oder sie haben es zu sehr auf die leichte Schulter genommen.“
Beide Varianten, meint Matarazzo, wirkten sich im mentalen Bereich aus. Es kam zu einem Spannungsabfall beim VFB, der vorübergehend zu einem Systemausfall in der Defensive führte. Vieles von dem, was in den Woche zuvor stabil war, brach unter dem Münchner Starkstromfußball zusammen.
Was sich an einem Spieler festmachen lässt, ohne ihn verantwortlich für die Pleite zu machen: Waldemar Anton. Der Abwehrchef sah mit seinen Nebenleuten gegen Lewandowski und Co. überfordert aus. Weil der VFB es nicht schaffte, die Räume zu verdichten.
Zu schnell ging es für die Stuttgarter, wenn die Bayern nach Balleroberungen das Tempo anzogen. Und zu leicht kombinierten sich die Gastgeber – bei aller Präzision
Sportdirektor des VFB Stuttgart
– durch das Mittelfeld in den Strafraum, da die Stuttgarter gegen zehn Bayern nicht mit elf Mann verteidigten. Jedenfalls nicht mit der Wachsamkeit, die nötig gewesen wäre, und auch nicht mit der Aggressivität, die es braucht. „Die Defensivarbeit ist ein Elf-mann-job“, sagt Matarazzo und vermisste ein paar Prozent an Leistung bei seiner Mannschaft.
Doch das war schon zu viel, wie Sven Mislintat betont. „Um bei den Bayern zu bestehen, brauchst du mehr als hundert Prozent“, sagt der Sportdirektor. Eine Grundsatzdebatte wollte er jedoch nicht aufkommen lassen. Weder über die vermutete mangelnde Bereitschaft, sich mit allem, was der VFB zu bieten hat, gegen den Tabellenführer zu stemmen, noch über das wahre Leistungsvermögen des jungen Teams. „Wir haben gegen die maximale individuelle Qualität der Bayern unsere Grenzen aufgezeigt bekommen“, sagt Mislintat.
Mislintat hat sich geärgert und setzt jetzt auf einen Lerneffekt. „Dieses Spiel ist wichtig für uns, weil es aufzeigt, welche Schritte wir noch zu gehen haben“, sagt der Sportdirektor. Das gilt für die Mannschaft, die nach der Länderspielpause gegen Werder Bremen (4. April) wieder zu sich finden will, aber ebenso für Einzelspieler wie Naouirou Ahamada. Der 18-jährige Franzose erhielt seine Bewährungsprobe von Beginn an. Mit Ball am Fuß zeigte der Mittelfeldspieler nette Ansätze. Er versuchte gar, das Spiel in die Hand zu nehmen, vergaß dabei jedoch, dass taktische Disziplin und Zweikampfstärke gefragt waren. „Er hat jedoch schon gezeigt, dass er den verletzten Orel Mangala ersetzen kann“, sagt Mislintat.
Dieses Spiel ist wichtig für uns, weil es aufzeigt, welche Schritte wir noch zu gehen haben.
Sven Mislintat