Mord an der Voith-arena: Ein System gerät ins Wanken
Eine Tote aus der Fanszene des 1. FC Heidenheim wird für die Ermittlerin zur Zeitreise in ihre eigene Vergangenheit. Autor Jürgen Neff nimmt diese Szenerie zum Anlass, hinter die Kulissen eines Millionengeschäftes zu blicken.
Ein Mord ist geschehen. Was ihn besonders macht, ist, dass es sich bei der Getöteten um eine Größe der Ultra-szene des 1. FC Heidenheim handelt. Ein Milieumord also? Um das zu klären, wird die Kriminalbeamtin Nina Schätzle auf den Fall angesetzt. Die wollte wegen zu vieler schlechter Erfahrungen aus ihrem „ersten Leben“eigentlich nie wieder ein Fußballstadion betreten. Doch bei dem Opfer handelt es sich um eine ehemals beste Freundin. Die Ermittlerin arbeitet den Mord auf, und damit auch ihre eigene Vergangenheit, wegen der sie bis heute in einer tiefen Krise steckt. Autor Jürgen Neff bringt seine Hauptfigur in seinem Krimi „Blutgrätsche“damit in die schlimmste nur denkbare Lage. Warum gerade in Heidenheim gemordet wurde, wie viel Drama im Fußball steckt und warum er so mächtig ist, beantwortet der gebürtige Biberacher und heutige Wahl-hamburger im Interview:
Wenn man die „Blutgrätsche“liest, dann fällt einem die Detailtreue auf, was Namen, Straßen und Kneipennamen angeht. Wie haben Sie sich denn auf das Schreiben des Krimis vorbereitet?
Jürgen Neff: Ich bin von Hamburg nach Heidenheim gereist. Anlass dazu war ein Spiel des FCH, allerdings nicht gegen den HSV oder gegen St. Pauli, sondern gegen Nürnberg, das ich mir gemeinsam mit meinem Schwager angesehen habe. Da ich sowieso auf der Suche nach einem neuen Stoff war, kam der hochemotionale Fußball mit seinen Höhen und Tiefen wie gerufen. Natürlich habe ich auch ein paar gute Freunde in Heidenheim, die quasi als „Informanten“tätig waren und mir zum Beispiel den Namen einer geeigneten Kneipe nannten, in der meine Protagonisten öfter zusammenkommen können.
Wie weit war denn Ihre Geschichte zum Schlusspfiff?
Gute Frage. Zum Ende des Spiels war zumindest schon klar, wer getötet wird. Außerdem wusste ich, dass der Krimi eine weibliche Protagonistin haben wird, die selbst aus der Fan-szene stammt. So hatte ich eine „Agentin“, die sich im Milieu auskennt.
Sind das die besten Geschichten, in denen Aussteiger in ihrem alten Umfeld ermitteln?
Wenigstens ist es ein großer Vorteil, da derjenige sich auskennt. Und auch deshalb, weil es damit automatisch einen emotionalen Bezug für ihn gibt. So schwindet automatisch die professionelle Distanz. Das macht es spannender. Auf einmal ist es nicht mehr nur irgendein Mord, sondern der an einer ehemaligen Freundin.
Hätte es auch jeden anderen Verein treffen können, wäre Ihr Schwager nicht Fan des 1. FCH?
So gesehen ja. Ehrlicherweise muss ich aber dazusagen, dass er mir schon ein Jahr lang vom Verein erzählt hatte. Heidenheim war mir bis dahin bereits als St.-pauli-konkurrent bekannt. So hatte ich Kontakte zu Fans erhalten und konnte mich in die Struktur des Vereins einarbeiten. Was mich dabei besonders beeindruckte, war das „familiäre Feeling“, das nicht jeder Verein für sich beanspruchen kann.
Stichwort Feeling: In einigen Kapiteln vergleichen Sie ein Verhör mit einem Fußballspiel. So liest man zwischen den Fragen der Kripo-beamten und den Antworten des Verhörten Gedankenfetzen wie „Anpfiff, das Stadion bebt“und „Erster Schuss der Gastmannschaft aufs Tor“. Haben ein Verhör und eine Fußballpartie so viel gemeinsam?
Das war der Ansatz, ja. Die Metapher funktioniert, weil der Krimi aus der Ich-perspektive der Protagonistin erzählt ist und diese auch fußball-affin ist. In dem Verhör taktet sie so das Kommunikations-spiel imaginär mit. Aus meinem Beruf als Konflikt-coach weiß ich auch, dass dieser Vergleich sehr gut zieht. Denn wenn Sie beobachten, wie Menschen sich in Konflikten verhalten, dann werden auch hier meist nur verbale Kämpfe ausgetragen. Und so schließt sich dann der Kreis zum Fußballspiel, welches ja auch nichts anderes ist als ein Angriffs- und Verteidigungskampf.
Kämpfe führen ja meist zu dramatischen Handlungen. Wie viel klassisches Drama steckt denn Ihrer Meinung nach im Fußball?
Günter Netzer sagte einmal sinngemäß, Fußball sei Drama, Tragödie, Rachsucht und Leidenschaft. Ich glaube, dass das absolut stimmt. Letzten Endes geht es ja beim Drama auch darum, dass es einen Konflikt gibt, der am Ende – in welcher Form auch immer – gelöst sein muss. Und da es beim Fußball grundsätzlich ums Gewinnen geht, kann der Konflikt auch prinzipiell nicht durch einen Kompromiss gelöst werden: Es müssen eben Tore geschossen werden und einer muss siegen. Genauso übrigens, wenn zwei Menschen wirklich miteinander streiten. Da müssen es eben verbale Tore sein.
Also eher Tragödie oder Komödie?
Zur Tragödie wird es dann, wenn zum Beispiel ein Eigentor passiert. Das ist dann wie bei Ödipus: Man denkt, man tut das Richtige, dabei ist es genau das Falsche. Aber die Grenze zur Komödie ist dünn. Schließlich bietet auch das Eigentor Fläche zur Belustigung.
Da wir bei Falschem sind: Auf einer Seite lese ich die Schlagzeile „Mahnwache auf dem Schlossberg“des Heidenheimer Abendblatts. Ich wusste nicht, dass wir in Heidenheim ein Konkurrenzblatt haben.
Das wussten Sie nicht? (lacht) Tatsächlich ist das einfach so passiert. Ich hatte zwar noch mal abschließend recherchiert, aber zu dem Zeitpunkt stand es schon im Krimi und ich habe es stehen lassen – als einen charmanten Anker, der anzeigt, dass das alles Fiktion ist. Die Gefahr bei eine solchen Buch ist ja schon gegeben, dass es zu real wirkt. Beispielsweise kommt auch Holger Sannwald vor, allerdings nicht als handelnder Charakter. Alle handelnden Figuren sind tatsächlich rein fiktiv. Das ist mir auch wichtig, weil es nicht um reale Sachverhalte geht, sondern um eine erdachte Geschichte.
Apropos Presse: „Miese Presse – Ich hau Dir in die Fresse“heißt ein weiteres Kapitel. Darin geht es um den DFB, der wegen der schleppenden Morduntersuchungen ein anderes Ermittlerteam haben möchte. So gesehen ein unglaublicher Vorgang. Wie mächtig ist denn „König Fußball“in Deutschland?
Sehen Sie doch in die Welt hinein. Aktuell liest man extrem viel darüber, wie sehr Fußballer den Realitätsbezug verloren haben. Wenn sich zum Beispiel ein Karlheinz Rummenigge darüber aufregt, dass ein Flugzeug nicht dann starten darf, wann er es für richtig hält, dann ist das für mich schon ein Beweis dafür, dass das stimmt. Jetzt sagt die FIFA auch noch, dass sie nur dort Spiele bei der nächsten Europameisterschaft zulassen will, wo auch Fans ins Stadion dürfen. Einerseits extrem realitätsverachtend, und auf der anderen Seite findet gerade trotzdem die Bundesliga statt, wenngleich ohne Zuschauer. Von daher muss es also schon ein gewisses Machtpotenzial geben.
Nun heizt sich auch die Stimmung im Krimi immer weiter auf, befeuert von der Presse, von Fanblogs und den Sozialen Medien. Gibt es auch hier reale Bezüge?
Alle Akteure der Handlung, und das war mir ein großes Anliegen, tragen natürlich auch in der realen Welt zur Faszination des Phänomens Fußball bei. Und heizen auf der anderen Seite zugleich die Stimmung permanent an. Die Konkurrenz wird immer härter, die Ultras immer lauter, die Polizei deswegen immer restriktiver. Und auch die Medien wissen, dass nur eine spektakuläre Schlagzeile ordentlich zieht. Der DFB hat jetzt erst eine Chance verpasst, das alles zu regulieren. An was der Fußball letztendlich sterben wird, an der Pervertierung seiner Vermarktung, an der Chancenungleichheit zwischen den großen und weniger finanzkräftigen Vereinen oder an dem Verlust an Attraktivität wegen der Geisterspiele, ist dabei irrelevant.
Geht es also auf den 375 Seiten doch nicht so sehr um einen fiktiven Mord in der Fan-szene?
Am wichtigsten war mir nicht der 1. FC Heidenheim und seine spezielle Fan- und Ultra-szene. Mir ging es in erster Linie um die Faszination am Fußball allgemein, und um die verschiedenen und doch so ähnlichen Haltungen aller Beteiligten in diesem System, Vereine, Fans, Medien und Sicherheitskräfte, also um das Spiel hinter dem Spiel. Denn alle Beteiligten tragen gleichermaßen dazu bei, dass der Fußball toll und gefährlich zugleich ist. Viel Potenzial für Drama, Tragödie und Komödie.