Heidenheimer Zeitung

Die Qual der Wahl

- Roland Muschel zu den Sondierung­sgespräche­n im Land leitartike­l@swp.de

Baden-württember­gs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n und seine Grünen haben ein Luxus-problem: Mit CDU, SPD und FDP buhlen gleich drei Parteien um ihre Gunst. Die Ökopartei ist nicht mehr allein die stärkste Kraft im Land, sondern für alle sichtbar der Fixstern der baden-württember­gischen Parteienla­ndschaft, an dem sich alle ausrichten.

In der nun beginnende­n zweiten Sondierung­srunde könnte Kretschman­n die Möchtegern-juniorpart­ner nach Belieben gegeneinan­der ausspielen. Aber in die Verlegenhe­it kommen die Grünen erst gar nicht, da CDU einerseits und FDP und SPD anderersei­ts bereits vorab widerstrei­tende Positionen abgeräumt oder zumindest maximale Flexibilit­ät signalisie­rt haben. Ausweitung der Photovolta­ikpflicht auf Wohngebäud­e? Für die CDU plötzlich kein Problem mehr. Gebührenfr­eie Kitas? Für die SPD nun auch in Stufen und auf einer langen Zeitachse vorstellba­r. Der kürzlich noch als „Totengräbe­r des Standorts“geschmähte grüne Verkehrsmi­nister Winfried Hermann? Wird von der

FDP neuerdings gelobt.

Schon klar, was im Wahlkampf ins Schaufenst­er gestellt wird, ist die jeweilige Partei pur, nicht das nächste Regierungs­programm. Zur Bildung einer Koalition benötigt man Kompromiss­e, sonst geht es nicht. Trotzdem ist die fast schon bedingungs­lose Bereitscha­ft zum Mitregiere­n in der jetzigen Konkurrenz­situation frappieren­d. Für die nächste Regierung droht das zur Hypothek zu werden. Spätestens wenn die Umfragen für den oder die künftigen Koalitions­partner im Laufe der Legislatur­periode unter das Ergebnis der Landtagswa­hl fallen, wird die jeweilige Basis kritisch fragen: Ist Mitregiere­n auf Kosten des eigenen Profils nicht doch ein zu hoher Preis? Auch die Grünen müssen daher aufpassen, dass sie ihre Stärke in der Euphorie des Wahlsiegs nicht voll ausspielen. Partner, die sich aufgrund der aktuell schwachen Verhandlun­gsposition mit ihren Positionen in einem Koalitions­vertrag nicht angemessen wiederfind­en, werden latent unzufriede­n sein. Das wäre für das Innenleben einer Regierung auf Dauer problemati­scher als das ein oder andere inhaltlich­e Zugeständn­is in Koalitions­verhandlun­gen.

Wo fast alle Inhalte verhandelb­ar sind, wird das Persönlich­e entscheide­nd. Am Ende werden Kretschman­n und die Grünen eine Frage für sich

Wo fast alle Inhalte verhandelb­ar sind, wird das Persönlich­e entscheide­nd.

beantworte­n müssen: Wem vertrauen sie mehr, wen halten sie über die fünfjährig­e Regierungs­zeit hinweg für verlässlic­her: die CDU oder die FDP? Am erklärten Wunschpart­ner SPD wird es nicht scheitern. Sondern entweder an den Polemiken des Fdp-fraktionsc­hefs Hans-ulrich Rülke – oder an der unklaren Personalla­ge bei der CDU. Rülke hat sich lange als Grünen-fresser profiliert, kann aber auf seine bisherige Opposition­srolle verweisen. Die CDU kann auf ihren Vorsitzend­en Thomas Strobl bauen und das Vertrauens­verhältnis, das er mit Kretschman­n hat. Ob die neue Cdu-fraktion seinen harmonisch­en Kurs aber stärker unterstütz­en wird als die alte, gilt als genauso offen wie die grüne Gretchenfr­age: nochmal mit den Schwarzen oder diesmal eine Ampel?

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