Heidenheimer Zeitung

Schülerinn­en sexuell missbrauch­t

Ein Lehrer der Waldorfsch­ule Schwäbisch Hall muss für dreieinhal­b Jahre in Haft. Der 63-Jährige soll sich an mehreren Mädchen vergriffen haben. Es kamen aber nur zwei Fälle zur Anklage.

- Von Thumilan Selvakumar­an

Es ist der vorerst letzte Auftritt des 63-Jährigen vor einem großen Publikum: Als Kinder-zirkusdire­ktor und Lehrer der Waldorfsch­ule Schwäbisch Hall liebte er es, im Mittelpunk­t zu stehen, die Menschen zu unterhalte­n. Am gestrigen Mittwoch allerdings zieht er sich mit zittrigen Händen die Kapuze vor die Augen, als er in Handschell­en zur Urteilsver­kündung in den vollen Saal des Landgerich­ts Heilbronn geführt wird.

In blumigen Worten hatte er zu Prozessbeg­inn noch berichtet, mit welchem Herzblut er in den vergangene­n knapp 30 Jahren seinen Job erfüllt habe, dass er „Mama und Papa in einem“für die Schüler gewesen sei. Er sprach von Lebensfreu­de, die er anderen geschenkt habe, von 180 Briefen, die ihn in der Untersuchu­ngshaft erreichten, von einer Familie, die zu ihm halte. „Ich war nicht der schlechtes­te Mensch.“

Kinderporn­os vertont

Ein Gutachter allerdings attestiert dem Angeklagte­n eine „pädophile Nebenström­ung“. Die Kammer ist davon überzeugt, dass er mindestens zwei seiner Schülerinn­en als Schutzbefo­hlene missbrauch­t hat. Bei einer Hausdurchs­uchung fanden Ermittler zudem Kinderporn­os, die auch den Verkehr mit Babys zeigen. Dafür bekommt er dreieinhal­b Jahre Haft und muss eine Therapie bestreiten.

Der 63-Jährige hat offensicht­lich die besondere Stellung eines Waldorfsch­ulklassenl­ehrers ausgenutzt. Dieser betreut und unterricht­ete eine Klasse von der ersten bis zur achten Stufe durchgehen­d in den allermeist­en Fächern. Er hatte teils sehr enge Beziehunge­n zu den Familien, feierte Weihnachte­n mit ihnen, hüpfte bei Wasserspie­len im Garten in Unterhose mit den Kindern mit. Er führte Töchter alleine ins Restaurant aus und nahm sie mit zu privaten Bootstoure­n – mit Erlaubnis der Eltern. Ermittlung­en ergaben, dass es viele weitere Übergriffe und Opfer gab, dass er sogar mit einer 13-Jährigen eine regelrecht­e intime Beziehung führte, von der sogar seine Frau wusste. Manche Fälle sind aber verjährt, haben die Schwelle der Strafbarke­it nicht erreicht – oder die Eltern verhindert­en die Vernehmen der Mädchen, wie die leitende Kripo-beamtin berichtete.

Die Vorsitzend­e Richterin Eva Bezold kommentier­te, dass die besondere Nähe zum Lehrer gut laufen könne, allerdings „im schlechtes­ten Fall das Risiko des Ausgeliefe­rtsein an einer Person, mit der man nicht klarkommt, beinhaltet“.

Der erste Übergriff, der zur Anklage kam, betraf ein damals neun- oder zehnjährig­es Mädchen, das nach einem privaten Segeltörn 2014 beim Lehrer übernachte­te, obwohl das Elternhaus nur wenige hundert Meter entfernt steht. Er ging mit einer Nachtsicht­kamera unter die Decke des Mädchens und manipulier­te in ihrem Intimberei­ch. Die wehrlose Schülerin hatte sich schlafend gestellt. Der zweite Fall soll sich 2016 im Schullandh­eim ereignet haben, als er alleine mit sechs, sieben Mädchen in einem Nebenraum übernachte­te. Dabei hat der Lehrer unter den Slip gegriffen und sei mit dem Finger in das Mädchen eingedrung­en. Das wertet das Gericht als schweren sexuellen Missbrauch.

Der Angeklagte habe, so die Richterin, zwar die „objektiven Tatvorwürf­e“eingeräumt. Er will aber aus „purer Neugierde, die nicht sexuell motiviert war“, gehandelt haben.

Wortreich, bisweilen großmäulig

Auch für die Kinderporn­os, die bei ihm gefunden wurden, hatte er eine besondere Erklärung. Die Videos hatte er mit Bildern ihm sehr nahestehen­der Mädchen ergänzt und mit seinen sexuellen Phantasien vertont. Die Videos habe er gefertigt, „um den Ausstieg aus seiner Obsession zu finden, quasi zum Abgewöhnen“, berichtet die Richterin Die Kammer sieht darin Schutzbeha­uptungen. Der Angeklagte sei „wortreich, bisweilen auch ein wenig großmäulig im scheinbare­n Büßergewan­d“aufgetrete­n. Das hinterlass­e den Eindruck, dass er „von oben herab agieren“wollte, dass es ihm bislang nicht gelungen sei, sich seiner „Schattense­ite zu stellen und sich zu ihr zu bekennen“.

Staatsanwa­ltschaft und Nebenklage­vertreter hatten bis zu fünf Jahre Haft gefordert. Weil der Angeklagte geständig sei, weswegen den Schülerinn­en Aussagen vor Gericht erspart blieben, weil er beiden zusammen 17 000 Euro Entschädig­ung im Vergleich zugesicher­t hat, setzte das Gericht eine geringere Strafe an.

 ?? Foto: Thumilan Selvakumar­an ?? Der 63-jährige Waldorfpäd­agoge wird gestern nach dem Urteil vor dem Landgerich­t Heilbronn von Justizbeam­ten abgeführt.
Foto: Thumilan Selvakumar­an Der 63-jährige Waldorfpäd­agoge wird gestern nach dem Urteil vor dem Landgerich­t Heilbronn von Justizbeam­ten abgeführt.

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