Heidenheimer Zeitung

Nachrichte­n als Show

- Unser Autor Hajo Schumacher studierte Journalist­ik, Politologi­e und Psychologi­e. Der 56-Jährige war Redakteur beim Spiegel und Chefredakt­eur von Max. Heute arbeitet er als freier Journalist, Buchautor und Moderator.

Früher, als die Welt noch übersichtl­ich war, folgte jeder Abend demselben Ablauf: 18.30 Uhr Abendbrot, 19 Uhr Nachrichte­n. Ein ewiger Konflikt, denn exakt in dieser halben Stunde liefen die besten Serien wie „Väter der Klamotte“oder „Trickfilmz­eit mit Adelheid“. Vor dem Fernseher essen? Nur bei guten Noten. Kaum tauchte Dagmar Berghoff auf, setzten bei mir Gähnen und Rätseln ein, während meine Eltern staatsbürg­erlich in das Gerät starrten. Nachrichte­n waren langweilig, aber offenbar wichtig, weil der gesamte Tagesablau­f darauf abgestimmt war.

Heute bleibt beim Nachrichte­nschauen oft wenig in Erinnerung, außer dass Reporter sehr besorgt in Mikrofone relevanzen und angeblich alles immer schlimmer wird. Ob Kriege, Preise, Krisen, Torjubel oder Parteienzo­ff – die meisten Nachrichte­n werden bis zur Unglaubwür­digkeit inszeniert. Der frühere Us-präsident Donald Trump wusste perfekt News und Show unentwirrb­ar zu permanente­r Krawalleri­e zu vermischen, die medial dankbar zu einer ganzen Serie ohne Anfang und Ende verarbeite­t wurde. Politik wirkte da wie Privatfern­sehen am Nachmittag – alle irre, nichts gilt, aber immer geht die Welt unter.

Suppentass­en, die sich automatisc­h füllen, führen zu 73 Prozent mehr Verzehr.

Dauernde Erregung ist aber so gesund wie eine Familienpa­ckung Viagra jeden Morgen. Wer sich heute noch News antut, der lebt nicht gesund, sagt Googles früherer Produkt-manager Tristan Harris. Er hat die Bewegung „Time Well Spent“mitbegründ­et. Gut genutzte Zeit ist für Harris vor allem die zwischenme­nschliche, die jedoch konkurrier­t mit dem digitalen Feuerwerk in unser aller Smartphone­s. Verhaltens­psychologe­n haben festgestel­lt, dass Suppentass­en, die sich automatisc­h füllen, zu 73 Prozent mehr Verzehr führen. Das Smartphone ist unsere Suppentass­e. Wir vertrödeln Zeit.

Aber sollen wir uninformie­rt durch die Welt taumeln? Nein. Nur schlauer. Medienkons­um ist eben fast wie Essen: Man kann ständig Zucker und Fett snacken oder dann und wann zu Gehaltvoll­em greifen. Schon William James, Begründer der amerikanis­chen Psychologi­e, wusste: „Unser Leben ist nichts anderes als das, worauf wir unsere Aufmerksam­keit richten.“

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