Organisiert untätig
War was? Ernste Gesichter, sorgenvolle Äußerungen, Warnungen vor gefährlichen Mutanten: Die dritte Corona-welle, da sind sich alle Politiker verbal einig, türmt sich bedrohlich auf. Nur mit den Gegenmaßnahmen, also echter Politik, da ist es so eine Sache. Ausgangssperre, Osterruhe, Massentests? Schwierig. Geht nicht. Will keiner so recht. Schneller impfen? Auch schwierig. Nach einer Woche der Orientierungslosigkeit bleibt aus Berlin nicht mehr als die Botschaft: Macht euren Kram doch alleine, auf Länder- oder Kreisebene.
Abseits von Frust und Galgenhumor stellt sich ernsthaft die Frage: Kann man das eigentlich noch „regieren“nennen? Oder passt nicht viel eher der vom Soziologen Ulrich Beck geprägte Begriff der „organisierten Unverantwortlichkeit“? Und wie symptomatisch ist das für die Republik?
Organisierte Unverantwortlichkeit, das heißt: Alle reden mit, alles läuft nach Vorschrift, und am Ende will’s doch keiner gewesen sein. Im Zweifel war man nicht zuständig. Wie Gesundheitsminister Jens Spahn, der verblüfft fragt, warum ausgerechnet er Millionen Schnelltests für die ausgelobte Test-offensive hätte bestellen sollen. Oder Außenminister Heiko Maas, dessen Auswärtiges Amt kurz vor Ostern die Reisewarnung für Mallorca aufhebt und die eigene Regierung in Aufruhr versetzt. Was hätte Maas als oberster Dienstherr da nur machen sollen? Es sind ja nur seine Beamten, und es gibt ja Vorschriften.
Angela Merkels Fehler-eingeständnis wurde viel diskutiert. Doch skandalös ist nicht, dass man einen Fehler und dann einen Rückzieher macht – sondern, dass nun nach all der Aufwallung quasi nichts passiert, um die dritte Welle einzudämmen. Die Länder sollen es regeln. Das lässt sich das Saarland nicht zweimal sagen.
Es ist nicht nur die Methode Merkel, die in der Corona-krise versagt: Stets Konsens suchen, Konflikte vermeiden, den Weg des geringsten Widerstands wählen, das hat die Kanzlerin perfektioniert. Doch die Sehnsucht nach Stabilität ist auch Teil unserer politischen DNA. Der föderale Interessensausgleich, das komplexe Verwaltungsrecht, das viele Kleinklein funktioniert prima, um Besitzstände zu verwalten. In der Krise – und generell in einer Welt sich beschleunigenden Wandels – kann es in Trägheit und Lähmung enden. Im gemeinsamen
Alle reden mit, alles läuft nach Vorschrift, und am Ende war dann doch keiner zuständig oder verantwortlich.
Terrorabwehrzentrum reden 40 Sicherheitsbehörden über den Gefährder Anis Amri – um sich nach seinem Anschlag gegenseitig die Schuld zuzuschieben. Zum Wirecardskandal lagen viele Hinweise bei Banken und Behörden vor. Die beste Ausrede der Aufsicht Bafin? Sie ahnen es: Man fühlte sich nicht zuständig.
So bleibt der Eindruck, dass eine Kruste aus föderalem Miteinander und Bürokratismus die Politik erstickt, wenn etwas mal schnell gehen muss oder nicht in Paragraphen steht. Wie eine Pandemie zum Beispiel. Angela Merkel hat jetzt die Städte aufgerufen, sich das „Tübinger Modell“zum Vorbild zu nehmen. Dabei sagt OB Boris Palmer selbst: Hätte er sich an alle Vorschriften gehalten, hätte das Modell nie so funktioniert.