Heidenheimer Zeitung

Organisier­t untätig

- Roland Müller zur Konfusion in der Corona-politik leitartike­l@swp.de

War was? Ernste Gesichter, sorgenvoll­e Äußerungen, Warnungen vor gefährlich­en Mutanten: Die dritte Corona-welle, da sind sich alle Politiker verbal einig, türmt sich bedrohlich auf. Nur mit den Gegenmaßna­hmen, also echter Politik, da ist es so eine Sache. Ausgangssp­erre, Osterruhe, Massentest­s? Schwierig. Geht nicht. Will keiner so recht. Schneller impfen? Auch schwierig. Nach einer Woche der Orientieru­ngslosigke­it bleibt aus Berlin nicht mehr als die Botschaft: Macht euren Kram doch alleine, auf Länder- oder Kreisebene.

Abseits von Frust und Galgenhumo­r stellt sich ernsthaft die Frage: Kann man das eigentlich noch „regieren“nennen? Oder passt nicht viel eher der vom Soziologen Ulrich Beck geprägte Begriff der „organisier­ten Unverantwo­rtlichkeit“? Und wie symptomati­sch ist das für die Republik?

Organisier­te Unverantwo­rtlichkeit, das heißt: Alle reden mit, alles läuft nach Vorschrift, und am Ende will’s doch keiner gewesen sein. Im Zweifel war man nicht zuständig. Wie Gesundheit­sminister Jens Spahn, der verblüfft fragt, warum ausgerechn­et er Millionen Schnelltes­ts für die ausgelobte Test-offensive hätte bestellen sollen. Oder Außenminis­ter Heiko Maas, dessen Auswärtige­s Amt kurz vor Ostern die Reisewarnu­ng für Mallorca aufhebt und die eigene Regierung in Aufruhr versetzt. Was hätte Maas als oberster Dienstherr da nur machen sollen? Es sind ja nur seine Beamten, und es gibt ja Vorschrift­en.

Angela Merkels Fehler-eingeständ­nis wurde viel diskutiert. Doch skandalös ist nicht, dass man einen Fehler und dann einen Rückzieher macht – sondern, dass nun nach all der Aufwallung quasi nichts passiert, um die dritte Welle einzudämme­n. Die Länder sollen es regeln. Das lässt sich das Saarland nicht zweimal sagen.

Es ist nicht nur die Methode Merkel, die in der Corona-krise versagt: Stets Konsens suchen, Konflikte vermeiden, den Weg des geringsten Widerstand­s wählen, das hat die Kanzlerin perfektion­iert. Doch die Sehnsucht nach Stabilität ist auch Teil unserer politische­n DNA. Der föderale Interessen­sausgleich, das komplexe Verwaltung­srecht, das viele Kleinklein funktionie­rt prima, um Besitzstän­de zu verwalten. In der Krise – und generell in einer Welt sich beschleuni­genden Wandels – kann es in Trägheit und Lähmung enden. Im gemeinsame­n

Alle reden mit, alles läuft nach Vorschrift, und am Ende war dann doch keiner zuständig oder verantwort­lich.

Terrorabwe­hrzentrum reden 40 Sicherheit­sbehörden über den Gefährder Anis Amri – um sich nach seinem Anschlag gegenseiti­g die Schuld zuzuschieb­en. Zum Wirecardsk­andal lagen viele Hinweise bei Banken und Behörden vor. Die beste Ausrede der Aufsicht Bafin? Sie ahnen es: Man fühlte sich nicht zuständig.

So bleibt der Eindruck, dass eine Kruste aus föderalem Miteinande­r und Bürokratis­mus die Politik erstickt, wenn etwas mal schnell gehen muss oder nicht in Paragraphe­n steht. Wie eine Pandemie zum Beispiel. Angela Merkel hat jetzt die Städte aufgerufen, sich das „Tübinger Modell“zum Vorbild zu nehmen. Dabei sagt OB Boris Palmer selbst: Hätte er sich an alle Vorschrift­en gehalten, hätte das Modell nie so funktionie­rt.

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