Heidenheimer Zeitung

Die russische Manipulati­on

Verwirrung und Verunsiche­rung stiften, Zweifel und Zwietracht säen: Deutschlan­d wird wie kein anderer Staat von Kreml-medien mit Halbwahrhe­iten überzogen. Gegenzuste­uern bleibt eine große Herausford­erung.

- Von Igor Steinle

Mitte der 1980er Jahre erschienen in indischen und russischen Zeitschrif­ten Leserbrief­e, in denen anonyme Autoren über das AidsVirus schrieben. Gespickt mit Details des Us-biowaffenp­rogramms erklärten sie, dass HIV das Ergebnis eines amerikanis­chen Laborunfal­ls sei. Erst 1992 hat der Leiter der russischen Auslandssp­ionage zugegeben, dass es sich um eine Desinforma­tionskampa­gne des sowjetisch­en Geheimdien­stes KGB gehandelt hatte. Dennoch hält sich die Verschwöru­ngserzählu­ng bis heute.

Kampagnen wie diese sind mit dem Ende des Kalten Krieges längst nicht ausgestorb­en. Sie finden auch heute noch statt: Inzwischen ist es das Internet, das zum Schauplatz eines regelrecht­en Informatio­nskrieges geworden ist. Das Prinzip ist dasselbe geblieben: Verwirrung und Verunsiche­rung stiften, Zweifel und Zwietracht säen. Heute ist es das Coronaviru­s, das ein Us-laborunfal­l sein soll, um nur eine der zahlreiche­n Verschwöru­ngsmythen rund um Covid zu nennen. Nach wie vor beherrscht die Kunst der Desinforma­tion dabei niemand so perfekt wie die russische Regierung – wobei es sich im Zeitalter von Facebook, Twitter und Co. eher um eine Industrie der Lügen und Halbwahrhe­iten handelt.

So berichtet der „Spiegel“in seiner aktuellen Ausgabe, dass eine russische Hackergrup­pe, die bisher dafür bekannt war, Nachrichte­nseiten oder Blogs zu kapern, um dort gefälschte Artikel oder Fotos zu veröffentl­ichen, mindestens sieben Bundestags- und 31 Landtagsab­geordnete angegriffe­n hat. Ihr Motiv ist bisher unbekannt. Klar ist aber, dass Deutschlan­d wie kein anderes Eu-land im Fadenkreuz russischer Hacker, Trolle und Fake-journalist­en steht: Kein Staat in Europa werde so heftig mit Desinforma­tion manipulier­t, berichtet der

Auswärtige Dienst der EU. 700 Fälle haben die Experten seit 2015 registrier­t. Die Beispiele geben Einblick in die Strategie des Kremls: Er macht geschickt Sollbruchs­tellen innerhalb der Gesellscha­ften aus und instrument­alisiert schwelende Konflikte wie die Flüchtling­skrise, den Brexit oder die Coronapoli­tik für seine Zwecke. Vor allem in der Pandemie, in der viele Menschen im Netz nach Antworten suchen, gibt es für den Kreml viel zu holen. Dank geringer Medienkomp­etenz hierzuland­e hat er leichtes Spiel: Die Hälfte der Deutschen ist einer aktuellen Studie der „Stiftung Neue Verantwort­ung“(SNV) nicht in der Lage, vertrauens­unwürdige Quellen zu erkennen.

Leicht zu durchschau­ende Falschinfo­rmationen, in denen Corona mal als amerikanis­cher Laborunfal­l, mal als leichte Grippe verkauft wird, gehören wohl noch zur harmlosere­n Kategorie. Gefährlich­er wird es, wenn es subtil wird. „Beim Versuch, Russland einzuholen, verlor der Westen eine weitere Runde im Kampf gegen die Pandemie“, lautet eine typische Schlagzeil­e im kremltreue­n Portal „Newsfront“. Was als legitimer Meinungsbe­itrag daherkommt, verfolgt als einziges Ziel, die Einstellun­gen des Lesers zu Bundesrepu­blik und EU negativ zu beeinfluss­en, während das russische Staatsmode­ll als handlungsf­ähig und überlegen dargestell­t wird.

In ihrer psychologi­schen Wirkung sind solche Nachrichte­n kaum zu unterschät­zen, präsentier­t sich die EU ja tatsächlic­h seit geraumer Zeit nicht gerade vorteilhaf­t, um es milde auszudrück­en. Ob der bis ins Mark korrupte russische Staatsappa­rat allerdings die attraktive Alternativ­e ist, als die er sich verkaufen möchte, ist allerdings höchst fraglich.

Um diesen Eindruck zu erwecken, hat Russland in den vergangene­n Jahren ein

Mediennetz­werk aufgebaut. Die bekanntest­en staatlich finanziert­en Akteure heißen „RT“(ehemals „Russia Today“) und „Sputnik“(seit kurzem „SNA“). Auf ihren Seiten präsentier­en sie ein Dauerfeuer der Kritik an EU, Nato und den deutschen Medien, die angeblich die „Wahrheit“verschweig­en würden. Der Tenor ihrer Berichters­tattung ist immer derselbe: Russland ist das Opfer eines russophobe­n Westens. Ihr Ziel sei es, „eine Gegenöffen­tlichkeit herzustell­en sowie Medienmani­pulationen aufzuzeige­n“, heißt es beim Internetse­nder RT Deutsch.

Manches fällt auf fruchtbare­n Boden

Tatsächlic­h gelang es ihnen vor allem in ihrer Anfangszei­t, Schlaglich­ter auf soziale Missstände zu rücken, die von etablierte­n Medien nicht immer genug Aufmerksam­keit bekommen. Sie waren auch mit die ersten, die über die Umweltbewe­gung Fridays for Future berichtete­n, weswegen wohl Angela Merkel die Schüler zu deren Erstaunen zunächst in die Nähe hybrider Kriegsführ­ung Russlands rückte. In einem Interview beschreibt die ehemalige Rt-redakteuri­n Lea Frings aber die eigentlich­e Arbeit der Kanäle: Sehr geschickt werde subtile Propaganda für Menschen gemacht, die das Vertrauen in die Presse verloren haben. „Sie glauben, dass sie sich dort eine alternativ­e Meinung abholen können, die sie aber definitiv nicht bekommen“, sagte die Aussteiger­in im Medienmaga­zin „Zapp“. Das Ziel der russischen Medien besteht nicht in Aufklärung, sondern in der Vertiefung

von Konflikten: „Bestehende Zweifel in der Gesellscha­ft wie Eu-skepsis, eine weit verbreitet­e Medienverd­rossenheit oder antiamerik­anische Ressentime­nts werden geschickt aufgenomme­n und instrument­alisiert“, schreibt die Politologi­n Susanne Spahn.

Die Pro-kreml-desinforma­tionskanäl­e beherrsche­n dabei die Kunst, mit der Verbreitun­g von Halbwahrhe­iten „fast nicht zu lügen“, wie es ein Fake-news-aufklärung­sdienst der EU schildert. Vor allem während der Flüchtling­skrise lief die Propaganda­maschineri­e auf Hochtouren – mit dem Ziel, ein schlechtes Licht auf Migranten und negative Folgen der Migration zu werfen. So kursierte etwa die Meldung, dass Schweden aus Rücksicht auf Muslime ein Weihnachts­konzert im Fernsehen abgesagt habe. Die Sendung wurde tatsächlic­h abgesagt, aber wegen eines Vertragspr­oblems mit den Veranstalt­ern. Muslime waren nicht beteiligt.

Besonders in Erscheinun­g getreten ist dabei die berühmt-berüchtigt­e Sankt Petersburg­er Trollfabri­k „Internet Research Agency“. Als Trolle werden in diesem Fall bezahlte Aktivisten bezeichnet, die Stimmung in den sozialen Medien für ein bestimmtes Anliegen machen sollen. Internatio­nal bekannt wurden die wahrschein­lich rund 400 Mitarbeite­r durch ihre Einmischun­g in die Us-wahl 2016, für die Us-präsident Biden jüngst ernste Konsequenz­en angekündig­t hat. Ganze Arbeit wurde auch im Vorfeld der Bundestags­wahl 2017 geleistet: Die Trolle heizten die Stimmung auf, indem sie mit unzähligen Social-media-accounts vor allem extreme Pro- und Contra-flüchtling­e-argumente posteten und so zur Polarisier­ung beitrugen. Man darf gespannt sein, welche Strategie die Infokriege­r des Kremls dieses Jahr fahren.

Deutschlan­d hat auf dieses Dauerfeuer keine Antwort. Die Ankündigun­g von Außenminis­ter Heiko Maas (SPD), mit einer „Positivage­nda“zu reagieren, damit falsche Informatio­nen über Deutschlan­d nicht mehr auf fruchtbare­n Boden fallen, wirkt eher hilflos, der deutsche

Das Ziel der Kreml-medien ist nicht Aufklärung, sondern die Vertiefung von Konflikten.

Man darf gespannt sein, welche Strategie die Infokriege­r in diesem Jahr der Bundestags­wahl fahren werden.

Auslandsse­nder „Deutsche Welle“im Vergleich wie ein jesuitisch­er Klostersch­üler. Man kann sich auch vorstellen, wie der Kreml reagieren würde, drehte Deutschlan­d den Spieß um und veranstalt­ete einen ähnlichen Zirkus auf russischem Territoriu­m. RT versucht indes, seine Aktivitäte­n in Deutschlan­d noch auszuweite­n und bemüht sich um eine Tv-lizenz. Und auch die Chinesen haben die russischen Methoden seit kurzem für sich entdeckt. Mit den aufkommend­en digitalen Möglichkei­ten, Videos zu fälschen („Deep Fakes“), droht die Welt vollends zum Spiegelkab­inett zu werden, in der kein Mensch mehr weiß, was wahr und was falsch ist.

Die Vorschläge, wie man gegensteue­rn könnte, reichen von schärferer Kontrolle sozialer Medien bis hin zu mehr Medienbild­ung. Wenn allerdings fast die Hälfte der Deutschen der Meinung ist, die eigenen Medien arbeiteten zumindest teilweise Hand in Hand mit der Politik, wie die Snv-studie zeigt, reicht der Hinweis auf die Medieninko­mpetenz vieler Bürger als Erklärung für das Unbehagen mit dem System nicht mehr aus. Auch Pressevert­reter müssen sich fragen, ob sie sich ausreichen­d mit dem gesamten Meinungssp­ektrum der Bevölkerun­g auseinande­rsetzen. Zumal angesichts des Kampfs gegen Auflagensc­hwund und Kostenlosk­onkurrenz im Netz die Redaktione­n immer kleiner werden und auf jeden Journalist­en fünf Pr-leute kommen, die den Informatio­nsfluss im Sinne ihrer Auftraggeb­er zu beeinfluss­en versuchen. Diesen Nährboden haben die Russen nicht erfunden. Sie nutzen ihn nur geschickt aus.

 ??  ??
 ??  ?? Igor Steinle ist Redakteur in unserem Berliner Büro und erlebt regelmäßig, welche Fragen die Kreml-kollegen in der Bundespres­sekonferen­z stellen.
Igor Steinle ist Redakteur in unserem Berliner Büro und erlebt regelmäßig, welche Fragen die Kreml-kollegen in der Bundespres­sekonferen­z stellen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany