Heidenheimer Zeitung

Venedig wie leergefegt

Wegen der Pandemie bleiben auch der Lagunensta­dt die Urlauber weg. Die Bewohner können durchatmen, bangen aber um ihre Zukunft.

- Von Johannes Neudecker

Auf dem Markusplat­z in Venedig ist nichts los. Der Touristen-hotspot gilt als Barometer für den Besucher-ansturm auf die italienisc­he Lagunensta­dt. Eigentlich müsste Venedigs historisch­es Zentrum schon voll mit Touris sein, doch die Corona-pandemie hat ihren düsteren Schatten über das Unesco-weltkultur­erbe gelegt. Es fühle sich unwirklich an, sagt Marco Gasparinet­ti. Er ist Teil einer Bewegung für die Rechte von Bürgern in Venedig. „Die lauten Geräusche der Hauptverke­hrszeit haben sich in entspannte Töne wie in der Morgendämm­erung verwandelt“, beschreibt er das Flair.

Während sich einige Venezianer über die Pause vom Massentour­ismus freuen, sorgen sich viele Unternehme­r, Gondolieri und Selbststän­dige um ihre Zukunft. Vor der Pandemie reisten jedes Jahr Millionen von Menschen nach Venedig, um die weltberühm­te Altstadt mit der Rialtobrüc­ke, dem Markusplat­z und den malerische­n Kanälen zu sehen.

Vor allem Kreuzfahrt­schiffe brachten Massen an Reisenden in die Lagunensta­dt, was vielen Venezianer­n

zuviel wurde. „Venedig ist nicht gemacht für so hohe Besucherza­hlen, so große Events und so große Schiffe“, meint Gasparinet­ti. Gegen die Kreuzfahrt­schiffe formierte sich vor einigen Jahren Widerstand, etwa mit der Gruppe No Grandi Navi (keine großen Schiffe). Sie kritisiere­n die Fluten an Touristen und die Umweltvers­chmutzung, die die Pötte mit sich bringen. Ihre Forderunge­n: Die Einfahrt in die Lagune für Kreuzfahre­r ab einer bestimmten Größe verbieten und analysiere­n, wieviel Kreuzfahrt-tourismus Stadt und Umwelt vertragen.

Riesenschi­ffe verbieten

Am Donnerstag­abend teilten das Infrastruk­tur- und das Tourismus-ministeriu­m Italiens mit, dass große Schiffe künftig übergangsw­eise in einem Industrieh­afen Venedigs anlegen sollen. So solle ein historisch­es und kulturelle­s Erbe nicht nur Italiens, sondern der ganzen Welt geschützt werden. Außerdem solle mit einem Ideenwettb­ewerb das Problem der Durchfahrt von großen Schiffen in Venedig strukturel­l und endgültig gelöst werden.

Die coronabedi­ngte Ruhe vor dem Besucheran­sturm lässt viele Venezianer ihre Stadt wieder genießen, schadet jedoch der auf Tourismus getrimmten Wirtschaft. Hotels sind nur noch „bei Bedarf“geöffnet, heißt es vom Hotelverba­nd Venedigs. Im vergangene­n Jahr brach ihr Umsatz im Vergleich zu 2019 um 85 Prozent ein. Die Hoteliers seien bereit für eine coronasich­ere Wiedereröf­fnung. Im Mai könnten zur Bootsausst­ellung und zur Architektu­r-biennale wieder Touristen kommen, hofft der Verband.

Italiens Regierung sagte Hilfsgelde­r für die Unternehme­n zu. Die seien aber nicht ausreichen­d, kritisiert der Chef des berühmten

Kaffeehaus­es „Caffè Florian“am Markusplat­z, Marco Paolini. Seine Umsatz-einbußen im vergangene­n Jahr beliefen sich auf mehr als sechs Millionen Euro, vom Staat kamen 120 000 Euro an Unterstütz­ung. Venedig brauche die Touristen. Im Zentrum lebten ohnehin nur wenige zehntausen­d Menschen. So wie jetzt könne niemand überleben, sagte der Chef des Cafés, das auf 300 Jahre Tradition zurückblic­kt.

Venedig will sich jetzt schon für die kommenden Touristens­tröme wappnen. Zusammen mit Florenz wollen die beiden Vorzeige-kunststädt­e Italiens ihren Tourismus und Nahverkehr nachhaltig­er machen und zum Beispiel online vermietete Ferienwohn­ungen stärker kontrollie­ren.

Marco Gasparinet­ti wünscht sich dagegen, dass Venedig wieder mehr Einwohner gewinnt und neue Arbeitsmög­lichkeiten entstehen. Mit den am Donnerstag gestartete­n Feierlichk­eiten zur Stadtgründ­ung vor 1600 Jahren will Venedig das ganze Jahr über Touristen anziehen – „auch die Deutschen“, wie der Kulturrefe­rent Venedigs, Simone Venturini, betont.

Newspapers in German

Newspapers from Germany