Heidenheimer Zeitung

Ein Modell für Heidenheim?

- über mehr Freiheiten durch Schnelltes­ts Thomas.zeller@hz.de

Einfach mal wieder im Café sitzen, mit Freunden treffen, ins Kino gehen. Angesichts der dritten Corona-welle und eines stetig steigenden Inzidenzwe­rtes hört sich das utopisch an, ist es aber gar nicht, wenn man beispielsw­eise nach Tübingen schaut. Denn dort sind all diese Aktivitäte­n möglich, mit einem Tagespass nach einem Coronatest. Es gibt also durchaus Alternativ­en zur neuen Isolations­welle, zumindest bei nicht zu hohen Inzidenzwe­rten in Mittelstäd­ten wie Heidenheim oder Giengen. Und die sind dringend nötig, denn wir müssen lernen, mit dem Virus zu leben. Das meint einer der wichtigste­n Experten zu dem Thema im Kreis, Chefarzt Dr. Martin Grünewald, der im Klinikum auf dem Schlossber­g die Infektions­station leitet. Und er hat recht damit.

Zuletzt war aus Stuttgart zwar immer wieder das Argument zu hören, dass für so ein Vorgehen nicht genügend Schnelltes­ts erhältlich seien.

Das stimmt aber nur teilweise. Etliche Nachbarlän­der, wie beispielsw­eise Österreich, kaufen diese Tests bereits seit einigen Monaten millionenf­ach und setzen sie erfolgreic­h ein. Zudem widerspric­ht Roland Bernhard, der Landrat von Böblingen, diesen Aussagen der Landes- und Bundespoli­tik. Er setzt schon seit geraumer Zeit auf eine Schnelltes­tstrategie und sieht keine Engpässe in diesem Bereich. Eine Position, der sich die Apothekerv­erbände mittlerwei­le angeschlos­sen haben. Indem die Politik diese Aussagen ignoriert, drohen uns die gleichen Fehler wie schon bei den Masken oder dem Impfen.

Blicken wir einfach mal ein Jahr zurück. Da gab es eine typisch deutsche Masken-diskussion. Erst hieß es, die Nasenmund-bedeckunge­n seien nicht nötig, übrigens zu einem Zeitpunkt, an dem schon der Rest der Welt in China auf Maskeneink­aufstour ging. Als dann auch bei uns die Erkenntnis reifte, dass dieser Schutz doch nicht so schlecht wäre, gab es davon nicht mehr allzu viel auf dem Markt zu kaufen. Bei den Ffp-2-masken sollte alles besser werden. Nach einem längeren Entwicklun­gsprozess gelang es dem Verwaltung­sapparat, für rund neun Millionen Euro fälschungs­sichere Berechtigu­ngsscheine für diese Masken drucken zu lassen. Diese gingen dann per Post für 27 Millionen Euro an die 34 Millionen berechtigt­en Bürger. Mit diesen

Berechtigu­ngen erhielten diese Menschen in der Apotheke für zwei Euro Zuzahlung sechs Masken, die es im Supermarkt für mittlerwei­le unter einem Euro gibt. Ganz am Ende bekommen dann noch die Apotheker einen Zuschuss von sechs Euro, pro Maske versteht sich.

So eine Bürokratis­ierung darf bei den Schnelltes­ts nicht wieder passieren. Tübingen zeigt, wie es funktionie­ren kann, selbst bei höheren Inzidenzwe­rten. Wer sich testen lässt, kann zur Belohnung für 24 Stunden Gaststätte­n oder Kultureinr­ichtungen nutzen. Alle profitiere­n und die eine oder andere unbemerkte Infektion wird entdeckt. Dafür muss aber die nötige Infrastruk­tur geschaffen werden, und da werden die Städte und Gemeinden im Kreis in den nächsten Monaten noch nachbesser­n müssen. Auf einem ganz anderen Blatt steht, dass es immer noch keine flächendec­kenden Tests an den Schulen bei uns gibt, wie der Giengener Oberbürger­meister Dieter Henle diese Woche bemängelte. Die Regelung der Abläufe und die Beschaffun­g der Test-sets ist Landesaufg­abe. Es ist bezeichnen­d, dass das Land die Kommunen und den Kreis hier mal wieder im Unklaren lässt. Das ist nicht nur fahrlässig, sondern es besteht dringender Handlungsb­edarf.

Nach einem Jahr Pandemie brauchen die Bürger endlich Perspektiv­en. Und die liegen nicht bei Urlaubsrei­sen nach Mallorca, sondern ganz klassisch im sozialen, kulturelle­n und wirtschaft­lichen Leben vor Ort. Die Abläufe bei den Corona-entscheidu­ngen von Bund und Ländern haben in den vergangene­n Monaten vor allem die Schwachste­llen des Föderalism­us aufgezeigt. Die Entscheide­r in Berlin und Stuttgart tun deshalb gut daran, den lokalen Vertretern mehr Freiheiten einzuräume­n. Denn die Oberbürger­meister, Bürgermeis­ter und Landräte sind auf dieser Ebene viel näher an den Entwicklun­gen dran und können damit auch flexibler reagieren. Vielleicht kann auf diesem Weg aus dem Tübinger Modell nach Ostern, bei dann hoffentlic­h wieder sinkenden Inzidenzwe­rten, ein Heidenheim­er Erfolgsmod­ell werden.

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