Ein Modell für Heidenheim?
Einfach mal wieder im Café sitzen, mit Freunden treffen, ins Kino gehen. Angesichts der dritten Corona-welle und eines stetig steigenden Inzidenzwertes hört sich das utopisch an, ist es aber gar nicht, wenn man beispielsweise nach Tübingen schaut. Denn dort sind all diese Aktivitäten möglich, mit einem Tagespass nach einem Coronatest. Es gibt also durchaus Alternativen zur neuen Isolationswelle, zumindest bei nicht zu hohen Inzidenzwerten in Mittelstädten wie Heidenheim oder Giengen. Und die sind dringend nötig, denn wir müssen lernen, mit dem Virus zu leben. Das meint einer der wichtigsten Experten zu dem Thema im Kreis, Chefarzt Dr. Martin Grünewald, der im Klinikum auf dem Schlossberg die Infektionsstation leitet. Und er hat recht damit.
Zuletzt war aus Stuttgart zwar immer wieder das Argument zu hören, dass für so ein Vorgehen nicht genügend Schnelltests erhältlich seien.
Das stimmt aber nur teilweise. Etliche Nachbarländer, wie beispielsweise Österreich, kaufen diese Tests bereits seit einigen Monaten millionenfach und setzen sie erfolgreich ein. Zudem widerspricht Roland Bernhard, der Landrat von Böblingen, diesen Aussagen der Landes- und Bundespolitik. Er setzt schon seit geraumer Zeit auf eine Schnellteststrategie und sieht keine Engpässe in diesem Bereich. Eine Position, der sich die Apothekerverbände mittlerweile angeschlossen haben. Indem die Politik diese Aussagen ignoriert, drohen uns die gleichen Fehler wie schon bei den Masken oder dem Impfen.
Blicken wir einfach mal ein Jahr zurück. Da gab es eine typisch deutsche Masken-diskussion. Erst hieß es, die Nasenmund-bedeckungen seien nicht nötig, übrigens zu einem Zeitpunkt, an dem schon der Rest der Welt in China auf Maskeneinkaufstour ging. Als dann auch bei uns die Erkenntnis reifte, dass dieser Schutz doch nicht so schlecht wäre, gab es davon nicht mehr allzu viel auf dem Markt zu kaufen. Bei den Ffp-2-masken sollte alles besser werden. Nach einem längeren Entwicklungsprozess gelang es dem Verwaltungsapparat, für rund neun Millionen Euro fälschungssichere Berechtigungsscheine für diese Masken drucken zu lassen. Diese gingen dann per Post für 27 Millionen Euro an die 34 Millionen berechtigten Bürger. Mit diesen
Berechtigungen erhielten diese Menschen in der Apotheke für zwei Euro Zuzahlung sechs Masken, die es im Supermarkt für mittlerweile unter einem Euro gibt. Ganz am Ende bekommen dann noch die Apotheker einen Zuschuss von sechs Euro, pro Maske versteht sich.
So eine Bürokratisierung darf bei den Schnelltests nicht wieder passieren. Tübingen zeigt, wie es funktionieren kann, selbst bei höheren Inzidenzwerten. Wer sich testen lässt, kann zur Belohnung für 24 Stunden Gaststätten oder Kultureinrichtungen nutzen. Alle profitieren und die eine oder andere unbemerkte Infektion wird entdeckt. Dafür muss aber die nötige Infrastruktur geschaffen werden, und da werden die Städte und Gemeinden im Kreis in den nächsten Monaten noch nachbessern müssen. Auf einem ganz anderen Blatt steht, dass es immer noch keine flächendeckenden Tests an den Schulen bei uns gibt, wie der Giengener Oberbürgermeister Dieter Henle diese Woche bemängelte. Die Regelung der Abläufe und die Beschaffung der Test-sets ist Landesaufgabe. Es ist bezeichnend, dass das Land die Kommunen und den Kreis hier mal wieder im Unklaren lässt. Das ist nicht nur fahrlässig, sondern es besteht dringender Handlungsbedarf.
Nach einem Jahr Pandemie brauchen die Bürger endlich Perspektiven. Und die liegen nicht bei Urlaubsreisen nach Mallorca, sondern ganz klassisch im sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Leben vor Ort. Die Abläufe bei den Corona-entscheidungen von Bund und Ländern haben in den vergangenen Monaten vor allem die Schwachstellen des Föderalismus aufgezeigt. Die Entscheider in Berlin und Stuttgart tun deshalb gut daran, den lokalen Vertretern mehr Freiheiten einzuräumen. Denn die Oberbürgermeister, Bürgermeister und Landräte sind auf dieser Ebene viel näher an den Entwicklungen dran und können damit auch flexibler reagieren. Vielleicht kann auf diesem Weg aus dem Tübinger Modell nach Ostern, bei dann hoffentlich wieder sinkenden Inzidenzwerten, ein Heidenheimer Erfolgsmodell werden.