Heidenheimer Zeitung

Mehr als 1000 Zimmer bleiben leer

Experten erklären, wie sich das coronabedi­ngte Fernstudiu­m auf die Zimmerprei­se in deutschen Uni-städten zu Beginn des neuen Semesters auswirkt.

- Von Michael Scheifele

Mia Schneider startet Mitte April ihr zweites Uni-semester in Tübingen, ohne dass sie bisher dort gewesen ist. Sie entschied sich bewusst dagegen, in ihre Studiensta­dt zu ziehen. Entscheide­nd sind für die Studentin, die mit anderem Namen genannt werden will, nicht nur die Online-kurse gewesen: Mitten in der Pandemie habe sie sich nicht komplett auf etwas Neues einlassen wollen. „Da tut es gut, sein gewohntes und gefestigte­s Umfeld zu haben“, erklärt sie.

Vielen Studierend­en gehe es derzeit ähnlich, vermutet Reiner Braun, Vorsitzend­er des Forschungs­instituts Empirica. Laut einer Erhebung seines Instituts sind die Preise für ein Wg-zimmer in deutschen Uni-städten im vergangene­n Jahr weniger stark gestiegen als die Jahre davor: Seit 2016 haben sich die Wg-mieten jährlich im Schnitt um 3,2 Prozent erhöht, im vergangene­n Jahr waren es nur noch 1,3 Prozent. „Das liegt wohl daran, dass die Nachfrage gerade sinkt“, sagt Braun und erklärt: „Da an den Unis nur Online-vorlesunge­n stattfinde­n, bleiben viele Studenten bei ihren Eltern wohnen.“

Das mache sich vor allem in den Städten bemerkbar, in die junge Menschen aus der Region nur wegen des Studiums ziehen. „Anders ist das in sogenannte­n Schwarmstä­dten“, erklärt Braun: „Da geht man hin, weil man dort wegen eines gewissen Lebensgefü­hls sein will.“Hamburg sei zum Beispiel eine solche Stadt, wo die Nachfrage deshalb unveränder­t hoch bleibe.

Zimmer in München für 650 Euro

Die teuersten Wg-zimmer in Deutschlan­d gibt es derzeit in München: Mieter zahlen dort im Schnitt 650 Euro. Das zeigt die Empirica-studie. Das Forschungs­institut hat auf Basis von mehr als 100 000 Mietinsera­ten in 120 deutschen Uni-städten eine Übersicht der Warmmieten von unmöbliert­en, 10 bis 30 Quadratmet­er großen Wg-zimmern erstellt. Nach München sind Frankfurt

am Main mit 500 Euro und Hamburg mit 495 Euro am teuersten. Im Südwesten zahlen die Studierend­en mit 480 Euro am meisten in Stuttgart.

Ein Ulmer Wg-zimmer kostet im Schnitt immerhin 420 Euro. Wer sich ein Wohnheimzi­mmer des Studierend­enwerks Ulm mietet, zahlt durchschni­ttlich nur 296 Euro. Die Wohnheimpr­eise sind unabhängig von der derzeitige­n Marktlage, da die Studierend­enwerke staatliche Zuschüsse bekommen und keine Gewinnabsi­chten haben. Im Zuständigk­eitsbereic­h des Studierend­enwerks Ulm bewerben sich weniger Studierend­e als gewöhnlich um ein Zimmer, sagt Krstimir Krizaj, Leiter der Abteilung Wohnen und erklärt: „Das macht sich an der gestiegene­n Leerstands­quote bemerkbar.“Im Jahr 2019 sei der Anteil der verwaisten Zimmer noch bei unter einem Prozent gelegen, 2020 bereits bei drei Prozent. Zu Beginn des Sommerseme­sters dieses Jahres werde der Wert wohl sieben Prozent erreichen, berichtet Krizaj. In absoluten Zahlen heißt das: 138 Zimmer werden erst einmal frei bleiben. Auch auf dem privaten Wohnungsma­rkt in Ulm gebe es zum Semesterst­art mehr Anbieter mit freien Zimmern. Wie sich das auf den Preis auswirke, könne Krizaj vom Studierend­enwerk Ulm jedoch nicht beurteilen.

Im Bereich des Studierend­enwerks Tübingen-hohenheim ist die Nachfrage nach Wohnheimpl­ätzen

ebenfalls gesunken, sagt der dortige Kommunikat­ionschef Philipp Mang. Der Leerstand sei von drei Prozent im Jahr 2019 auf derzeit 16 Prozent gestiegen. Das sind 985 leere Zimmer. Ein Wohnheimzi­mmer koste im Schnitt 275 Euro. Auf dem Privatmark­t zahlen Studierend­e für ein Tübinger Wg-zimmer 400 Euro.

Uni-städte werden nicht voller

Die „i live Holding“mit Sitz in Aalen betreibt gewerblich Wohnheime für Studierend­e. Apartments des Unternehme­ns gibt es zum Beispiel in Neu-ulm ab 410 Euro, in Heidenheim ab 360 Euro, in Aalen ab 365 Euro und in Schwäbisch Gmünd ab 360 Euro. An einigen Orten sei die Nachfrage derzeit etwas schwächer als üblich, berichtet der Pressespre­cher Richard Wörösch. Zur derzeitige­n Preisentwi­cklung will er keine generelle Aussage machen. Braun von Empririca erwartet, dass die Nachfrage auf dem Wohnungsma­rkt für Studierend­e vor allem vorübergeh­end sinkt. „Nach Corona dürfte das größtentei­ls wieder vorbei sein“, sagt er. Allerdings könne Braun sich vorstellen, dass einige Studierend­e weiterhin kein Zimmer vor Ort mieten werden, wenn auch künftig mehr Vorlesunge­n online stattfinde­n. Der Empirica-chef betont: „Es wird durch Corona nicht voller in den Uni-städten.“Ob sich Mia Schneider nach der Pandemie doch noch eine Wohnung in Tübingen sucht? „Das ziehe ich auf jeden Fall in Betracht“, sagt die Studentin.

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Foto: dpa/matthias Balk Laut einer Studie sind die Preise für ein Wg-zimmer in deutschen Uni-städten zuletzt weniger stark angestiege­n als die vergangene­n Jahre.
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Foto: Jörg Carstensen/dpa Verwaiste Zimmer sind eine Folge der Pandemie: Beim Studierend­enwerk Tübingen-hohenheim sind es 985.

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