Heidenheimer Zeitung

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Es gibt kaum eine klimaschäd­lichere Art, sich fortzubewe­gen, als im Flugzeug. „Grünes“Kerosin könnte das ändern.

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bers Wochenende schnell nach Barcelona jetten, im Sommerurla­ub auf die Kanaren, über Neujahr zum Shoppen nach New York. Schon lange vor der Corona-epidemie war es fraglich, ob diese Art der Lebensführ­ung zukunftsta­uglich ist. Denn es gibt kaum eine Art, sich fortzubewe­gen, die schädliche­r für die Umwelt ist, als das Fliegen. Schuld ist der hohe Ausstoß an klimarelev­anten Gasen wie Kohlendiox­id (CO2) und Methan (CH4). Dass Menschen deshalb aber aufhören zu fliegen, ist zu bezweifeln. Marktprogn­osen gingen vor der Covid-19-pandemie von einer jährlichen Zunahme des globalen Luftverkeh­rs von vier bis fünf Prozent in den kommenden zwei Jahrzehnte­n aus, teilt das Bundesmini­sterium für Umwelt mit. Sobald das Coronaviru­s einigermaß­en in Schach gehalten werden kann, werde die Wachstumsk­urve wieder an Fahrt aufnehmen.

Möglicherw­eise aber gibt uns die coronabedi­ngte Zwangspaus­e die nötige Zeit, um fliegen und Umwelt einen Schritt weit miteinande­r zu vereinbare­n. Der Hoffnungss­chimmer am Horizont: „grünes“Kerosin. Das Hauptantri­ebsmittel aller Flugzeuge ist normalerwe­ise ein auf Erdölbasis hergestell­ter Kohlenwass­erstoff. Wird er verbrannt, gelangt das über Jahrtausen­de im Boden gespeicher­te CO in die Atmosphäre und heizt das Erdklima auf.

Nun kann man Kerosin aber auch auf anderem Wege herstellen als aus Erdöl, erklärt Manfred Aigner, der Direktor des Instituts für Verbrennun­gstechnik am Deutschen Zentrum für Luftund Raumfahrt (DLR). Beispielsw­eise aus CO2 und Wasserstof­f (H2), zwei chemischen Stoffen, die auf der Erde im Überfluss vorhanden sind. Lässt man sie eine chemische Reaktion eingehen, erhält man flüssigen Kohlenwass­erstoff, der sich ebenso verhält und einsetzen lässt wie das erdölbasie­rte Kerosin, erklärt Aigner. Genau so einen synthetisc­hen Kraftstoff soll das DLR im Auftrag des Bundesmini­sterium für Verkehr und digitale Infrastruk­tur (BMVI) entwickeln, Ziel ist, das „grüne“Kerosin industriel­l herzustell­en.

Nun ist die chemische Reaktion im Prinzip einfach und die Herstellun­g des grünen Kerosins funktionie­rt auch, sagt Aigner. Dennoch gibt es einige Herausford­erungen zu bewältigen. Zunächst einmal ist da die Frage: Woher das CO2 nehmen? Zwar ist das Gas im Überschuss in der Atmosphäre und es wäre hilfreich für das Klima, es aus der Luft herauszufi­ltern. Tatsächlic­h gibt es entspreche­nde Anlagen, beispielsw­eise in der Schweiz. „Das kostet allerdings relativ viel Strom“, sagt Aigner. „Und es muss Strom aus erneuerbar­en Quellen sein.“Denn sonst bringt es dem Klima herzlich wenig.

Aus Aigners Sicht weitaus sinnvoller ist es, die Arbeit Pflanzen filtern CO2 aus der Luft des Co2-filterns Organismen zu überlassen, die das ohnehin den ganzen Tag über tun: den Pflanzen. Im Zuge ihrer Photosynth­ese nehmen sie CO2 aus der Luft auf und speichern den Kohlenstof­f in ihren Blättern und Stängeln. Von dort kann man ihn zur Kerosinsyn­these verwenden, erklärt Aigner. „Natürlich muss man aufpassen, welche Pflanzen man nimmt, sodass keine Konkurrenz zu Nahrungsmi­tteln entsteht.“Vorstellba­r wären etwa Stroh, aber auch größere Meeresalge­n. In diese Richtung gebe es vielverspr­echende Ansätze, sagt der Forscher.

Quasi als Übergangsl­ösung ist noch ein dritter Weg der CO2 -Gewinnung vorstellba­r. Nämlich, indem man das Gas direkt dort abfängt, wo es im Zuge von industriel­len Prozessen ohnehin als Abfallstof­f entsteht, etwa bei der Zement- und Stahlherst­ellung. Das klingt verlockend, letztlich verlagert man das Co2-problem aber nur einen Schritt nach hinten: Zwar wird es nicht etwa bei der Zementhers­tellung in die Atmosphäre entlassen, dafür aber später, wenn das Flugzeug das Kerosin verbrennt. Da das CO2 in dem Fall zuvor im Kalkstein gespeicher­t war, gelangt zusätzlich­es CO2 in die Atmosphäre – hinzu kommt ein hoher Energiever­brauch bei der Herstellun­g. „Dennoch ist es sinnvoll, das zunächst zu machen, da man den Co2-ausstoß immerhin halbiert“, sagt Aigner.

Verwendet man dagegen von Pflanzen produziert­en Kohlenstof­f, ist der Prozess klimaneutr­al, da diese das Gas zuvor aus der Luft gefiltert haben – es entsteht ein Kreislauf.

Nur: Ohne Energie funktionie­rt keine der Varianten. Auch um den in jedem Fall nötigen Wasserstof­f per Elektrolys­e herzustell­en, braucht man Strom. Wasserstof­f gibt es in der Natur praktisch nie solo, das energierei­che Element reagiert sofort beispielsw­eise mit Sauerstoff – und wird in dem Fall zu Wasser. Aus dieser Verbindung ist es nur mit hohem Energieauf­wand wieder zu lösen.

Mitentsche­idend für den Erfolg von synthetisc­hem Kerosin ist also, dass man genügend Strom aus alternativ­en Quellen zur Verfügung hat. Vorstellba­r ist etwa, den überschüss­ig produziert­en Strom aus Solar- und Windkrafta­nalgen direkt zur Wasserstof­fproduktio­n zu verwenden. Der Wasserstof­f lässt sich dann zu den Anlangen transporti­eren, in denen das Kerosin hergestell­t wird.

Allerdings gibt es einen gewissen Andrang auf Strom aus alternativ­en Quellen, da viele Klimaschut­zmaßnahmen auf diesen „grünen“Strom angewiesen sind – etwa auch die Elektromob­ilität. „Wir werden den Bedarf sicher nicht komplett aus Deutschlan­d decken können“, sagt Aigner, schätzungs­weise werde das nur zu 20 oder 30 Prozent möglich sein. „Allerdings ist die Situation momentan auch nicht anders.“Denn auch Erdöl und Erdgas müsse Deutschlan­d aus anderen Ländern importiere­n. „Es spielt keine Rolle, ob wir nun Erdöl oder synthetisc­hes Kerosin einführen.“

„Wir liefern die Technologi­e und arbeiten mit Ländern zusammen, in denen Sonne und damit Energie im Überfluss vorhanden ist“, schlägt Aigner vor, etwa in den Maghreb-ländern oder Südeuropa. „Dort wird das Kerosin hergestell­t und wir importiere­n es.“Im Prinzip steht dem nichts im Wege: Laut Aigner sind alle Studien erfolgreic­h abgeschlos­sen, das Konzept der Pilotanlag­e steht. Er rechnet mit einem Produktion­sbeginn im industriel­len Maßstab im Laufe der nächsten zehn Jahre.

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