Zwischen Wahrheit und Wohlwollen
Für einen erfolgreichen Jobwechsel ist ein gutes Arbeitszeugnis wichtig. Aber wie erkennen Beschäftigte, was eine gute Beurteilung ist? Denn nicht immer ist eine schlechte Bewertung offensichtlich.
Sie arbeitete gewissenhaft und zuverlässig“– hinter einer solchen Formulierung vermutet man als Arbeitnehmer nichts Schlechtes. In der Welt der Arbeitszeugnisse aber entspricht diese Bewertung der Schulnote 3. Da der weitaus größte Teil der Arbeitszeugnisse eine Gesamtnote 1 oder 2 enthält, ist das unterdurchschnittlich.
Warum sind Arbeitszeugnisse immer positiv formuliert, obwohl bisweilen etwas Anderes gemeint ist? Nadine Absenger leitet den Bereich Recht und Rechtspolitik bei der Gewerkschaft Verdi und sagt: „Ein Arbeitszeugnis muss nicht nur vollständig, wahrheitsgemäß, in sich widerspruchsfrei und verständlich geschrieben sein, sondern auch wohlwollend.“Das haben Gesetzgeber und Gerichte so festgelegt.
Im Spannungsfeld zwischen Wahrheit, Wohlwollen und Vollständigkeit hat sich eine eigene Sprache etabliert, die für Laien zunächst schwer verständlich ist. Scheinbar kleine Veränderungen in der Formulierung können einen großen Unterschied ausmachen. So entspricht zum Beispiel die Formulierung „arbeitete stets/ durchgehend/immer zu unserer vollsten Zufriedenheit“einer 1, „arbeitete stets/durchgehend/immer zu unserer vollen Zufriedenheit“dagegen einer 2 und „zu unserer vollen Zufriedenheit/stets zu unserer Zufriedenheit“der 3. Bei schlechter Mitarbeit können
(Note 4) schreiben, „im Großen und Ganzen (insgesamt) zu unserer Zufriedenheit“(5). Ein „hat sich bemüht“wäre eine glatte 6, „ungenügend“. In einem guten Arbeitszeugnis steht vor jeder Beurteilung ein „immer“, „jederzeit“oder „stets“. Fachliteratur oder eine kurze Recherche im Internet können dabei helfen, die Formulierungen richtig zu übersetzen. „Wenn man sich als Mitarbeiter unsicher ist, kann man das Arbeitszeugnis auch prüfen lassen“, empfiehlt
Neben der Sprache ist auch die Vollständigkeit ein Faktor, den Arbeitnehmer sich ansehen sollten. Laut Absenger gehört in ein gutes Arbeitszeugnis zuallererst der offizielle Firmenkopf, eine kurze Vorstellung des Mitarbeiters und der Firma selbst. Zudem sollte das Arbeitszeugnis die wesentlichen Tätigkeitsfelder des Mitarbeiters aufzählen und schließlich Leistung und Verhalten bewerten.
Abschließend fügen viele Unternehmen noch eine Schlussformel
ein, in der dem Mitarbeiter gedankt wird und ihm Wünsche für die Zukunft mit auf dem Weg gegeben werden. Rechtlich gebe es zwar keinen Anspruch auf diese Schlussformel, sagt Absenger. Falls sie aber in einem Arbeitszeugnis fehlt, wird dies von Personalern häufig als schlechtes Zeichen gedeutet.
„In der Endformel steht auch oft, dass der Mitarbeiter das Unternehmen auf eigenen Wunsch verlassen hat. Fehlt ein solcher Satz, liegt der Schluss nahe, dass jemandem gekündigt wurde“, so Absenger. Auch wenn dem Mitarbeiter innerhalb der Endformal nicht „weiterhin viel Erfolg“, sondern nur „viel Erfolg“gewünscht wird, kann vermutet werden, dass er im Unternehmen nicht wirklich erfolgreich war.
Vielfach hat ein schlechtes Arbeitszeugnis ganz banale Gründe. „Insbesondere bei kleinen Betrieben ohne eigene Personalabteilung kann es vorkommen, dass das Arbeitszeugnis eigentlich gut gemeint ist, aber niemand die speziellen Formulierungen kennt“, sagt Absenger. Oft könne dann ein klärendes Gespräch helfen. Im Ernstfall können Betroffene vor Gericht ziehen. Das gilt auch, wenn der Arbeitgeber sich weigert, ein Arbeitszeugnis auszustellen. „Zu beachten ist hier, dass Arbeitnehmer zwar ein Recht auf ein Arbeitszeugnis haben, aber nur, wenn sie es innerhalb der festgelegten Frist explizit anfordern“, unterstreicht Absenger. Normalerweise beträgt diese Frist drei Jahre nach dem Ausscheiden, in manchen Arbeits- oder Tarifverträgen werden aber nur drei Monate genannt.
Grundsätzlich hat jeder Arbeitnehmer das Recht auf eine mindestens befriedigende Bewertung im Arbeitszeugnis, also auf die Note 3. Will der Arbeitnehmer eine bessere Beurteilung erreichen, muss er beweisen, dass er ein besseres Zeugnis verdient hat. Umgekehrt steht der Arbeitgeber bei einer schlechteren Note in der Pflicht zu beweisen, warum der Mitarbeiter kein besseres Zeugnis bekommen soll.
In der Regel ist es die Aufgabe der zuständigen Führungskraft zu beurteilen, welche Note ein Mitarbeiter im Arbeitszeugnis bekommt, sagt Benjamin Stumpp von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. „Die Endnote kommt dann aufgrund der eigenen Leistung, aber auch im Vergleich mit den Kollegen zustande.“
„Natürlich ist das Arbeitszeugnis ein wichtiger Faktor, vor allem bei der Vorauswahl der Bewerber. Viel wichtiger ist aber im Endeffekt der Eindruck, den jemand beim Bewerbungsgespräch hinterlässt“, sagt Stumpp. Zudem sei den Personalern bewusst, dass dieselbe Person in verschiedenen Teams unterschiedlich gut die eigene Leistungsfähigkeit abrufen kann.