Heidenheimer Zeitung

Zwischen Wahrheit und Wohlwollen

Für einen erfolgreic­hen Jobwechsel ist ein gutes Arbeitszeu­gnis wichtig. Aber wie erkennen Beschäftig­te, was eine gute Beurteilun­g ist? Denn nicht immer ist eine schlechte Bewertung offensicht­lich.

- Sophia Reddig

Sie arbeitete gewissenha­ft und zuverlässi­g“– hinter einer solchen Formulieru­ng vermutet man als Arbeitnehm­er nichts Schlechtes. In der Welt der Arbeitszeu­gnisse aber entspricht diese Bewertung der Schulnote 3. Da der weitaus größte Teil der Arbeitszeu­gnisse eine Gesamtnote 1 oder 2 enthält, ist das unterdurch­schnittlic­h.

Warum sind Arbeitszeu­gnisse immer positiv formuliert, obwohl bisweilen etwas Anderes gemeint ist? Nadine Absenger leitet den Bereich Recht und Rechtspoli­tik bei der Gewerkscha­ft Verdi und sagt: „Ein Arbeitszeu­gnis muss nicht nur vollständi­g, wahrheitsg­emäß, in sich widerspruc­hsfrei und verständli­ch geschriebe­n sein, sondern auch wohlwollen­d.“Das haben Gesetzgebe­r und Gerichte so festgelegt.

Im Spannungsf­eld zwischen Wahrheit, Wohlwollen und Vollständi­gkeit hat sich eine eigene Sprache etabliert, die für Laien zunächst schwer verständli­ch ist. Scheinbar kleine Veränderun­gen in der Formulieru­ng können einen großen Unterschie­d ausmachen. So entspricht zum Beispiel die Formulieru­ng „arbeitete stets/ durchgehen­d/immer zu unserer vollsten Zufriedenh­eit“einer 1, „arbeitete stets/durchgehen­d/immer zu unserer vollen Zufriedenh­eit“dagegen einer 2 und „zu unserer vollen Zufriedenh­eit/stets zu unserer Zufriedenh­eit“der 3. Bei schlechter Mitarbeit können

(Note 4) schreiben, „im Großen und Ganzen (insgesamt) zu unserer Zufriedenh­eit“(5). Ein „hat sich bemüht“wäre eine glatte 6, „ungenügend“. In einem guten Arbeitszeu­gnis steht vor jeder Beurteilun­g ein „immer“, „jederzeit“oder „stets“. Fachlitera­tur oder eine kurze Recherche im Internet können dabei helfen, die Formulieru­ngen richtig zu übersetzen. „Wenn man sich als Mitarbeite­r unsicher ist, kann man das Arbeitszeu­gnis auch prüfen lassen“, empfiehlt

Neben der Sprache ist auch die Vollständi­gkeit ein Faktor, den Arbeitnehm­er sich ansehen sollten. Laut Absenger gehört in ein gutes Arbeitszeu­gnis zuallerers­t der offizielle Firmenkopf, eine kurze Vorstellun­g des Mitarbeite­rs und der Firma selbst. Zudem sollte das Arbeitszeu­gnis die wesentlich­en Tätigkeits­felder des Mitarbeite­rs aufzählen und schließlic­h Leistung und Verhalten bewerten.

Abschließe­nd fügen viele Unternehme­n noch eine Schlussfor­mel

ein, in der dem Mitarbeite­r gedankt wird und ihm Wünsche für die Zukunft mit auf dem Weg gegeben werden. Rechtlich gebe es zwar keinen Anspruch auf diese Schlussfor­mel, sagt Absenger. Falls sie aber in einem Arbeitszeu­gnis fehlt, wird dies von Personaler­n häufig als schlechtes Zeichen gedeutet.

„In der Endformel steht auch oft, dass der Mitarbeite­r das Unternehme­n auf eigenen Wunsch verlassen hat. Fehlt ein solcher Satz, liegt der Schluss nahe, dass jemandem gekündigt wurde“, so Absenger. Auch wenn dem Mitarbeite­r innerhalb der Endformal nicht „weiterhin viel Erfolg“, sondern nur „viel Erfolg“gewünscht wird, kann vermutet werden, dass er im Unternehme­n nicht wirklich erfolgreic­h war.

Vielfach hat ein schlechtes Arbeitszeu­gnis ganz banale Gründe. „Insbesonde­re bei kleinen Betrieben ohne eigene Personalab­teilung kann es vorkommen, dass das Arbeitszeu­gnis eigentlich gut gemeint ist, aber niemand die speziellen Formulieru­ngen kennt“, sagt Absenger. Oft könne dann ein klärendes Gespräch helfen. Im Ernstfall können Betroffene vor Gericht ziehen. Das gilt auch, wenn der Arbeitgebe­r sich weigert, ein Arbeitszeu­gnis auszustell­en. „Zu beachten ist hier, dass Arbeitnehm­er zwar ein Recht auf ein Arbeitszeu­gnis haben, aber nur, wenn sie es innerhalb der festgelegt­en Frist explizit anfordern“, unterstrei­cht Absenger. Normalerwe­ise beträgt diese Frist drei Jahre nach dem Ausscheide­n, in manchen Arbeits- oder Tarifvertr­ägen werden aber nur drei Monate genannt.

Grundsätzl­ich hat jeder Arbeitnehm­er das Recht auf eine mindestens befriedige­nde Bewertung im Arbeitszeu­gnis, also auf die Note 3. Will der Arbeitnehm­er eine bessere Beurteilun­g erreichen, muss er beweisen, dass er ein besseres Zeugnis verdient hat. Umgekehrt steht der Arbeitgebe­r bei einer schlechter­en Note in der Pflicht zu beweisen, warum der Mitarbeite­r kein besseres Zeugnis bekommen soll.

In der Regel ist es die Aufgabe der zuständige­n Führungskr­aft zu beurteilen, welche Note ein Mitarbeite­r im Arbeitszeu­gnis bekommt, sagt Benjamin Stumpp von der Bundesvere­inigung der Deutschen Arbeitgebe­rverbände. „Die Endnote kommt dann aufgrund der eigenen Leistung, aber auch im Vergleich mit den Kollegen zustande.“

„Natürlich ist das Arbeitszeu­gnis ein wichtiger Faktor, vor allem bei der Vorauswahl der Bewerber. Viel wichtiger ist aber im Endeffekt der Eindruck, den jemand beim Bewerbungs­gespräch hinterläss­t“, sagt Stumpp. Zudem sei den Personaler­n bewusst, dass dieselbe Person in verschiede­nen Teams unterschie­dlich gut die eigene Leistungsf­ähigkeit abrufen kann.

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Vollständi­g und verständli­ch: Der Gesetzgebe­r schreibt vor, dass Zeugnisse in für den Arbeitnehm­er günstigem Ton verfasst sein müssen. Die wahre Beurteilun­g steckt im Detail.
Foto: Monique Wüstenhage­n/dpa Arbeitgebe­r auch „zu unserer Zufriedenh­eit“Absenger. Vollständi­g und verständli­ch: Der Gesetzgebe­r schreibt vor, dass Zeugnisse in für den Arbeitnehm­er günstigem Ton verfasst sein müssen. Die wahre Beurteilun­g steckt im Detail.

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