Genesen heißt nicht immer auch gesund
Medizin Erschöpfung, Luftnot, Vergesslichkeit: Wer an Covid-19 erkrankt, kann noch Monate nach der Infektion an Symptomen leiden. Und Long Covid trifft auch leicht Erkrankte. Zwei Betroffene aus dem Landkreis berichten. Von Christine Weinschenk
Landkreis. Erschöpfung, Luftnot, Vergesslichkeit: Zwei Betroffene berichten über ihr Long-covidsyndrom.
Gesundheitsexperte Karl Lauterbach (SPD) spaltet. Für die einen wäre er der bessere Gesundheitsminister, für andere wurde er während der Pandemie zur Hassfigur. Kürzlich warnte er, im Zusammenhang mit Corona nicht nur auf Todesraten zu blicken und sprach von Langzeitfolgen durch eine Infektion bei jüngeren Menschen, dem sogenannten Long-covid-syndrom. Die Nachwirkungen seien „wie ein Krankheits-tsunami“.
Auch die Sprechstunden meiner Kollegen sind voll mit Post-covid-syndrompatienten. Und wir Fachärzte sehen ja nur einen Bruchteil der Patienten, die es tatsächlich gibt.
Holger Slatosch Lungenfacharzt
Ich dachte: Ich bin jung, gesund und fit und werde die Infektion locker wegstecken.
Bianca Marlok Hermaringen
Wir lernen noch immer täglich etwas Neues über die Krankheit. Aber für Patienten und Ärzte ist das sehr frustrierend.
Holger Slatosch Lungenfacharzt
„Die Sprechstunden sind voll“
Übertrieben oder realistisch? Holger Slatosch ist Facharzt für Innere Medizin und Pneumologie in Heidenheim. Seine Einschätzung: „Tsunami ist ein großes Wort, aber der Begriff Krankheitswelle trifft es sicherlich.“Täglich habe er inzwischen drei bis vier Patienten in seiner Praxis – alle mit fast denselben Symptomen: Atemnot, Erschöpfung, Konzentrationsstörungen, Vergesslichkeit, anhaltender Husten. „Auch die Sprechstunden meiner Kollegen sind voll mit Post-covid-syndrom-patienten. Und wir Fachärzte sehen ja nur einen Bruchteil der Patienten, die es tatsächlich gibt.“
Von Mitte 20 bis 80
Und der Atem von Corona ist lang. Viele seiner Patienten seien monatelang nicht arbeitsfähig, so Holger Slatosch. Bei den allermeisten stelle sich nach einiger Zeit zwar eine deutliche Besserung der Symptome ein, „aber man braucht Geduld und muss sich auf ein hartes halbes oder dreiviertel Jahr einstellen“. Besonders tückisch: Die meisten seiner Patienten hatten milde Verläufe. „Sie wurden nicht im Krankenhaus behandelt und hatten oft nur Erkältungssymptome in der akuten Phase. Aber danach werden sie einfach nicht wieder fit und die Nachwirkungen sind schlimmer als die eigentliche Erkrankung.“Eine bestimmte Altersgruppe betreffe es nicht. „Das geht von Mitte 20 bis 80. Viele sind relativ jung und waren vorher völlig gesund.“Für ihn ist klar: „Auch eine milde Verlaufsform möchte man bei Corona lieber nicht haben.“
Einen solchen relativ milden Verlauf hatte auch Bianca Marlok. Und sie hat ebenfalls harte Monate hinter sich. Mit Corona infiziert hat sich die Hermaringerin im März 2020. Zu dem Zeitpunkt war sie 29, gesund und sportlich. Die pharmazeutisch-technische Assistentin ist nebenberuflich als Fitnesstrainerin tätig und gibt Kurse in Zumba und Aquafitness. Zum Zeitpunkt ihrer Corona-infektion trainierte die Rettungsschwimmerin gerade auf einen Triathlon.
29, gesund und sportlich
Als die starken Halsschmerzen begannen, dachte sie zunächst nicht an eine Covid-19-infektion. Als dann Kopfschmerzen, Übelkeit, Schnupfen und Husten hinzukamen, suchte Bianca Marlok den Kontakt zu einem Arzt. Das positive Testergebnis war ein Schock. „Aber ich dachte: Ich bin jung, gesund und fit und werde die Infektion locker wegstecken.“Eine Woche fühlte sie sich krank, verbrachte drei Tage im Bett, Fieber hatte sie nicht. Die Symptome vergingen und nach drei Wochen wollte sie nach und nach ihr Sportprogramm wiederaufnehmen. Doch ihr Zustand verschlechterte sich erneut. Sie wurde kurzatmig, fühlte sich nicht belastbar, war müde, ausgelaugt und konnte sich schlecht konzentrieren. „Ich wollte den ganzen Tag nur schlafen und hatte schon bei wenig Bewegung das Gefühl, nicht mehr genügend Luft zu bekommen.“
„Kann sich das nicht einbilden“
An körperliche Belastung durch Sport war lange Zeit gar nicht zu denken. „Und ich wusste nicht, ob das so bleibt und wie es weitergeht. Die Ärzte sind bei diesem Thema ja weitgehend überfragt. Das war sehr belastend“, sagt Bianca Marlok. Phasenweise zweifelte sie auch an sich selbst. „Aber man kann sich das einfach nicht alles einbilden.“Mittlerweile geht es ihr besser, aber auch ein Jahr nach der Infektion sei sie noch immer nicht auf dem Trainingsniveau wie zuvor. „Es ist wirklich erschreckend und ich warne jeden, auch junge Leute, dieses gefährliche Virus zu unterschätzen.“
Kein Therapieansatz
Tatsächlich hat die Medizin dem Long-covid-syndrom derzeit kaum etwas entgegenzusetzen. „Wir haben keinen medikamentösen Therapieansatz“, sagt Lungenfacharzt Holger Slatosch. Bei seinen Patienten testet er zunächst die Funktion der Lunge und fertigt Röntgenbilder an. „Bei den meisten ist objektiv aber nichts nachweisbar.“Also ist die Erkrankung doch auf die Psyche zurückzuführen? „Sicher nicht. Die Patienten beschreiben ein einheitliches Krankheitsbild und leiden.“
Slatosch glaubt, dass Corona auch der Diagnostik ihre Grenzen aufzeigt. Die verfügbaren Tests seien nicht ausreichend, nicht genau genug. „Wir lernen noch immer täglich etwas Neues über die Krankheit. Aber für Patienten und Ärzte ist das sehr frustrierend.“Natürlich gebe es auch Menschen, die nach einer echten Grippe lange nicht auf die Beine kommen. „Aber das ist anders. Das ist etwas Neues. Es sind mehr Menschen betroffen und die Ausprägungen sind stärker als bei anderen Infektionskrankheiten.“
Das unterschreibt auch Thomas S. Im Dezember hatte die HZ über den Architekten aus dem Landkreis und seine Frau berichtet, die damals ebenfalls unter Long Covid litten. Wie geht es ihnen heute? „Bescheiden“, so die Antwort von Thomas S. Und das obwohl auch der 64-Jährige während der akuten Corona-infektion Mitte Oktober nur an Husten und seine 56-jährige Frau an leichten Erkältungssymptomen gelitten hatten. Doch was heißt bescheiden? „Unser Zustand hat sich seit Dezember eigentlich überhaupt nicht verändert.“Konkret heißt das: Kurzatmigkeit, Leistungsschwäche, depressive Verstimmungen, Müdigkeit. „Der Motor läuft einfach auf Halbgas“, sagt Thomas S., der im Hinblick auf seine Auftraggeber seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte.
„Die Unbeschwertheit ist dahin“
Bergwandern, Skifahren, Golf: Eigentlich war das Paar immer aktiv und unternehmungslustig. „Davon können wir nur noch träumen. Heute bin ich kaputt, wenn ich ein paar Treppen steigen muss“, sagt der Architekt. Man versuche, sich mit der Situation zu arrangieren. „Wir sind Kämpfer und lassen uns nicht unterkriegen, aber das ist nicht das
Leben, das wir mal hatten.“Die Unbeschwertheit sei dahin und eine Besserung nicht in Sicht. „Die Ärzte tasten sich ran, aber eigentlich stochern alle nur im Nebel. Das durchzumachen, ist einfach die Hölle.“Der 64-Jährige hat Konsequenzen aus den vergangenen Monaten gezogen: Er hat seine Arbeitszeit reduziert und wird mittelfristig seinen Beruf ganz an den Nagel hängen.
Über die Häufigkeit von Long Covid gibt es unterschiedliche Studien. Grob gehen Experten von zehn bis 20 Prozent aus. Manche sprechen aber auch von bis zu 80 Prozent. Wie kommt diese Spanne? Laut Holger Slatosch sind die bisher verfügbaren Studien
nur schwer vergleichbar. „Manche untersuchen nur Menschen, die im Krankenhaus behandelt wurden, andere auch solche, die einen milden Verlauf hatten.“
Ein weiteres Problem: „Long Covid ist ein neues Krankheitsbild und muss erst noch genau definiert werden.“Das passiere gerade, aber man stehe noch ganz am Anfang. Und auch auf die Frage nach der Ursache hat die Medizin bislang keine passende Antwort. „Man geht davon aus, dass der Auslöser eine Art Entzündungsreaktion im Gehirn sein kann“, sagt Holger Slatosch. „Aber im Grunde laufen wir der Krankheit noch in jeder Hinsicht hinterher.“