Das gespaltene Amerika
Der Tod des Afro-amerikaners George Floyd erschütterte Menschen auf der ganzen Welt. An diesem Montag beginnt die Gerichtsverhandlung gegen den Polizisten, der die Tat begang.
Am 25. Mai vergangenen Jahres starb der 46-jährige Afroamerikaner George Perry Floyd, weil er in dem Verdacht stand, eine Schachtel Zigaretten mit einem gefälschten 20 Dollarschein gekauft zu haben. Der Vorfall, bei dem ein weißer Polizist auf Floyds Hals kniete und selbst nach Einsetzen der Bewusstlosigkeit nicht locker ließ, wurde von Passanten gefilmt. Die Bilder gingen um die Welt. Nun muss sich der Ordnungshüter Derek Chauvin, der wegen vorsätzlicher Tötung angeklagt ist, vor einem Gericht in Minneapolis verantworten. Rechtsexperten rechnen angesichts der überwältigenden Beweislage mit einem Schuldspruch. Gleichwohl weisen sie darauf hin, dass gerade in Schlagzeilen trächtigen Prozessen Überraschungen keine Seltenheit sind
Fast acht Minuten lang kniete Chauvin am Us-feiertag Memorial Day, an dem die Nation ihrer Kriegsgefallenen gedenkt, auf dem Hals des Opfers, der mehr als 20 Mal die Worte wiederholte: „Ich kann nicht atmen, ich kann nicht atmen“. Der Würgegriff dauerte noch gut drei Minuten an, als Floyd bereits bewusstlos war. Nach Eintreffen der Ambulanz konnte nur noch der Tod festgestellt werden. Sämtliche Wiederbelebungsversuche auf dem Weg ins Krankenhaus blieben erfolglos. Der Gerichtsmediziner stellte als Todesursache Herz- und Kreislaufversagen als unmittelbare Folge von Chauvins Gewalteinsatz fest.
Rund um den Globus löste der Tod des Basketballtrainers Proteste aus. Freunde und Familie beschreiben den ehrenamtlich engagierten Basketballtrainer als warmherzig, hilfsbereit und sensibel. In den USA kam es als Reaktion auf den Polizeieinsatz zu gewaltsamen Konfrontationen zwischen Polizisten und Anhängern der „Black Lives Matter“-bewegung (BLM). Über den ganzen Sommer und Herbst kochten die Emotionen hoch. Wegen Plünderungen verhängten mehr als 40 Us-städte Ausgangssperren.
Der damalige Präsident Donald Trump instrumentalisierte die aufgebrachte Stimmung nach dem Tod Floyds. Als in Großstädten die ersten Ladenscheiben eingeschlagen wurden, twitterte er „when the looting begins, the shooting begins“– sobald also Plünderungen beginnen, werde die Polizei schießen. Wasser auf die Mühlen seiner glühendsten Anhänger also. Wie die meisten Vertreter seiner politischen Basis unterstützte Trump die Gegenbewegung „Blue Lives Matter“. Diese spielt auf die Farbe der Polizeiuniformen an und soll die unterschwellige Botschaft vermitteln, dass Polizeigewalt angemessen sei, weil Ordnungshüter in der Regel aus Notwehr handeln.
Nicht aber im Falle des unbewaffneten George Floyd. Und während die Debatte um Polizeigewalt, Reformgesetze und die Diskriminierung afroamerikanischer Männer weiter tobt, werden nun 12 Juroren darüber entscheiden, ob Chauvin bis zu 40 Jahren hinter Gittern verbringen wird oder ob er auf freien Fuß kommt. Obwohl die Dauer ebenso wie der Ausgang des Prozesses völlig ungewiss sind, glauben die meisten Rechtsexperten, dass die Wahrscheinlichkeit eines Schuldspruchs überwiegt. Schließlich ist Chauvin in drei Punkten angeklagt, und selbst die Überzeugung, der Polizist habe Floyd fahrlässig getötet, würde für einen Schuldspruch reichen.
Experten verweisen zum einen auf die Videos, die sich im Internet wie ein Lauffeuer verbreiteten und Bände sprechen. Schließlich hatten Passanten, die sahen, dass Floyd keine Luft kriegte, Chauvin aufgefordert, ihn atmen zu lassen. Auch wird die Staatsanwaltschaft daran erinnern, dass der Polizist nicht weniger als 22 mal wegen unnötigen Gewalteinsatzes angezeigt, gerügt oder vom Dienst freigestellt wurde. Nicht vergessen werden die Juroren auch, dass Floyds Familie von der Stadt Minneapolis 27 Millionen Dollar Schadenersatz zuerkannt wurde, das einige als Schuldgeständnis auffassen könnten.
Chauvins Strafverteidiger wollen aber auch schweres Geschütz auffahren. Unter anderem werden sie darauf hinweisen, dass laut Zeugenaussagen Floyd betrunken gewirkt habe und bei der anschließenden Autopsie Spuren von Opioiden und anderen Drogen in seinem Blut gefunden wurden. Hilfreich ist für die Verteidiger auch, dass der Richter Beweismaterial von einer früheren Verhaftung zugelassen hat, bei der ebenfalls Drogenmissbrauch festgestellt werden konnte.
Nach Darstellung von Regierungssprecherin Jen Psaki wird Präsident Joe Biden den Prozess sehr aufmerksam verfolgen. Floyds Tod habe dazu beigetragen, dass Biden kurz nach Amtsantritt ein Dekret unterschrieb, welches die Gleichbehandlung schwarzer und anderer ethnischer Minderheiten vorschreibt.