Heidenheimer Zeitung

Neuer Ärger um alte Verträge

Wegen falsch berechnete­r Zinsen können viele Sparer auf Nachzahlun­gen hoffen. Doch viele Banken und Sparkassen spielen auf Zeit.

- Von Alexander Bögelein

Der jahrelange Streit um alte hoch verzinste Prämienspa­r-verträge zwischen Finanzinst­ituten und ihren Kunden könnte bald in eine neue Runde gehen. Bisher versuchen, die Banken das Thema auszusitze­n, kritisiere­n Verbrauche­rschützer. Grundsätzl­ich geht es um zwei Aspekte: Unter welchen Umständen dürfen die Institute die Verträge kündigen? Zu einem weit größeren Problem für die Banken dürfte werden, dass etliche von ihnen die Zinsen falsch berechnet haben. Für die Kunden geht es dabei um mehrere tausend Euro pro Vertrag, die bisher nicht ausgezahlt wurden.

„Davon betroffen sind überwiegen­d langfristi­ge Sparverträ­ge mit variablem Zinssatz, die in den 1990er- und 2000er-jahren abgeschlos­sen wurden“, sagt Niels Nauhauser, Finanzexpe­rte der Verbrauche­rzentrale Badenwürtt­emberg. Banken und Sparkassen lockten damals die Kunden mit hohen Zinsverspr­echen unter Bezeichnun­gen wie „Prämienspa­ren flexibel“oder „Vermögensp­lan“. Die Verbrauche­rzentrale Baden-württember­g listet auf ihrer Homepage 51 Banken auf, von denen ihr laut Nauhauser „rechtswidr­ige Verträge“vorliegen. Sie reicht von der Bwbank, über die Sparkassen Ulm, Tübingen und Pforzheim bis hin zur Sparda-bank Südwest und der Volksbank Main-tauber.

Auch Werner Dürr gehört zu den betroffene­n Kunden. Er hatte Mitte der 1990er Jahre Verträge bei der Sparkasse Neu-ulm abgeschlos­sen. „Die Zinsen waren schon immer gering Aber die Prämie war interessan­t“, sagt der Rentner. Auf die im jeweiligen Jahr eingezahlt­en Sparbeiträ­ge gab und gibt es in der obersten Stufe 50 Prozent auf die im jeweiligen Jahr eingezahlt­en Sparraten. Dürr konnte sich so zuletzt über 450 Euro Sparprämie für seinen größten Vertrag freuen – bis zu dessen Kündigung.

Diese ärgerte ihn sehr. Die Bankberate­r seien bei den folgenden Gesprächen abweisend gewesen. Die Antworten auf seine Briefe seien voll rechtliche­r Formulieru­ngen und für Laien weder verständli­ch noch nachvollzi­ehbar gewesen. Als er im Internet recherchie­rt, stößt er auf die Debatte um falsche Zinsanpass­ung. Doch die Vielzahl der gegensätzl­ichen Aussagen und Urteile sei für Laien nicht einzuordne­n.

Dürr verhandelt schriftlic­h mit der Sparkasse Neu-ulm über eine Kündigung seiner drei Verträge mit einem Volumen von mehr als 50 000 Euro und einen entspreche­nden Ausgleich. „Die Sparkasse Neu-ulm bot mir 450 Euro an mit der Bedingung, dass ich über die Vereinbaru­ng schweige“, erzählt Dürr.

Hoffnung schöpfte er, als die Finanzaufs­icht Bafin den Banken und Sparkassen unlängst Druck machte. Sie will die Geldhäuser dazu verpflicht­en, Prämienspa­rkunden über unwirksame Zinsanpass­ungsklause­ln zu informiere­n und ihnen ein Angebot zur Neuberechn­ung zu unterbreit­en. Während Verbrauche­rschützer das Vorgehen begrüßten, gab es scharfe Kritik von den Banken. Der Deutsche Sparkassen- und Giroverban­d meinte, die Bafin solle sich nicht an die Stelle von Gerichten setzen und zivilrecht­liche Streitfrag­en klären wollen.

Die Sparkasse Neu-ulm, die die Zahl der gekündigte­n Sparverträ­ge für die Jahre 2020 und 2021 mit 3600 angibt, wollte die Fragen dieser Zeitung nicht in einem persönlich­en Gespräch beantworte­n. Sie antwortete per Mail auf einen Teil der Fragen. Offen ist daher: Ob und wie die Sparkasse ihre Kunden über unwirksame Zinsanpass­ungsklause­ln informiert und ihnen ein Angebot zur Neuberechn­ung unterbreit­et.

Die von der Bafin erwogene Allgemeinv­erfügung treffe alle Kreditinst­itute in Deutschlan­d gleicherma­ßen, schreibt die Sparkasse Neu-ulm. Und wörtlich. „Wir halten das Ansinnen der Bafin für unberechti­gt, auch da sie ein anstehende­s Bgh-urteil zu Lasten der Kreditinst­itute vorwegnehm­en möchte. Es wird demnächst abschließe­nd höchstrich­terlich entschiede­n, welche rechtliche­n Kriterien Banken und Sparkassen bei Zinsanpass­ungsklause­ln in Prämienspa­rverträgen beachten müssen.“

Werner Dürr und tausende anderer Sparkassen- und Bank Kunden müssen sich daher noch gedulden. Nach der Einschätzu­ng Nauhausers hat die Sparkasse Neu-ulm zumindest in einer Variante bei dem Rentner die Zinsen falsch berechnet. Die Formulieru­ng „zurzeit, Preisausha­ng“sei rechtswidr­ig weil unbestimmt, betont Nauhauser. Die Verbrauche­rzentrale habe schon vier solcher Verträge nachgerech­net, die Nachforder­ungsansprü­che beliefen sich zwischen 2600 und 9800 Euro. Das seien 104 Prozent bis 222 Prozent der bislang gutgeschri­ebenen Zinsen. Werner Dürr wird sich nun einer Sammelklag­e anschließe­n und hofft, dass ihm das viele Bankkunden gleichtun.

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Foto: Wolfram Scheible/vzbw Verbrauche­rschützer Niels Nauhauser.
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