Neuer Ärger um alte Verträge
Wegen falsch berechneter Zinsen können viele Sparer auf Nachzahlungen hoffen. Doch viele Banken und Sparkassen spielen auf Zeit.
Der jahrelange Streit um alte hoch verzinste Prämienspar-verträge zwischen Finanzinstituten und ihren Kunden könnte bald in eine neue Runde gehen. Bisher versuchen, die Banken das Thema auszusitzen, kritisieren Verbraucherschützer. Grundsätzlich geht es um zwei Aspekte: Unter welchen Umständen dürfen die Institute die Verträge kündigen? Zu einem weit größeren Problem für die Banken dürfte werden, dass etliche von ihnen die Zinsen falsch berechnet haben. Für die Kunden geht es dabei um mehrere tausend Euro pro Vertrag, die bisher nicht ausgezahlt wurden.
„Davon betroffen sind überwiegend langfristige Sparverträge mit variablem Zinssatz, die in den 1990er- und 2000er-jahren abgeschlossen wurden“, sagt Niels Nauhauser, Finanzexperte der Verbraucherzentrale Badenwürttemberg. Banken und Sparkassen lockten damals die Kunden mit hohen Zinsversprechen unter Bezeichnungen wie „Prämiensparen flexibel“oder „Vermögensplan“. Die Verbraucherzentrale Baden-württemberg listet auf ihrer Homepage 51 Banken auf, von denen ihr laut Nauhauser „rechtswidrige Verträge“vorliegen. Sie reicht von der Bwbank, über die Sparkassen Ulm, Tübingen und Pforzheim bis hin zur Sparda-bank Südwest und der Volksbank Main-tauber.
Auch Werner Dürr gehört zu den betroffenen Kunden. Er hatte Mitte der 1990er Jahre Verträge bei der Sparkasse Neu-ulm abgeschlossen. „Die Zinsen waren schon immer gering Aber die Prämie war interessant“, sagt der Rentner. Auf die im jeweiligen Jahr eingezahlten Sparbeiträge gab und gibt es in der obersten Stufe 50 Prozent auf die im jeweiligen Jahr eingezahlten Sparraten. Dürr konnte sich so zuletzt über 450 Euro Sparprämie für seinen größten Vertrag freuen – bis zu dessen Kündigung.
Diese ärgerte ihn sehr. Die Bankberater seien bei den folgenden Gesprächen abweisend gewesen. Die Antworten auf seine Briefe seien voll rechtlicher Formulierungen und für Laien weder verständlich noch nachvollziehbar gewesen. Als er im Internet recherchiert, stößt er auf die Debatte um falsche Zinsanpassung. Doch die Vielzahl der gegensätzlichen Aussagen und Urteile sei für Laien nicht einzuordnen.
Dürr verhandelt schriftlich mit der Sparkasse Neu-ulm über eine Kündigung seiner drei Verträge mit einem Volumen von mehr als 50 000 Euro und einen entsprechenden Ausgleich. „Die Sparkasse Neu-ulm bot mir 450 Euro an mit der Bedingung, dass ich über die Vereinbarung schweige“, erzählt Dürr.
Hoffnung schöpfte er, als die Finanzaufsicht Bafin den Banken und Sparkassen unlängst Druck machte. Sie will die Geldhäuser dazu verpflichten, Prämiensparkunden über unwirksame Zinsanpassungsklauseln zu informieren und ihnen ein Angebot zur Neuberechnung zu unterbreiten. Während Verbraucherschützer das Vorgehen begrüßten, gab es scharfe Kritik von den Banken. Der Deutsche Sparkassen- und Giroverband meinte, die Bafin solle sich nicht an die Stelle von Gerichten setzen und zivilrechtliche Streitfragen klären wollen.
Die Sparkasse Neu-ulm, die die Zahl der gekündigten Sparverträge für die Jahre 2020 und 2021 mit 3600 angibt, wollte die Fragen dieser Zeitung nicht in einem persönlichen Gespräch beantworten. Sie antwortete per Mail auf einen Teil der Fragen. Offen ist daher: Ob und wie die Sparkasse ihre Kunden über unwirksame Zinsanpassungsklauseln informiert und ihnen ein Angebot zur Neuberechnung unterbreitet.
Die von der Bafin erwogene Allgemeinverfügung treffe alle Kreditinstitute in Deutschland gleichermaßen, schreibt die Sparkasse Neu-ulm. Und wörtlich. „Wir halten das Ansinnen der Bafin für unberechtigt, auch da sie ein anstehendes Bgh-urteil zu Lasten der Kreditinstitute vorwegnehmen möchte. Es wird demnächst abschließend höchstrichterlich entschieden, welche rechtlichen Kriterien Banken und Sparkassen bei Zinsanpassungsklauseln in Prämiensparverträgen beachten müssen.“
Werner Dürr und tausende anderer Sparkassen- und Bank Kunden müssen sich daher noch gedulden. Nach der Einschätzung Nauhausers hat die Sparkasse Neu-ulm zumindest in einer Variante bei dem Rentner die Zinsen falsch berechnet. Die Formulierung „zurzeit, Preisaushang“sei rechtswidrig weil unbestimmt, betont Nauhauser. Die Verbraucherzentrale habe schon vier solcher Verträge nachgerechnet, die Nachforderungsansprüche beliefen sich zwischen 2600 und 9800 Euro. Das seien 104 Prozent bis 222 Prozent der bislang gutgeschriebenen Zinsen. Werner Dürr wird sich nun einer Sammelklage anschließen und hofft, dass ihm das viele Bankkunden gleichtun.