Ein Stück Normalität in der Krise
Shoppen, Kaffee trinken, im Biergarten sitzen: Viele Menschen zieht es am Wochenende in die Modellstadt Tübingen. Der befürchtete Ansturm von auswärtigen Besuchern bleibt aber aus.
Samstag, 10 Uhr: Auf dem Tübinger Kelternplatz hat sich eine lange Schlange gebildet. Kein Wunder, am Ende wartet quasi das Ticket in die Freiheit. Seit zwei Wochen können sich Menschen in der Uni-stadt kostenlos auf Corona testen lassen und mit einem negativen Ergebnis in Läden shoppen, in Cafés sitzen oder Museen besuchen. So warten an diesem Morgen also Dutzende darauf, den Abstrich machen zu können. In der nächsten Schlange erhalten sie dann das Tagesticket.
Lange Wartezeiten? Für viele kein Problem. Er habe eine halbe Stunde auf das begehrte Zertifikat warten müssen, berichtet beispielsweise ein Besucher aus dem Kreis Göppingen. Das sei aber völlig in Ordnung gewesen. Die Aussicht auf ein Schnitzel im Biergarten war zu verlockend. Auch eine junge Frau und ihren Freund stört es wenig, am Samstag sogar eineinhalb Stunden auf den Freibrief zu warten. „Die Normalität zu spüren war uns das wert.“Sie habe einfach draußen sitzen und bei Essen und Trinken Leute beobachten wollen, erzählt die Tübingerin.
Drei Teststationen für Touristen
Weil zuletzt auch viele Auswärtige diese Normalität wieder spüren wollten, hatte die Stadt die Zahl der Tagestickets für Nicht-tübinger am Samstag auf 3000 Stück begrenzt. Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) sagte, er bedauere es sehr, Gäste abweisen zu müssen: „Tübingen ist immer eine Reise wert. Ich bitte alle, die nun eine weite Anfahrt auf sich nehmen würden, um das Flair unserer Stadt zu genießen, diesen Plan auf den Sommer zu verschieben.“
Ein Appell, der offensichtlich fruchtete. Zumindest blieb der befürchtete Riesenansturm offenbar aus. Exakte Zahlen, wer nun Einheimischer und wer Zugereister war, wurden laut Deutschem Roten Kreuz nicht zentral erfasst. Man schätze aber, das das Limit nicht erreicht worden sei. In einer Mitteilung der Stadt heißt es: „Der Tagestourismus blieb in einem verträglichen Rahmen.“Drei von insgesamt neun Teststationen sind am Samstag für Besucher von auswärts reserviert. Nicht jeder findet sich gleich zurecht. Er wisse nicht, welche der Stationen nun für Auswärtige vorgesehen sei, sagt ein Wartender, während ein anderer Mann seinem Ärger lauthals Luft macht: „Das ist nirgends gekennzeichnet“, poltert der 32-Jährige. Er komme aus München und sei nun schon bei zwei Teststationen abgewiesen worden.
Das bundesweit beachtete Modellprojekt, das viele Städte kopieren wollen und das untersuchen soll, ob mehr Öffnungsschritte mit flächendeckendem Testen umsetzbar sind, läuft bis zum 18. April. Die Positivrate der Schnelltests ist nach Angaben des Gesundheitsministeriums mit 1:1000 sehr konstant, das von der Stadt aufgebaute System regelmäßiger Testungen in Betrieben, Schulen, Kitas sowie das leistungsfähige Netz von Teststationen funktionierten. Die Inzidenz liege seit mehreren Wochen unter 35.
Das Testen muss aus Sicht der Tübinger Pandemiebeauftragten Lisa Federle mittelfristig an die Bürger übertragen werden. Das Modellprojekt sei sehr aufwendig und teuer. Jeder Test an einer der neun Teststationen in Tübingen koste den Steuerzahler 15 Euro, sagte Federle am Samstag bei einer Online-diskussionsveranstaltung der Bundesregierung. Daher müsse man, so Federle, die Verantwortung für die Selbsttests „schon in die Hände der Bevölkerung geben“.