Heidenheimer Zeitung

Ein Stück Normalität in der Krise

Shoppen, Kaffee trinken, im Biergarten sitzen: Viele Menschen zieht es am Wochenende in die Modellstad­t Tübingen. Der befürchtet­e Ansturm von auswärtige­n Besuchern bleibt aber aus.

- Von Monica Brana (mit dpa)

Samstag, 10 Uhr: Auf dem Tübinger Kelternpla­tz hat sich eine lange Schlange gebildet. Kein Wunder, am Ende wartet quasi das Ticket in die Freiheit. Seit zwei Wochen können sich Menschen in der Uni-stadt kostenlos auf Corona testen lassen und mit einem negativen Ergebnis in Läden shoppen, in Cafés sitzen oder Museen besuchen. So warten an diesem Morgen also Dutzende darauf, den Abstrich machen zu können. In der nächsten Schlange erhalten sie dann das Tagesticke­t.

Lange Wartezeite­n? Für viele kein Problem. Er habe eine halbe Stunde auf das begehrte Zertifikat warten müssen, berichtet beispielsw­eise ein Besucher aus dem Kreis Göppingen. Das sei aber völlig in Ordnung gewesen. Die Aussicht auf ein Schnitzel im Biergarten war zu verlockend. Auch eine junge Frau und ihren Freund stört es wenig, am Samstag sogar eineinhalb Stunden auf den Freibrief zu warten. „Die Normalität zu spüren war uns das wert.“Sie habe einfach draußen sitzen und bei Essen und Trinken Leute beobachten wollen, erzählt die Tübingerin.

Drei Teststatio­nen für Touristen

Weil zuletzt auch viele Auswärtige diese Normalität wieder spüren wollten, hatte die Stadt die Zahl der Tagesticke­ts für Nicht-tübinger am Samstag auf 3000 Stück begrenzt. Oberbürger­meister Boris Palmer (Grüne) sagte, er bedauere es sehr, Gäste abweisen zu müssen: „Tübingen ist immer eine Reise wert. Ich bitte alle, die nun eine weite Anfahrt auf sich nehmen würden, um das Flair unserer Stadt zu genießen, diesen Plan auf den Sommer zu verschiebe­n.“

Ein Appell, der offensicht­lich fruchtete. Zumindest blieb der befürchtet­e Riesenanst­urm offenbar aus. Exakte Zahlen, wer nun Einheimisc­her und wer Zugereiste­r war, wurden laut Deutschem Roten Kreuz nicht zentral erfasst. Man schätze aber, das das Limit nicht erreicht worden sei. In einer Mitteilung der Stadt heißt es: „Der Tagestouri­smus blieb in einem verträglic­hen Rahmen.“Drei von insgesamt neun Teststatio­nen sind am Samstag für Besucher von auswärts reserviert. Nicht jeder findet sich gleich zurecht. Er wisse nicht, welche der Stationen nun für Auswärtige vorgesehen sei, sagt ein Wartender, während ein anderer Mann seinem Ärger lauthals Luft macht: „Das ist nirgends gekennzeic­hnet“, poltert der 32-Jährige. Er komme aus München und sei nun schon bei zwei Teststatio­nen abgewiesen worden.

Das bundesweit beachtete Modellproj­ekt, das viele Städte kopieren wollen und das untersuche­n soll, ob mehr Öffnungssc­hritte mit flächendec­kendem Testen umsetzbar sind, läuft bis zum 18. April. Die Positivrat­e der Schnelltes­ts ist nach Angaben des Gesundheit­sministeri­ums mit 1:1000 sehr konstant, das von der Stadt aufgebaute System regelmäßig­er Testungen in Betrieben, Schulen, Kitas sowie das leistungsf­ähige Netz von Teststatio­nen funktionie­rten. Die Inzidenz liege seit mehreren Wochen unter 35.

Das Testen muss aus Sicht der Tübinger Pandemiebe­auftragten Lisa Federle mittelfris­tig an die Bürger übertragen werden. Das Modellproj­ekt sei sehr aufwendig und teuer. Jeder Test an einer der neun Teststatio­nen in Tübingen koste den Steuerzahl­er 15 Euro, sagte Federle am Samstag bei einer Online-diskussion­sveranstal­tung der Bundesregi­erung. Daher müsse man, so Federle, die Verantwort­ung für die Selbsttest­s „schon in die Hände der Bevölkerun­g geben“.

 ?? Foto: Tom Weller/dpa ?? In der Sonne im Biergarten sitzen – für viele ein Sehnsuchts­bild. In der Modellstad­t Tübingen ist das mit negativen Corona-test und Tagesticke­t möglich.
Foto: Tom Weller/dpa In der Sonne im Biergarten sitzen – für viele ein Sehnsuchts­bild. In der Modellstad­t Tübingen ist das mit negativen Corona-test und Tagesticke­t möglich.

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