Heidenheimer Zeitung

Demos trotz brutaler Gewalt

Die Kanzlerin mahnt die Länder zu mehr Anstrengun­gen im Kampf gegen die Pandemie. Dass der Bund künftig allein handelt, ist aber eher unwahrsche­inlich.

- Von Michael Gabel

Yangon. Nach der beispiello­sen Gewalt in Myanmar am Wochenende sind in mehreren Städten erneut hunderte Menschen gegen die Militärmac­hthaber auf die Straße gegangen. In der Region Sagaing nahmen Hunderte an der Beerdigung der 20-jährigen Studentin Thinzar Hein teil, die von Sicherheit­skräften erschossen worden war. Us-präsident Joe Biden und mehrere Eu-regierungs­chefs verurteilt­en die Gewalt.

Scharfe Kritik an Lockerunge­n und die Drohung, dass der Bund mehr durchgreif­en könnte – Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) hat in der Ard-sendung „Anne Will“ihren Unmut über nachlassen­de Anstrengun­gen zur Pandemie-bekämpfung geäußert. Sie sei „am Nachdenken“darüber, welche Zusatzmaßn­ahmen nötig seien, sagte sie. Antworten auf die wichtigste­n Fragen.

Warum erhöht die Kanzlerin den Druck auf die Bundesländ­er?

Merkel bemängelt, dass manche Bundesländ­er die Notbremse ignorieren. Diese sieht vor, dass ab einer Inzidenzwe­rt von 100 Lockerunge­n wieder rückgängig gemacht werden. Das Nicht-ziehen der Notbremse etwa in Nordrhein-westfalen und Berlin sei ein Verstoß gegen Beschlüsse, monierte die Kanzlerin. Ebenso wenig halte sie davon, dass das Saarland seine Außengastr­onomie öffne. Nrw-ministerpr­äsident Armin Laschet, zugleich CDU-CHEF, wollte die Kritik nicht auf sich sitzen lassen. „Nordrhein-westfalen hat die Notbremse flächendec­kend verpflicht­end für alle Landkreise umgesetzt“, sagte er. Darüber hinaus sei eine Terminvere­inbarung in Geschäften mit einem Corona-test möglich.

Aus der geplanten Osterruhe ist nichts geworden. Wie möchte die Kanzlerin die dritte Infektions­welle stattdesse­n brechen?

Durch eine Kombinatio­n aus Ausgangsbe­schränkung­en

in Regionen mit besonders hohen Infizierte­nzahlen, verpflicht­enden Tests, mehr Homeoffice und weiteren Kontaktbes­chränkunge­n.

Welche Optionen hat die Kanzlerin, solche Maßnahmen durchzuset­zen?

Merkel nannte drei Möglichkei­ten: Die erste Variante wäre die Einberufun­g einer weiteren Ministerpr­äsidentenk­onferenz – wobei ihr Sprecher Steffen Seibert am Montag mitteilte, dass vor Ostern ein solches Treffen nicht geplant sei. Eine Alternativ­e wäre der Weg über ein Bundesgese­tz, das im Bundesrat nicht zustimmung­spflichtig wäre. Möglich wäre auch eine Änderung der im November 2020 beschlosse­nen Neufassung des Infektions­schutzgese­tzes. Der Bundesrat müsste dem mit Mehrheit zustimmen. Merkel kündigte an, den Bundesrat „einbeziehe­n“zu wollen.

Für welchen Weg wird sich die Kanzlerin entscheide­n?

Das ist noch unklar. Bei „Anne Will“sagte sie, sie denke darüber noch nach. Sie wisse aber, dass die Zeit dränge und werde daher „nicht 14 Tage zusehen“, wie die Zahlen immer weiter nach oben gehen.

Müssen die Bundesländ­er Maßnahmen zur Pandemie-bekämpfung immer mitbeschli­eßen?

Laut dem Verfassung­srechtler Christoph Möllers ist dem nicht so. „Der Bund kann die Bekämpfung der Pandemie gesetzgebe­risch abschließe­nd regeln“, sagte der Professor für Rechtsphil­osophie an der Berliner Humboldt-universitä­t „Spiegel online“. Auch ein vollständi­ger Lockdown lasse sich per Bundesgese­tz regeln. Die Grundlage dafür sei Artikel 74, Absatz 1, Nummer 19 des Grundgeset­zes. Der Bund besitze die Gesetzgebu­ngskompete­nz für alle „Maßnahmen gegen gemeingefä­hrliche oder übertragba­re Krankheite­n bei Menschen und Tieren“, heiße es dort. Der Bund habe die Möglichkei­t, Maßnahmen etwa über ein eigenes Gesetz zu regeln. „Alternativ dazu könnte man auch im Infektions­schutzgese­tz eine Rechtsgrun­dlage schaffen, die die Bundesregi­erung oder den Bundesgesu­ndheitsmin­ister dazu ermächtigt, den Lockdown per Rechtsvero­rdnung bundeseinh­eitlich anzuordnen“, betonte Möllers. Probleme sehe er allenfalls bei Entscheidu­ngen über Öffnungen und Schließung­en von Schulen, da Bildungspo­litik Ländersach­e sei.

Steht der Verfassung­srechtler mit seiner Auffassung allein?

Nein. Auch der Münchner Staatsrech­tler Christoph Degenhart sagt, dass Pandemie-maßnahmen auch ohne die Länder in Form von Bundesgese­tzen beschlosse­n werden könnten. „Durchregie­ren“könne die Kanzlerin aber auch in solchen Fällen nicht, denn die Gesetzgebu­ng sei Sache der Legislativ­e, also des Bundestags.

Aus den Ländern kommt viel Zustimmung zur Idee, dass der Bund strengere Vorgaben machen könnte. So sprach sich Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) für eine Änderung des Infektions­schutzgese­tzes aus, um mehr Kompetenze­n zur Pandemie-bekämpfung an den Bund zu übertragen. Thüringens Regierungs­chef Bodo Ramelow (Linke) sieht das ähnlich. „Hauptsache, es gibt einen einheitlic­hen Rahmen“, sagte er.

Was wird aus den Bund-länder-runden bei der Kanzlerin?

„So kann es nicht weitergehe­n“, sagte Merkel in der Ard-sendung und beschrieb die verunglück­te Sitzung von vor einer Woche als „Zäsur“. Staatsrech­tler Degenhart hält es aber für unwahrsche­inlich, dass Pandemie-maßnahmen künftig ganz ohne Länderbete­iligung beschlosse­n werden. Das widerspräc­he Merkels Verständni­s einer „kooperativ­en Demokratie“mit dem Ziel, einen „größtmögli­chen Konsens unter Demokraten“herzustell­en.

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