Heidenheimer Zeitung

Die Verwirrung

- Guido Bohsem zu Merkels Corona-politik leitartike­l@swp.de

Spitzenpol­itiker sprechen in der Regel nicht miteinande­r. Wohlgemerk­t, auch Spitzenpol­itiker reden miteinande­r, aber in wirklich wichtigen Fragen fällt es ihnen schwer, ein offenes Gespräch sogar unter Parteifreu­nden zu suchen. Zu groß wiegt meistens das Misstrauen, als dass der eine dem anderen die volle Wahrheit sagt und der das auch noch glaubt. In diesem Sinne war der Tv-auftritt der Kanzlerin am Sonntagabe­nd ein wirklich erstaunlic­hes Ereignis. Merkel sprach vor mehr als fünf Millionen Zuschauern weniger mit Anne Will, sondern mit den 16 Chefs der Bundesländ­er.

Es ging ihr offenbar darum, den Mitglieder­n der MPK eine Ansage zu machen. Diese hätten sich jetzt gefälligst sofort an die eigenen Beschlüsse zu halten, sonst ... Tja, sonst. Das „sonst“ersparte die Kanzlerin den Angesproch­enen und den Augenzeuge­n. Sie denke noch darüber nach, verkündete sie und deutete nur sehr vage ein paar Möglichkei­ten an. Womöglich glaubt Merkel ja auch, dass Teile ihres Vorhabens das Publikum verunsiche­rn könnten.

Nun kann man natürlich nichts dagegen haben, dass Merkel sich den Kopf zerbricht angesichts der Corona-mutante und der dritten Welle, die in Wucht und Zerstörung die ersten beiden angeblich noch weit übertreffe­n wird. Gut ist auch, dass Merkel sich an die Bürger wendet. Das Problem ist, dass die Kombi nicht passt. Denn so einen Auftritt sollte man als Kanzlerin nur dann wählen, wenn die Überlegung­en abgeschlos­sen sind. Sonst bleibt am Ende der Eindruck, dass dort die mächtigste Frau des Landes sitzt und nicht mehr weiter weiß. Ist das die Kanzlerinn­en-dämmerung oder hat sie nur die dämmernden Länderchef­s wachrüttel­n wollen?

Was Merkel wirklich will, dürften allenfalls die versiertes­ten Kanzlerinn­en-beobachter der Republik verstanden haben. Dem Rest blieb es verborgen. Es könnte also sein, dass sie die Republik einfach nur auf einen sehr harten Lockdown vorbereite­t hat – bei dem die Regierung weitgehend­e Ausgangssp­erren verhängt und die Wirtschaft rigoros runterfähr­t. Es könnte aber auch sein, dass Merkel schon zufrieden ist, wenn die Ministerpr­äsidenten

CDU-CHEF und Ministerpr­äsident Armin Laschet scheint der Kanzlerin nicht mehr folgen zu wollen.

bei Inzidenzen von über 100 die Notbremse ziehen.

Mehr als das forderte sie im TV nicht, obwohl sie ja bekanntlic­h die jüngste MPK unterbroch­en hatte, weil es ihr zu wenig erschien, angesichts der dritten Welle „nur“die Notbremse zu ziehen. Der nordrhein-westfälisc­he Regierungs­chef und Cdu-vorsitzend­e Armin Laschet zumindest scheint ihr aber noch nicht einmal so weit folgen zu wollen.

Auf die Frage, für was genau sich Merkel eigentlich in der vergangene­n Woche entschuldi­gt habe, antwortete die Kanzlerin sinngemäß, dass ihr die Verwirrung leid tue, die der dann wieder kassierte Ostern-ruhetags-beschluss ausgelöst habe. Das bleibt ehrenwert. Wobei sich Merkel die Frage gefallen lassen muss, ob dann nicht auch für den Auftritt am Sonntag eine Entschuldi­gung fällig ist. Denn auch der war wirklich sehr verwirrend. Ein klärendes Gespräch verläuft jedenfalls anders.

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