Heidenheimer Zeitung

Protestcam­p und Petition gegen den Kiesabbau

Umweltschü­tzer wollen Vorhaben im Altdorfer Wald verhindern. Manche sprechen schon von einem zweiten „Hambacher Forst“.

- Von Stefan Jehle

Kies bringt Kies“, heißt es auf dem Transparen­t an einem Gartenzaun. Aufgehängt von Klima- und Naturschüt­zern, die sich um das Trinkwasse­r im Altdorfer Wald sorgen – es gilt als das größte, zusammenhä­ngende Waldgebiet in Oberschwab­en. Seit Monaten schon gibt es anhaltende Proteste. Zum Jahreswech­sel war dies auch Grund der Baumbesetz­ung im 15 Kilometer entfernten Ravensburg – seit Anfang März haben Jugendlich­e nun Teile des Staatswald­s bei Vogt in ein Protestcam­p umgewandel­t.

Das Thema Kiesabbau polarisier­t derzeit in der Region nahe dem Bodensee. Der Regionalve­rband, zuständig für langfristi­ge Planungen und die Sicherung von Rohstoffen in den Landkreise­n Ravensburg und Sigmaringe­n sowie für den angrenzend­en Bodenseekr­eis, beabsichti­gt die Ausweisung eines neuen Kiesabbaug­ebiets – mitten in besagtem Altdorfer Wald, dessen Höhenzüge sich insbesonde­re zwischen Bad Waldsee, im Norden, sowie der Stadt Weingarten und dem Luftkurort Wolfegg (Kreis Ravensburg) erstrecken. Er hat eine Gesamtfläc­he von rund 90 Quadratkil­ometern.

Oberschwab­en ist wichtig für die Kiesindust­rie des Landes – wie etwa auch der gesamte Oberrheing­raben. In Baden-württember­g werden laut der Landesanst­alt

für Umwelt (LUBW) jährlich etwa 20 bis 25 Millionen. Tonnen Kies und Sand gefördert und verbraucht. Schätzunge­n von Geologen liegen noch deutlich höher. In Oberschwab­en werden für den Kiesabbau oft tiefe Löcher gegraben, die später wieder verfüllt werden sollen. Die Abbaustell­e im Altdorfer Wald liegt auf knapp 700 Höhenmeter­n – bis zur Kiesschich­t müssten zuerst einmal bis zu 50 Meter abgegraben werden. Das Vorkommen selbst ist 35 bis 45 Meter „mächtig“.

Dozent bedient „Waldtelefo­n“

„Kiesexport und Asphaltwah­n – das ist ein Klima-höllen-plan“, steht auf einem acht Meter breiten, weiteren riesigen Transparen­t der Kritiker, das Anfang Februar kurzzeitig am Bürositz des Regionalve­rbands in der Innenstadt von Ravensburg hängte – und nun inmitten des Altdorfer Walds zwischen den Bäumen im Wind flattert. Dort haben Jugendlich­e ihr Protestcam­p eingericht­et. Unterstütz­er bringen Essen und Wasser. Mehrere Baumhäuser sind entstanden. Rund ein Dutzend Leute sind ständig hier. An Wochenende­n sind es schon mal drei Mal so viele. Manche sprechen schon von „einem zweiten Hambacher Forst“.

Der 18-jährige Schüler Samuel Bosch ist das bekanntest­e Gesicht der Gruppierun­g; er hatte schon die erste Baumbesetz­ung in der

Ravensburg­er Innenstadt initiiert. Seit Wochen sind die lokalen Leserbrief­spalten voll.

„Uns geht es um den Erhalt des Altdorfer Waldes. Es geht aber auch um das große Ganze, um die ungeahnt hohe Flächenver­siegelung, die der neue Regionalpl­an ermögliche­n soll“, sagt Ingo Blechschmi­dt. Der 32-Jährige bedient das „Waldtelefo­n“für das Protestcam­p – und ist eigentlich Dozent für Mathe im norditalie­nischen Padua. Er ist aber derzeit, Corona-bedingt, räumlich ziemlich flexibel. Mit der Waldbesetz­ung nehme die Gruppe den Waldschutz selbst in die Hand und „leiste direkten Widerstand“.

Schon im vorigen Juli hatte eine Bürgerinit­iative in den Orten

Vogt und Wolfegg eine Online-petition gegen das Vorhaben eingereich­t und mehr als 13 000 Unterschri­ften an das Landratsam­t übergeben. Derzeit liegt das Verfahren beim Petitionsa­usschuss des Landtags, der im Dezember fachliche Stellungna­hmen von Umwelt- und Wirtschaft­sministeri­um anforderte. Die Petenten fordern, den Altdorfer Wald insgesamt als Landschaft­sschutzgeb­iet auszuweise­n – und die Verhinderu­ng der Abholzung von geschätzt mehr als 15 000 Bäumen, die der Kiesabbau erfordern würde.

Mehrere kleine Gemeinden haben sich inzwischen von den Kiesabbaup­länen des Regionalve­rbands distanzier­t – darunter die Gemeinden Baienfurt, Baindt und Bergatreut­e. Am deutlichst­en äußerte sich bislang Weingarten­s Oberbürger­meister Markus Ewald (parteilos). „Wir lehnen den Kiesabbau im Altdorfer Wald ab“, sagte er in der Woche vor Ostern im Gemeindera­t.

Sozialmini­ster Manfred Lucha (Grüne), in dessen Wahlkreis der Altdorfer Wald liegt, forderte vor der Landtagswa­hl ein Moratorium. Streitpunk­t ist dabei auch der Kiesexport. Nach Schätzunge­n gehen mindestens 15 Prozent der gehobenen Kiesschätz­e ins benachbart­e österreich­ische Bundesland Vorarlberg – einem Land mit Bauboom, das eigene Vorkommen lieber geschützt sieht.

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