Protestcamp und Petition gegen den Kiesabbau
Umweltschützer wollen Vorhaben im Altdorfer Wald verhindern. Manche sprechen schon von einem zweiten „Hambacher Forst“.
Kies bringt Kies“, heißt es auf dem Transparent an einem Gartenzaun. Aufgehängt von Klima- und Naturschützern, die sich um das Trinkwasser im Altdorfer Wald sorgen – es gilt als das größte, zusammenhängende Waldgebiet in Oberschwaben. Seit Monaten schon gibt es anhaltende Proteste. Zum Jahreswechsel war dies auch Grund der Baumbesetzung im 15 Kilometer entfernten Ravensburg – seit Anfang März haben Jugendliche nun Teile des Staatswalds bei Vogt in ein Protestcamp umgewandelt.
Das Thema Kiesabbau polarisiert derzeit in der Region nahe dem Bodensee. Der Regionalverband, zuständig für langfristige Planungen und die Sicherung von Rohstoffen in den Landkreisen Ravensburg und Sigmaringen sowie für den angrenzenden Bodenseekreis, beabsichtigt die Ausweisung eines neuen Kiesabbaugebiets – mitten in besagtem Altdorfer Wald, dessen Höhenzüge sich insbesondere zwischen Bad Waldsee, im Norden, sowie der Stadt Weingarten und dem Luftkurort Wolfegg (Kreis Ravensburg) erstrecken. Er hat eine Gesamtfläche von rund 90 Quadratkilometern.
Oberschwaben ist wichtig für die Kiesindustrie des Landes – wie etwa auch der gesamte Oberrheingraben. In Baden-württemberg werden laut der Landesanstalt
für Umwelt (LUBW) jährlich etwa 20 bis 25 Millionen. Tonnen Kies und Sand gefördert und verbraucht. Schätzungen von Geologen liegen noch deutlich höher. In Oberschwaben werden für den Kiesabbau oft tiefe Löcher gegraben, die später wieder verfüllt werden sollen. Die Abbaustelle im Altdorfer Wald liegt auf knapp 700 Höhenmetern – bis zur Kiesschicht müssten zuerst einmal bis zu 50 Meter abgegraben werden. Das Vorkommen selbst ist 35 bis 45 Meter „mächtig“.
Dozent bedient „Waldtelefon“
„Kiesexport und Asphaltwahn – das ist ein Klima-höllen-plan“, steht auf einem acht Meter breiten, weiteren riesigen Transparent der Kritiker, das Anfang Februar kurzzeitig am Bürositz des Regionalverbands in der Innenstadt von Ravensburg hängte – und nun inmitten des Altdorfer Walds zwischen den Bäumen im Wind flattert. Dort haben Jugendliche ihr Protestcamp eingerichtet. Unterstützer bringen Essen und Wasser. Mehrere Baumhäuser sind entstanden. Rund ein Dutzend Leute sind ständig hier. An Wochenenden sind es schon mal drei Mal so viele. Manche sprechen schon von „einem zweiten Hambacher Forst“.
Der 18-jährige Schüler Samuel Bosch ist das bekannteste Gesicht der Gruppierung; er hatte schon die erste Baumbesetzung in der
Ravensburger Innenstadt initiiert. Seit Wochen sind die lokalen Leserbriefspalten voll.
„Uns geht es um den Erhalt des Altdorfer Waldes. Es geht aber auch um das große Ganze, um die ungeahnt hohe Flächenversiegelung, die der neue Regionalplan ermöglichen soll“, sagt Ingo Blechschmidt. Der 32-Jährige bedient das „Waldtelefon“für das Protestcamp – und ist eigentlich Dozent für Mathe im norditalienischen Padua. Er ist aber derzeit, Corona-bedingt, räumlich ziemlich flexibel. Mit der Waldbesetzung nehme die Gruppe den Waldschutz selbst in die Hand und „leiste direkten Widerstand“.
Schon im vorigen Juli hatte eine Bürgerinitiative in den Orten
Vogt und Wolfegg eine Online-petition gegen das Vorhaben eingereicht und mehr als 13 000 Unterschriften an das Landratsamt übergeben. Derzeit liegt das Verfahren beim Petitionsausschuss des Landtags, der im Dezember fachliche Stellungnahmen von Umwelt- und Wirtschaftsministerium anforderte. Die Petenten fordern, den Altdorfer Wald insgesamt als Landschaftsschutzgebiet auszuweisen – und die Verhinderung der Abholzung von geschätzt mehr als 15 000 Bäumen, die der Kiesabbau erfordern würde.
Mehrere kleine Gemeinden haben sich inzwischen von den Kiesabbauplänen des Regionalverbands distanziert – darunter die Gemeinden Baienfurt, Baindt und Bergatreute. Am deutlichsten äußerte sich bislang Weingartens Oberbürgermeister Markus Ewald (parteilos). „Wir lehnen den Kiesabbau im Altdorfer Wald ab“, sagte er in der Woche vor Ostern im Gemeinderat.
Sozialminister Manfred Lucha (Grüne), in dessen Wahlkreis der Altdorfer Wald liegt, forderte vor der Landtagswahl ein Moratorium. Streitpunkt ist dabei auch der Kiesexport. Nach Schätzungen gehen mindestens 15 Prozent der gehobenen Kiesschätze ins benachbarte österreichische Bundesland Vorarlberg – einem Land mit Bauboom, das eigene Vorkommen lieber geschützt sieht.