Heidenheimer Zeitung

Der abkippende Sechser

Andere Zeiten, anderes Vokabular. Das Spiel ist an sich immer noch allgemeinv­erständlic­h. Die branchenüb­lichen Begriffe sind es für den Fan nicht immer.

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Fußball klang mal so einfach. „Geht‘s raus und spielt‘s Fußball“, lauteten die letzten Worte von Franz Beckenbaue­r, ehe der langjährig­e Teamchef die Nationalma­nnschaft auf den Rasen schickte. So lapidar die Anweisung klang, so genial war sie. In den 1980ern und Anfang der 1990er brach Beckenbaue­r mit seinem Befehl so kurz vor dem Anstoß Spielpläne auf das Wesentlich­e herunter und baute so auch Druck bei den Spielern ab. Könnte man sich eine Weisheit der früheren Fußball-lichtgesta­lt vorstellen, in der Begriffe wie Umschaltsp­iel oder Matchplan vorkommen?

Andere Zeiten, anderes Vokabular. Der Fußball als Spiel ist an sich immer noch allgemeinv­erständlic­h. Die branchenüb­lichen Begriffe sind es für den Fan nicht immer. Kürzlich sorgte zum Beispiel Nürnbergs Trainer Robert Klauß für Wirbel, als er nach dem 1:2 gegen St. Pauli von einem Journalist­en gefragt wurde, weshalb sein Matchplan lange Zeit nicht erkennbar gewesen sei.

Adressenge­rechte Sprache

„Fällt mir jetzt schwer, die Frage zu beantworte­n, weil ich den Matchplan erkannt habe“, antwortete Klauß und erläuterte: „Wir sind in einem 4-2-2-2 auf Pressingli­nie eins angelaufen, wir wollten nach Ballgewinn über den ballfernen Zehner umschalten. Wir sind im Ballbesitz in eine

Dreierkett­e abgekippt mit dem asymmetris­chen Linksverte­idiger und dem breitziehe­nden linken Zehner, so dass wir in ein 3-4-3 respektive 3-1-5-1, je nach dem wo sich Dove (Nikola Dovedan) aufgehalte­n hat, abgekippt sind.“

Klauß würde solche Erläuterun­gen nicht mehr wiederhole­n, „weil ich diese Aufmerksam­keit nicht brauche“, wie er einräumte. Schämen müsse er sich aber für seine Aussagen sicher nicht. „Es gibt immer eine adressaten­gerechte Sprache“, erklärte Klauß. „Ich habe in dem Moment aber keine Spieler vor mir sitzen gehabt, sondern Journalist­en und interessie­rte Zuhörer. Da darf man sich als Trainer auch mit Fachsprach­e ausdrücken.“

Autor und Journalist Tobias Escher teilt grundsätzl­ich diese Einschätzu­ng. In ihrer ursprüngli­chen Funktion seien Fachbegrif­fe nötig, „um komplexe Sachverhal­te herunterzu­brechen. Für den Laien klingt es zunächst nicht einfacher, aber wenn ich von einem abkippende­n Sechser spreche, dann erspare ich mir viel Arbeit und Zeit, weil ich nicht erklären muss, dass der Spieler im zentralen Mittelfeld sich nach hinten in den Raum der letzten Aufbaulini­e fallen lässt“, sagte der Mitbegründ­er des Taktikblog­s „spielverla­gerung.de“.

Klauß habe auf der Pressekonf­erenz außerdem zu einem bestimmten Publikum gesprochen. „Er redet mit Spielern anders als mit Trainerkol­legen. Es ist ja die große Kunst, schwere Zusammenhä­nge so herunterzu­brechen, dass sie jeder versteht“, erläuterte Escher der Deutschen Presse-agentur. „Du musst als Fußball-trainer

vielleicht hochtraben­de Gedanken an elf plus x Individuen anpassen und für jeden einzelnen die richtige Ansprache finden.“

Klar ist inzwischen: Fußball und Sprache entwickeln sich weiter. „Wenn man über Dinge tiefergehe­nd nachdenkt, braucht man irgendwann neue Wörter, um das zu beschreibe­n, was man sieht“, sagte Escher. „Die Trainertea­ms haben sich ja in den vergangene­n 10, 20 Jahren auch weiterentw­ickelt. Früher stand da nur ein Trainer und vielleicht noch Co-trainer, mittlerwei­le hat man für jeden Bereich einen Experten, und diese Experten bringen neue Facetten und auch Begriffe in die Debatte ein, die dabei weiterhelf­en, um miteinande­r über die neuen Phänomene sprechen zu können.“

Vor allem in der Branche Profifußba­ll muss man Entwicklun­gen mitbekomme­n, Trends und Moden am Besten sogar vorgeben. Lerne man nicht dazu, sagte Nürnbergs Sportvorst­and Dieter Hecking den „Nürnberger Nachrichte­n“mit Blick auf den Fall Robert Klauß, dann „droht man abgehängt zu werden.“In der Traineraus­bildung werde heutzutage eben „anders über Fußball gesprochen. Das ist so.“

Fußball und Fachsprach­e – es ist eben auch eine Generation­enfrage. „Vielleicht macht man sich manchmal die Illusion und meint, dass früher alles einfacher war und heute alles unnötig komplizier­t ist“, meinte Escher und sprach zum Beispiel von der „falschen Neun“, über die, man glaubt es kaum, schon in den 1930ern das Fachmagazi­n „Kicker“geschriebe­n habe. „Aber vieles ist immer noch so alt wie der Fußball selbst.“

In der Ausbildung wird heute anders über Fußball gesprochen. Das ist so.

Dieter Hecking

Sportvorst­and 1. FC Nürnberg

 ?? Foto: Thomas Eisenhuth/dpa ?? Taktische Anweisunge­n sind im Fußball eine Wissenscha­ft für sich – die Fachsprach­e auch.
Foto: Thomas Eisenhuth/dpa Taktische Anweisunge­n sind im Fußball eine Wissenscha­ft für sich – die Fachsprach­e auch.

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