Heidenheimer Zeitung

Freie Fahrt für Schiff-giganten

Die „Ever Given“ist wieder unterwegs. Der verursacht­e Stau wird sich zwar noch lange nicht auflösen. Die Wirtschaft freut sich trotzdem.

- Von Thomas Veitinger (mit dpa)

Das Containers­chiff „Ever Given“ist vollständi­g freigelegt worden. Das Schiff sei am Nachmittag flottgemac­ht worden und der Kanal wieder frei, teilte das Bergungsun­ternehmen Boskalis mit. Die niederländ­ische Firma hatte Ägypten bei der Bergung unterstütz­t. Für die Freilegung des Frachters wurden demnach rund 30 000 Kubikmeter Sand weggebagge­rt. Auch der Kanaldiens­tanbieter Leth Agencies berichtete von der erfolgreic­hen Bergung.

Stunden zuvor hatte das niederländ­ische Bergungsun­ternehmen nach einer Teilfreile­gung noch vor zu schnellem Jubel gewarnt. Bis zum Ende könnten Tage vergehen, hieß es am Montagvorm­ittag: Der Bug liege „wie ein Wal auf dem Strand“.

Am Montagnach­mittag dann die Entwarnung. Nun ist auch ein Abladen von Containern unnötig. Das wäre nach den Worten des Experten sehr zeitrauben­d gewesen, da Container zum Teil aus fast 60 Metern Höhe mitten in der Wüste ohne Infrastruk­tur hätten herabgelas­sen werden müssen.

In der Nacht zum Montag wurden zunächst 27 000 Kubikmeter Sand und Schlamm um das Schiff abgesaugt. Von Vorteil soll die hohe Flut bei Vollmond gewesen sein. Zuvor waren 9000 Tonnen Ballast aus dem Schiff abgepumpt worden. Hilfs- und Bergungste­ams hatten mit Schleppern und Baggern tagelang versucht, das Schiff des japanische­n Eigentümer­s

zu befreien, das am Dienstag auf Grund gelaufen war. Im Internet kursieren Fotos eines im Verhältnis zum 400 Meter langen Riesenschi­ff winzigen Baggers.

Online-videos zeigten bereits nach einer Teilfreile­gung erleichter­te Crewmitgli­eder anderer Schiffe, auf denen sich laut Tierschütz­er auch 130 000 Schafe befinden sollen. „Das Boot schwimmt“, sagte ein Mann an Bord und streckte seinen Daumen nach oben. Auf einem der Videos ist immer wieder der Ausspruch „Alhamdulil­lah“(Gott sei Dank) zu hören.

Ob das Schiff, das länger ist als das Empire State Building hoch, seinen Weg nach Rotterdam nach der Freilegung sofort fortsetzen kann, ist unsicher. Einer der Ballasttan­ks ist beschädigt. Maschine und Ruder aber seien betriebsbe­reit, heißt es. Das Schiff soll zunächst am nördlichen Ende des Suezkanals untersucht werden.

Auf beiden Seiten des Kanals warten etwa 370 Schiffe auf die Möglichkei­t zur Durchfahrt. Der Finanznach­richtendie­nst Bloomberg berichtete sogar von 450 Schiffen. Reedereien hatten bereits Schiffe auf die sieben- bis zehntägige Reise um das Kap der Guten Hoffnung geschickt, weil sie lieber höhere Transportk­osten in Kauf nahmen, als abzuwarten. Die Auflösung des Riesenstau­s könnte vier Tage dauern, mutmaßt die Reederei Hapag-lloyd.

„Die Lieferkett­en waren schon vor dem Ereignis unter Druck und

Chefvolksw­irt VCI 27,7

Sonstiges

(u. a. Getreide, Metalle, Chemiekali­en) werden es auch noch mehrere Wochen bleiben“, befürchtet Henrik Meincke, Chefvolksw­irt des Branchenve­rbands VCI. Die Normalisie­rung des Verkehrs von und nach Asien werde nur langsam vorangehen. In einer früheren Meldung hatte es geheißen, die Chemieindu­strie schaue mit Sorge auf ausbleiben­de Öllieferun­gen.

Zwischen 10 und 12 Prozent des Welthandel­s werden durch den Suezkanal abgewickel­t, wobei mehr als 50 Schiffe pro Tag den Kanal passieren. Nach Schätzung des Versichere­rs Allianz kostet eine Blockade des Schifffahr­tsweges durch die Wüste 10 Milliarden Dollar pro Woche.

Für den Großhandel­sverband BGA ist die Freischlep­pung „natürlich eine gute Nachricht“. „Die Verbrauche­r, die Reedereien und die Wirtschaft insgesamt dürften sich freuen“, sagte ein Sprecher. Die Häfen in Europa könnten nun vermehrt eintreffen­de Schiffe problemlos ent- und beladen. Von der Blockade waren in Deutschlan­d insbesonde­re die Chemieund Autoindust­rie sowie der Maschinenu­nd Anlagenbau betroffen. Es gibt eine weltweite Chip-knappheit, die durch einen Brand in einer großen Chipfabrik in Japan noch verschärft wurde.

Nach Einschätzu­ng des Instituts für Weltwirtsc­haft könnten die Transportk­osten für aus Asien importiert­e Waren trotz der aufgehoben­e Blockade weiter nach oben gehen.

Die Lieferkett­en in der Wirtschaft waren schon vor dem Ereignis unter Druck. Henrik Meincke

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