Freie Fahrt für Schiff-giganten
Die „Ever Given“ist wieder unterwegs. Der verursachte Stau wird sich zwar noch lange nicht auflösen. Die Wirtschaft freut sich trotzdem.
Das Containerschiff „Ever Given“ist vollständig freigelegt worden. Das Schiff sei am Nachmittag flottgemacht worden und der Kanal wieder frei, teilte das Bergungsunternehmen Boskalis mit. Die niederländische Firma hatte Ägypten bei der Bergung unterstützt. Für die Freilegung des Frachters wurden demnach rund 30 000 Kubikmeter Sand weggebaggert. Auch der Kanaldienstanbieter Leth Agencies berichtete von der erfolgreichen Bergung.
Stunden zuvor hatte das niederländische Bergungsunternehmen nach einer Teilfreilegung noch vor zu schnellem Jubel gewarnt. Bis zum Ende könnten Tage vergehen, hieß es am Montagvormittag: Der Bug liege „wie ein Wal auf dem Strand“.
Am Montagnachmittag dann die Entwarnung. Nun ist auch ein Abladen von Containern unnötig. Das wäre nach den Worten des Experten sehr zeitraubend gewesen, da Container zum Teil aus fast 60 Metern Höhe mitten in der Wüste ohne Infrastruktur hätten herabgelassen werden müssen.
In der Nacht zum Montag wurden zunächst 27 000 Kubikmeter Sand und Schlamm um das Schiff abgesaugt. Von Vorteil soll die hohe Flut bei Vollmond gewesen sein. Zuvor waren 9000 Tonnen Ballast aus dem Schiff abgepumpt worden. Hilfs- und Bergungsteams hatten mit Schleppern und Baggern tagelang versucht, das Schiff des japanischen Eigentümers
zu befreien, das am Dienstag auf Grund gelaufen war. Im Internet kursieren Fotos eines im Verhältnis zum 400 Meter langen Riesenschiff winzigen Baggers.
Online-videos zeigten bereits nach einer Teilfreilegung erleichterte Crewmitglieder anderer Schiffe, auf denen sich laut Tierschützer auch 130 000 Schafe befinden sollen. „Das Boot schwimmt“, sagte ein Mann an Bord und streckte seinen Daumen nach oben. Auf einem der Videos ist immer wieder der Ausspruch „Alhamdulillah“(Gott sei Dank) zu hören.
Ob das Schiff, das länger ist als das Empire State Building hoch, seinen Weg nach Rotterdam nach der Freilegung sofort fortsetzen kann, ist unsicher. Einer der Ballasttanks ist beschädigt. Maschine und Ruder aber seien betriebsbereit, heißt es. Das Schiff soll zunächst am nördlichen Ende des Suezkanals untersucht werden.
Auf beiden Seiten des Kanals warten etwa 370 Schiffe auf die Möglichkeit zur Durchfahrt. Der Finanznachrichtendienst Bloomberg berichtete sogar von 450 Schiffen. Reedereien hatten bereits Schiffe auf die sieben- bis zehntägige Reise um das Kap der Guten Hoffnung geschickt, weil sie lieber höhere Transportkosten in Kauf nahmen, als abzuwarten. Die Auflösung des Riesenstaus könnte vier Tage dauern, mutmaßt die Reederei Hapag-lloyd.
„Die Lieferketten waren schon vor dem Ereignis unter Druck und
Chefvolkswirt VCI 27,7
Sonstiges
(u. a. Getreide, Metalle, Chemiekalien) werden es auch noch mehrere Wochen bleiben“, befürchtet Henrik Meincke, Chefvolkswirt des Branchenverbands VCI. Die Normalisierung des Verkehrs von und nach Asien werde nur langsam vorangehen. In einer früheren Meldung hatte es geheißen, die Chemieindustrie schaue mit Sorge auf ausbleibende Öllieferungen.
Zwischen 10 und 12 Prozent des Welthandels werden durch den Suezkanal abgewickelt, wobei mehr als 50 Schiffe pro Tag den Kanal passieren. Nach Schätzung des Versicherers Allianz kostet eine Blockade des Schifffahrtsweges durch die Wüste 10 Milliarden Dollar pro Woche.
Für den Großhandelsverband BGA ist die Freischleppung „natürlich eine gute Nachricht“. „Die Verbraucher, die Reedereien und die Wirtschaft insgesamt dürften sich freuen“, sagte ein Sprecher. Die Häfen in Europa könnten nun vermehrt eintreffende Schiffe problemlos ent- und beladen. Von der Blockade waren in Deutschland insbesondere die Chemieund Autoindustrie sowie der Maschinenund Anlagenbau betroffen. Es gibt eine weltweite Chip-knappheit, die durch einen Brand in einer großen Chipfabrik in Japan noch verschärft wurde.
Nach Einschätzung des Instituts für Weltwirtschaft könnten die Transportkosten für aus Asien importierte Waren trotz der aufgehobene Blockade weiter nach oben gehen.
Die Lieferketten in der Wirtschaft waren schon vor dem Ereignis unter Druck. Henrik Meincke