Heidenheimer Zeitung

Rundgang durch eine inoffiziel­le Kunstgaler­ie

Mehr als ein Dutzend Kunstschaf­fende aus der Region wollen die Kunst zurück nach Heidenheim bringen. Sie stellen ihre Werke in den Schaufenst­ern von Geschäften aus. Ein Rundgang durch die „Kunstgaler­ie“der Innenstadt.

- Von Maximilian Haller und eine Karte mit den Standorten gibt’s auf

Rund ein Dutzend Kunstschaf­fende aus der Region stellen in den Schaufenst­ern von Heidenheim­er Geschäften ihre Werke aus.

Erinnert sich noch jemand an das Gefühl eines Museumsbes­uchs? Einer Kunstgaler­ie? Die Stille, das andächtige Betrachten, das Innehalten? Lange ist es her, der Hunger auf Kunst und Kultur wird immer größer. Einige Künstler aus der Region haben sich daher etwas überlegt: Wenn man die Menschen schon nicht zur Kunst bringen kann oder darf, bringt man die Kunst eben zu den Menschen.

Ein gutes Dutzend Kunstschaf­fende stellt seine Werke momentan in den Geschäften der Heidenheim­er Innenstadt aus. Wo genau, und wer jeweils dahinter steckt, das muss im Detail unter die Lupe genommen werden.

Wir beginnen unseren Rundgang durch die inoffiziel­le Kunstgaler­ie in der Clichystra­ße. Blond, brünett und rothaarig sitzen sie dort in den Schaufenst­ern des City-friseurs: neun Barbie-puppen auf kleinen Schaukeln. Unter dem Titel „Swing Barbie Swing“soll die Installati­on des Künstlers Friedemann Blum „mit Leichtigke­it und Grandezza durch die Pandemie schaukeln“.

Moment der Ruhe

Nur wenige Meter weiter begrüßt uns in der Zentralapo­theke eine rote Säule. Weiße Streifen, dunkle Silhouette­n und ein weibliches Gesicht mit ernstem Blick – das Werk der Malerin Johanna Senoner schenkt einen Moment der Ruhe inmitten des Lärms der Bundesstra­ße. Aber eben nur einen Moment. Des Treibens des Alltags überdrüssi­g zieht es uns auf die andere Straßensei­te, ein paar Meter Richtung Westen. Freischweb­end hängt hier im Schmuckges­chäft Glanzzeit eine bunte Collage der Künstlerin Christina Wilfert-stegmüller – so bunt und farbenfroh, dass sie glatt dem ausgelegte­n Schmuck das Rampenlich­t stiehlt.

In einer klassische­n Galerie würde man sich an dieser Stelle vielleicht ein Gläschen Sekt gönnen. In Ermangelun­g dessen muss man sich hier jedoch mit einem Eistee vom nächsten Bäcker zufriedeng­eben, während man gemütlich zum nächsten Ziel schlendert. Dieses befindet sich in der ehemaligen Buchhandlu­ng Osiander in der Hauptstraß­e. Albrecht Briz verdeckt den betrübende­n Blick in die leeren Geschäftsr­äume mit großen, runden Zeichnunge­n. Briz selbst nennt sie „wundersame Mutationen des Blaukrauts“, dem pandemiege­plagten Hirn will dabei das Bild eines Virus nicht so ganz aus dem Kopf gehen . . .

Abschiedsg­ruß bei Böhringer

Auch unsere nächste Station führt uns zu einem Geschäft, das im Zuge der Corona-pandemie schließen musste: Leder Böhringer.

Was übrig geblieben ist, sind mehr als ein Dutzend schwarzer Plakate mit der Aufschrift „Und tschüss“. Ein Abschiedsg­ruß des Lederwaren­geschäfts oder ein Statement eines unbekannte­n Künstlers? Der geneigte Betrachter darf hier selbst entscheide­n.

Der nächsten Station haben wir bis zu diesem Moment buchstäbli­ch den Rücken zugedreht. Direkt gegenüber von Leder Böhringer hat sich Johanna Bauer des Wäschegesc­häfts Fritz Rager angenommen. Abstrakte Blütenmale­reien zwischen Normalbein-schlüpfern? Funktionie­rt.

Nebenan mahnt Greta Thunberg an: „Our house is on fire.“

Wohin nun? Zu Günther Regers Virusmotiv­en im Geschäft Anders Die Mode? Zu den Bildern von Evi F. Fischer beim Personalve­rmittler Zaquensis? Oder lieber einen Blick auf Birgit Hietkamps Gemälde im IHR Reisebüro? Warum nicht zu allen! Wer in der Hauptstraß­e die Augen aufmacht, wird neben dem ein oder anderen geschlosse­nen Geschäft auch eine baldige Neueröffnu­ng entdecken. Denn in Kürze zieht hier Tante Heidi ein. Bis es soweit ist, kann man in den Schaufenst­ern Karl-heinz Stufft-fischers Bilder betrachten. Überlebens­groß bilden sie Gewässer, die sich spiegelnde Sonne und den blauen Nachthimme­l ab.

Porzellan-korallen und Gemälde

Ein kleines Gemeinscha­ftsprojekt findet sich im Büro der WGV Versicheru­ngen: Hier gibt es mit Heide Nonnenmach­ers Porzellan-korallen und den Gemälden von Nicoline Koch-lutz gleich eine doppelt geballte Ladung Kunst. Apropos Nicoline Koch-lutz: Als Quasi-initiatori­n der Schaufenst­er-aktion hängte sie bereits im Februar bunte Aquarelle ins Café Hellen Stein.

Wir verlassen die Hauptstraß­e – und damit die wohl längste Kunstgaler­ie, die Heidenheim je gesehen hat – und biegen in die Schwanenst­raße ab. Erika Theilacker hat sich dort den Feinkostim­biss Zemski’s vorgenomme­n. Was sehen wir hier? Natur, aber verzerrt, eigenwilli­g. Collagen in Mischtechn­ik, umgeben von italienisc­hem Kaffee und roten Bierbänken. Unser vorerst letzter Halt führt uns zu Vita Luna in der August-lösch-straße. Monika Römer-zimmermann präsentier­t hier Farbexplos­ionen, die sich unter anderem als grüne Kleckse oder auch als pinkfarben­es Kaninchen ausdrücken.

Sie ist also nicht verloren, die Kunst in Heidenheim. Zahlreiche Kunstschaf­fende haben sie in die Innenstadt zurückgebr­acht. Und so schwer ist sie gar nicht mal zu finden. Man muss nur die Augen offenhalte­n und einen Moment innehalten.

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Foto: Rudi Penk Farbklecks­e inmitten einer tristen Zeit: Künstler aus der Region stellen ihre Werke in den Schaufenst­ern der Heidenheim­er Innenstadt aus, darunter auch im Zaquensis in der Hauptstraß­e.

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