Rundgang durch eine inoffizielle Kunstgalerie
Mehr als ein Dutzend Kunstschaffende aus der Region wollen die Kunst zurück nach Heidenheim bringen. Sie stellen ihre Werke in den Schaufenstern von Geschäften aus. Ein Rundgang durch die „Kunstgalerie“der Innenstadt.
Rund ein Dutzend Kunstschaffende aus der Region stellen in den Schaufenstern von Heidenheimer Geschäften ihre Werke aus.
Erinnert sich noch jemand an das Gefühl eines Museumsbesuchs? Einer Kunstgalerie? Die Stille, das andächtige Betrachten, das Innehalten? Lange ist es her, der Hunger auf Kunst und Kultur wird immer größer. Einige Künstler aus der Region haben sich daher etwas überlegt: Wenn man die Menschen schon nicht zur Kunst bringen kann oder darf, bringt man die Kunst eben zu den Menschen.
Ein gutes Dutzend Kunstschaffende stellt seine Werke momentan in den Geschäften der Heidenheimer Innenstadt aus. Wo genau, und wer jeweils dahinter steckt, das muss im Detail unter die Lupe genommen werden.
Wir beginnen unseren Rundgang durch die inoffizielle Kunstgalerie in der Clichystraße. Blond, brünett und rothaarig sitzen sie dort in den Schaufenstern des City-friseurs: neun Barbie-puppen auf kleinen Schaukeln. Unter dem Titel „Swing Barbie Swing“soll die Installation des Künstlers Friedemann Blum „mit Leichtigkeit und Grandezza durch die Pandemie schaukeln“.
Moment der Ruhe
Nur wenige Meter weiter begrüßt uns in der Zentralapotheke eine rote Säule. Weiße Streifen, dunkle Silhouetten und ein weibliches Gesicht mit ernstem Blick – das Werk der Malerin Johanna Senoner schenkt einen Moment der Ruhe inmitten des Lärms der Bundesstraße. Aber eben nur einen Moment. Des Treibens des Alltags überdrüssig zieht es uns auf die andere Straßenseite, ein paar Meter Richtung Westen. Freischwebend hängt hier im Schmuckgeschäft Glanzzeit eine bunte Collage der Künstlerin Christina Wilfert-stegmüller – so bunt und farbenfroh, dass sie glatt dem ausgelegten Schmuck das Rampenlicht stiehlt.
In einer klassischen Galerie würde man sich an dieser Stelle vielleicht ein Gläschen Sekt gönnen. In Ermangelung dessen muss man sich hier jedoch mit einem Eistee vom nächsten Bäcker zufriedengeben, während man gemütlich zum nächsten Ziel schlendert. Dieses befindet sich in der ehemaligen Buchhandlung Osiander in der Hauptstraße. Albrecht Briz verdeckt den betrübenden Blick in die leeren Geschäftsräume mit großen, runden Zeichnungen. Briz selbst nennt sie „wundersame Mutationen des Blaukrauts“, dem pandemiegeplagten Hirn will dabei das Bild eines Virus nicht so ganz aus dem Kopf gehen . . .
Abschiedsgruß bei Böhringer
Auch unsere nächste Station führt uns zu einem Geschäft, das im Zuge der Corona-pandemie schließen musste: Leder Böhringer.
Was übrig geblieben ist, sind mehr als ein Dutzend schwarzer Plakate mit der Aufschrift „Und tschüss“. Ein Abschiedsgruß des Lederwarengeschäfts oder ein Statement eines unbekannten Künstlers? Der geneigte Betrachter darf hier selbst entscheiden.
Der nächsten Station haben wir bis zu diesem Moment buchstäblich den Rücken zugedreht. Direkt gegenüber von Leder Böhringer hat sich Johanna Bauer des Wäschegeschäfts Fritz Rager angenommen. Abstrakte Blütenmalereien zwischen Normalbein-schlüpfern? Funktioniert.
Nebenan mahnt Greta Thunberg an: „Our house is on fire.“
Wohin nun? Zu Günther Regers Virusmotiven im Geschäft Anders Die Mode? Zu den Bildern von Evi F. Fischer beim Personalvermittler Zaquensis? Oder lieber einen Blick auf Birgit Hietkamps Gemälde im IHR Reisebüro? Warum nicht zu allen! Wer in der Hauptstraße die Augen aufmacht, wird neben dem ein oder anderen geschlossenen Geschäft auch eine baldige Neueröffnung entdecken. Denn in Kürze zieht hier Tante Heidi ein. Bis es soweit ist, kann man in den Schaufenstern Karl-heinz Stufft-fischers Bilder betrachten. Überlebensgroß bilden sie Gewässer, die sich spiegelnde Sonne und den blauen Nachthimmel ab.
Porzellan-korallen und Gemälde
Ein kleines Gemeinschaftsprojekt findet sich im Büro der WGV Versicherungen: Hier gibt es mit Heide Nonnenmachers Porzellan-korallen und den Gemälden von Nicoline Koch-lutz gleich eine doppelt geballte Ladung Kunst. Apropos Nicoline Koch-lutz: Als Quasi-initiatorin der Schaufenster-aktion hängte sie bereits im Februar bunte Aquarelle ins Café Hellen Stein.
Wir verlassen die Hauptstraße – und damit die wohl längste Kunstgalerie, die Heidenheim je gesehen hat – und biegen in die Schwanenstraße ab. Erika Theilacker hat sich dort den Feinkostimbiss Zemski’s vorgenommen. Was sehen wir hier? Natur, aber verzerrt, eigenwillig. Collagen in Mischtechnik, umgeben von italienischem Kaffee und roten Bierbänken. Unser vorerst letzter Halt führt uns zu Vita Luna in der August-lösch-straße. Monika Römer-zimmermann präsentiert hier Farbexplosionen, die sich unter anderem als grüne Kleckse oder auch als pinkfarbenes Kaninchen ausdrücken.
Sie ist also nicht verloren, die Kunst in Heidenheim. Zahlreiche Kunstschaffende haben sie in die Innenstadt zurückgebracht. Und so schwer ist sie gar nicht mal zu finden. Man muss nur die Augen offenhalten und einen Moment innehalten.
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