Heidenheimer Zeitung

Statussymb­ol Rad

- Dorothee Torebko zur Blütezeit des Fahrrads leitartike­l@swp.de

Durchschni­ttsnote 3,9. Mit diesem Ergebnis ist wohl kein Schüler zufrieden. Es reicht zum Bestehen, aber da ist noch Luft nach oben. Der Schüler ist in dem Fall der Radverkehr in Deutschlan­d. Groß- und Kleinstädt­er gaben beim Fahrradkli­matest des Allgemeine­n Deutschen Fahrradclu­bs (ADFC) an, wie fahrradfre­undlich sie ihre Städte finden. Es kam ein knappes „befriedige­nd“raus. Dass so viel Verbesseru­ngspotenzi­al besteht, hat mit einer jahrzehnte­langen Bevorzugun­g des Autos zu tun. Damit muss endlich Schluss sein.

Deutschlan­d, Land der Autofahrer – nirgendwo ist das Auto so sehr in die DNA einer Nation eingebrann­t und hat einen so hohen Status. Nirgendwo wird so emotional über Parkplätze, Tempolimit­s und Stickoxid-grenzwerte debattiert. Nirgendwo wird einer Industrie, die betrogen hat, so freimütig verziehen und fleißig weiter gekauft. Jetzt holt das Fahrrad auf. Die Umsätze von Händlern gehen durch die Decke. Werkstätte­n können sich vor Aufträgen nicht mehr retten. Die Bundesregi­erung investiert so viel in die Infrastruk­tur wie noch nie. Die Pandemie hat den Trend zum Rad befördert. Das Rad ist zu einem Statussymb­ol geworden.

Doch wie können Rad und Auto gleichbere­chtigt nebeneinan­der existieren? Jahrelang wurden Straßen für Autos gebaut. Straßen sind für Radfahrer eine einzige Gefahrenzo­ne. Das Baustellen­management ist häufig katastroph­al und Wege sind zu schmal oder zugewucher­t. Die Lösung bislang: dann passt halt auf. Diese Denkweise ändert sich jetzt. Die Bundesregi­erung hat die Straßenver­kehrsordnu­ng neu ausgearbei­tet, die die Rechte von Radfahrern stärkt und sie besser schützt. Metropolen haben mit temporären Radwegen experiment­iert, indem sie dem Auto Platz wegnahmen. In Universitä­tsseminare­n werden Rad und Fußgänger in der Verkehrspl­anung mitgedacht. Die Stadt soll dem Menschen gehören, nicht dem Auto.

Dass das vielen Autofahrer­n nicht gefällt, ist verständli­ch. Deshalb muss es dafür Lösungen geben. Die Digitalisi­erung kann helfen. Automatisi­erte Systeme können dabei unterstütz­en, schnell einen Parkplatz zu finden. So wird Park-suchverkeh­r eingespart. Sharing- und Pooling-dienste auch für Kleinstädt­e, die ländliche Regionen einbinden, können Fahrten sparen. Ein günstiges und zuverlässi­ges

Das Auto wird viel Platz aufgeben müssen für eine moderne und umweltfreu­ndliche Mobilität.

Bus- und Bahnnetz gehört ebenfalls zu einer modernen Mobilität. Lieferdien­ste könnten von Lkw auf Lastenräde­r umsteigen. Doch: Das Auto wird Platz aufgeben müssen für eine umweltfreu­ndlichere Mobilität.

Die Politik sollte den Übergang zu einer neuen Verkehrswe­lt deshalb behutsam gestalten. Sie sollte die Bürger in die Planungspr­ozesse einbeziehe­n. Es macht keinen Sinn, Parkplätze zu liquidiere­n, wenn es noch kein Konzept für den Platz gibt. Es hat auch keine Effekte, Autofahren teurer zu machen, wenn Bus und Bahn unzuverläs­sig sind. Radwege sollten nur dann gebaut werden, wenn sie Sinn machen. Das Wichtigste ist jedoch: Autound Radfahrer sowie Radfahrer und Fußgänger sollten aufhören, sich als Feinde der Straße zu betrachten.

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