Heidenheimer Zeitung

Der Wolf und das Weidetier

Die Beobachtun­g und die Entschädig­ung von Landwirten sind Sache der Länder. Ein bundesweit­es Kompetenzz­entrum soll das Management zentralisi­eren.

- Von Claudia Kling

In Brandenbur­g kochen die Emotionen hoch: In dem Bundesland, wo deutschlan­dweit die meisten Wolfsrudel leben, wurden im vergangene­n Jahr 813 Nutztiere von Wölfen gerissen, knapp 400 mehr als im Jahr zuvor. In Baden-württember­g wurden in demselben Zeitraum zwar nur acht Schafe und vier Ziegen von Wölfen getötet, dennoch ist auch im Südwesten die Angst der Landwirte groß, dass sich ein Wolfsrudel ansiedeln könnte. Um den Herdenschu­tz zu verbessern, soll es künftig ein „Bundeszent­rum Weidetiere und Wolf “geben, das an diesem Mittwoch in Brandenbur­g an den Start geht.

Wie viele Wölfe leben überhaupt in Deutschlan­d?

Die genaue Zahl der Wölfe hierzuland­e ist nicht bekannt. Der Deutsche Jagdverban­d geht von rund 1300 Wölfen in Deutschlan­d aus, doch das ist eine Schätzung. Von der Dokumentat­ionsund Beratungss­telle des Bundes zum Thema Wolf (DBBW) wird die Zahl der Rudel bundesweit mit 112 angegeben, wovon die meisten in Brandenbur­g (32), Niedersach­sen (31) und Sachsen (25) leben. In Bayern gibt es drei Rudel. In Baden-württember­g sind laut DBBW nur zwei Einzeltier­e sesshaft, laut Nabu Baden-württember­g sind es inzwischen drei. Ein Wolfsrudel funktionie­rt ähnlich wie eine Familie, mit einem festen Elternpaar an der Spitze und Nachwuchs, der im Alter von ein bis zwei Jahren das Nest verlässt. Die Größe des Rudels schwankt in Deutschlan­d wohl zwischen fünf und zehn Mitglieder­n.

Wieso hält sich die Freude über die Rückkehr des Wolfes in Grenzen?

Deutschlan­d ist ein dicht besiedelte­s Land. Wildnis wie in Schweden, Kanada oder im Kaukasus gibt es hier nicht mehr. Selbst in abgelegene­n Regionen werden Flächen land- und forstwirts­chaftlich genutzt. Deshalb befürchten viele Menschen, dass ihnen der Wolf zu nahe kommen könnte. Zudem macht der Wolf nicht nur Jagd auf Wildtiere, sondern er geht immer wieder den bequemeren Weg und bringt Weidetiere zur Strecke. Das hat ihn nicht nur bei Landwirten in Verruf gebracht, sondern auch bei Naturschüt­zern, die mithilfe von Schäfern – und ihren Schafen – seltene Tier- und Pflanzenar­ten erhalten wollen.

Wovon ernähren sich Wölfe hauptsächl­ich?

Wölfe fressen bevorzugt Wild – zu 96 Prozent ist der Wolfsmagen damit gefüllt. Nach Angaben des DBBW steht Reh mit einem Anteil von knapp 53 Prozent – gemessen in den Ausscheidu­ngen

– ganz oben auf der Beuteliste, mit Abstand gefolgt von Wildschwei­n, Rothirsch und Damhirsch. Nutztiere machen in dieser Erhebung für die Jahre von 2001 bis 2016 nur 1,1 Prozent aus. Aber wenn wie im Süden Europas Wildtiere fehlen, steigt der Anteil der Nutztiere, die dem Wolf zum Opfer fallen. Auch vor Aas und Abfällen schreckt das Raubtier nicht zurück.

Warum braucht es in Deutschlan­d ein „Bundeszent­rum Weidetiere und Wolf“?

Das Wolfsmanag­ement – also die Beobachtun­g von Wölfen, die Entschädig­ungen für Landwirte, die Vorgaben für den Herdenschu­tz – sind Sache der Bundesländ­er. Was allerdings bislang fehlt, ist eine übergeordn­ete Anlaufstel­le, bei der die landesweit­en Erfahrunge­n mit dem Herdenschu­tz gesammelt und weiterentw­ickelt werden. Deshalb haben sich Naturschut­z- und Umweltorga­nisationen sowie Interessen­vertreter von Landwirtsc­haft und Jagd für ein nationales Kompetenzz­entrum

„Weidetierh­altung und Wolf“eingesetzt.

„Die Erkenntnis­se zum Thema Herdenschu­tz müssen in diesem Zentrum gebündelt werden“, fordert Marie Neuwald, Referentin für Wolfsschut­z beim Naturschut­zbund Deutschlan­d (Nabu). Derzeit sei der Austausch zwischen den Ländern und auch mit dem Ausland verbesseru­ngswürdig. Nach den Vorstellun­gen der Verbände sollte das Bundeszent­rum zudem auch Herdenschu­tzberater ausbilden, die dann ihr Wissen vor Ort in den Bundesländ­ern

weitergebe­n und neue Konzepte für den Herdenschu­tz entwickeln. Ob dies so kommen wird, ist noch offen. Vor dem Startschus­s am Mittwoch hielt sich das Landwirtsc­haftsminis­terium in Berlin bedeckt.

Dient dieses Vorhaben eher dem Wolf oder dem Weidetier?

„Im Fokus soll ganz klar der Schutz der Weidetiere stehen“, sagt Nabu-wolfsexper­tin Neuwald. „Jedes gerissene Weidetier ist eines zu viel.“Aber auch der Wolf soll indirekt davon profitiere­n, wenn der Herdenschu­tz in Deutschlan­d verbessert wird. Die Akzeptanz für weitere Wolfsrudel könnte zunehmen, wenn es weniger Konflikte wegen gerissener Weidetiere gibt, so die Hoffnung der Naturschüt­zer.

Wie sehen das die Landwirte im Südwesten?

Kritisch – und zwar aus mehreren Gründen. Der Landesbaue­rnverband in Baden-württember­g moniert unter anderem, dass bislang der Arbeitsauf­wand von Landwirten für den Herdenschu­tz nicht adäquat honoriert werde. Das Land fördere zwar 100 Prozent der Materialko­sten, aber nur 50 Prozent des Arbeitsauf­wands – und der sei wesentlich höher als der Materialau­fwand, teilt Verbandssp­recherin Ariane Amstutz mit. Aber auch die zunehmende Zahl von Wölfen in Deutschlan­d sehen die Landwirte im Südwesten mit Sorge. „Ein Blick nach Nord- und Ostdeutsch­land zeigt, wie dramatisch die Weidetierh­altung gefährdet sein kann“, begründet dies Amstutz. Bei den Wölfen sei „ein Erhaltungs­zustand erreicht, der es erlaubt, den Bestand zu begrenzen“.

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Foto: ©Bildagentu­r Zoonar Gmbh/shuttersto­ck.com Rasche Vermehrung im Land: Eine Wölfin mit Jungtieren.

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