Der Wolf und das Weidetier
Die Beobachtung und die Entschädigung von Landwirten sind Sache der Länder. Ein bundesweites Kompetenzzentrum soll das Management zentralisieren.
In Brandenburg kochen die Emotionen hoch: In dem Bundesland, wo deutschlandweit die meisten Wolfsrudel leben, wurden im vergangenen Jahr 813 Nutztiere von Wölfen gerissen, knapp 400 mehr als im Jahr zuvor. In Baden-württemberg wurden in demselben Zeitraum zwar nur acht Schafe und vier Ziegen von Wölfen getötet, dennoch ist auch im Südwesten die Angst der Landwirte groß, dass sich ein Wolfsrudel ansiedeln könnte. Um den Herdenschutz zu verbessern, soll es künftig ein „Bundeszentrum Weidetiere und Wolf “geben, das an diesem Mittwoch in Brandenburg an den Start geht.
Wie viele Wölfe leben überhaupt in Deutschland?
Die genaue Zahl der Wölfe hierzulande ist nicht bekannt. Der Deutsche Jagdverband geht von rund 1300 Wölfen in Deutschland aus, doch das ist eine Schätzung. Von der Dokumentationsund Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf (DBBW) wird die Zahl der Rudel bundesweit mit 112 angegeben, wovon die meisten in Brandenburg (32), Niedersachsen (31) und Sachsen (25) leben. In Bayern gibt es drei Rudel. In Baden-württemberg sind laut DBBW nur zwei Einzeltiere sesshaft, laut Nabu Baden-württemberg sind es inzwischen drei. Ein Wolfsrudel funktioniert ähnlich wie eine Familie, mit einem festen Elternpaar an der Spitze und Nachwuchs, der im Alter von ein bis zwei Jahren das Nest verlässt. Die Größe des Rudels schwankt in Deutschland wohl zwischen fünf und zehn Mitgliedern.
Wieso hält sich die Freude über die Rückkehr des Wolfes in Grenzen?
Deutschland ist ein dicht besiedeltes Land. Wildnis wie in Schweden, Kanada oder im Kaukasus gibt es hier nicht mehr. Selbst in abgelegenen Regionen werden Flächen land- und forstwirtschaftlich genutzt. Deshalb befürchten viele Menschen, dass ihnen der Wolf zu nahe kommen könnte. Zudem macht der Wolf nicht nur Jagd auf Wildtiere, sondern er geht immer wieder den bequemeren Weg und bringt Weidetiere zur Strecke. Das hat ihn nicht nur bei Landwirten in Verruf gebracht, sondern auch bei Naturschützern, die mithilfe von Schäfern – und ihren Schafen – seltene Tier- und Pflanzenarten erhalten wollen.
Wovon ernähren sich Wölfe hauptsächlich?
Wölfe fressen bevorzugt Wild – zu 96 Prozent ist der Wolfsmagen damit gefüllt. Nach Angaben des DBBW steht Reh mit einem Anteil von knapp 53 Prozent – gemessen in den Ausscheidungen
– ganz oben auf der Beuteliste, mit Abstand gefolgt von Wildschwein, Rothirsch und Damhirsch. Nutztiere machen in dieser Erhebung für die Jahre von 2001 bis 2016 nur 1,1 Prozent aus. Aber wenn wie im Süden Europas Wildtiere fehlen, steigt der Anteil der Nutztiere, die dem Wolf zum Opfer fallen. Auch vor Aas und Abfällen schreckt das Raubtier nicht zurück.
Warum braucht es in Deutschland ein „Bundeszentrum Weidetiere und Wolf“?
Das Wolfsmanagement – also die Beobachtung von Wölfen, die Entschädigungen für Landwirte, die Vorgaben für den Herdenschutz – sind Sache der Bundesländer. Was allerdings bislang fehlt, ist eine übergeordnete Anlaufstelle, bei der die landesweiten Erfahrungen mit dem Herdenschutz gesammelt und weiterentwickelt werden. Deshalb haben sich Naturschutz- und Umweltorganisationen sowie Interessenvertreter von Landwirtschaft und Jagd für ein nationales Kompetenzzentrum
„Weidetierhaltung und Wolf“eingesetzt.
„Die Erkenntnisse zum Thema Herdenschutz müssen in diesem Zentrum gebündelt werden“, fordert Marie Neuwald, Referentin für Wolfsschutz beim Naturschutzbund Deutschland (Nabu). Derzeit sei der Austausch zwischen den Ländern und auch mit dem Ausland verbesserungswürdig. Nach den Vorstellungen der Verbände sollte das Bundeszentrum zudem auch Herdenschutzberater ausbilden, die dann ihr Wissen vor Ort in den Bundesländern
weitergeben und neue Konzepte für den Herdenschutz entwickeln. Ob dies so kommen wird, ist noch offen. Vor dem Startschuss am Mittwoch hielt sich das Landwirtschaftsministerium in Berlin bedeckt.
Dient dieses Vorhaben eher dem Wolf oder dem Weidetier?
„Im Fokus soll ganz klar der Schutz der Weidetiere stehen“, sagt Nabu-wolfsexpertin Neuwald. „Jedes gerissene Weidetier ist eines zu viel.“Aber auch der Wolf soll indirekt davon profitieren, wenn der Herdenschutz in Deutschland verbessert wird. Die Akzeptanz für weitere Wolfsrudel könnte zunehmen, wenn es weniger Konflikte wegen gerissener Weidetiere gibt, so die Hoffnung der Naturschützer.
Wie sehen das die Landwirte im Südwesten?
Kritisch – und zwar aus mehreren Gründen. Der Landesbauernverband in Baden-württemberg moniert unter anderem, dass bislang der Arbeitsaufwand von Landwirten für den Herdenschutz nicht adäquat honoriert werde. Das Land fördere zwar 100 Prozent der Materialkosten, aber nur 50 Prozent des Arbeitsaufwands – und der sei wesentlich höher als der Materialaufwand, teilt Verbandssprecherin Ariane Amstutz mit. Aber auch die zunehmende Zahl von Wölfen in Deutschland sehen die Landwirte im Südwesten mit Sorge. „Ein Blick nach Nord- und Ostdeutschland zeigt, wie dramatisch die Weidetierhaltung gefährdet sein kann“, begründet dies Amstutz. Bei den Wölfen sei „ein Erhaltungszustand erreicht, der es erlaubt, den Bestand zu begrenzen“.