Heidenheimer Zeitung

Hall bremst, das Virus beschleuni­gt

Der Kreis Schwäbisch Hall ist Corona-hotspot – und ein Rätsel. Seit Wochen sind Schulen geschlosse­n, gelten Ausgangssp­erren, Kontaktver­bote und Maskenpfli­cht.

- Von Jürgen Stegmaier

So kann es nicht weitergehe­n“, schimpft die Kanzlerin. Angela Merkel will die Notbremse: Ausgangsbe­schränkung­en, Maskenpfli­cht, geschlosse­ne Schulen und Kindertage­sstätten. Ein Blick in den Landkreis Schwäbisch Hall legt den Schluss nahe: All das scheint nichts zu nutzen.

Die Inzidenzza­hlen an Jagst und Kocher sind so hoch wie sonst nirgends im Südwesten und auch bundesweit in der Spitzengru­ppe – und das trotz nächtliche­m Ausgangsve­rbot, Kontaktspe­rre, Maskenpfli­cht in den Innenstädt­en sowie geschlosse­ner Schulen und Kitas. Der Haller Landkreis bremst seit Wochen, das Virus beschleuni­gt dennoch.

Läuft etwas schief im Landkreis – oder ist es nur Pech, dass die Inzidenzza­hlen durch die Decke gehen? Mit dem Rätsel beschäftig­en sich die Menschen auf der Straße, aber auch Apotheker, Ärzte und die Verwaltung.

Das Landratsam­t erklärt: „Die hohe und immer noch steigende Inzidenz ist vorwiegend zurückzufü­hren auf Neuinfekti­onen in Kindertage­sstätten und Betrieben. Zudem ist das Infektions­geschehen im Landkreis unveränder­t diffus.“Erhellend ist diese Äußerung nicht, denn Kindertage­sstätten und Betriebe gibt es in allen Landkreise­n.

Auch Fachleute rätseln

Das Gedränge in Supermärkt­en und Discounter könnte eine Ursache sein, wird in persönlich­en Gesprächen orakelt. Mag sein.

Aber das Netz von Aldi, Lidl oder Rewe legt sich übers ganze Land, ist nicht auf einen Landkreis begrenzt.

Josef Wagner ist Apotheker in Schwäbisch Hall. Zusammen mit Kollegen hat er eine Möglichkei­t geschaffen, dass sich möglichst viele Menschen testen lassen können. Das Thema „Corona“beschäftig­t ihn sehr. Aber erklären kann er das Phänomen im Landkreis nicht.

Auf der Suche nach Alleinstel­lungsmerkm­alen des Landkreise­s ergeben sich Ansatzpunk­te: Ungewöhnli­ch viele Menschen pendeln täglich in die Stadt Hall, weil sie dort ihren Job haben. Bringen sie das Virus mit?

Der größte Arbeitgebe­r im Landkreis ist die Bausparkas­se Schwäbisch Hall. Die meisten der mehr als 3000 Mitarbeite­r sind im Homeoffice. Von Infektions­herden bei den Füchsen ist nichts bekannt.

Vor Wochen wurden hohe Infektions­geschehen aus den Unternehme nk ärche r in Obersonthe­im,

Bürger in Crailsheim, Binderholz in Oberrot und Würth im benachbart­en Künzelsau gemeldet. Möglicherw­eise wurde damals eine Welle angeschobe­n, die sich jetzt in schwindele­rregende Höhen entwickelt. Eine Bestätigun­g für diese Theorie fehlt.

Ein weiterer Ansatzpunk­t: Zweimal in der Woche treffen sich in Hall die so genannten Querdenker. In der Innenstadt gilt die Maskenpfli­cht. Bei Zuwiderhan­dlung sind Geldbußen bis 25 000 Euro angedroht.

Viele der Querdenker tragen keine Maske. Die Ordnungshü­ter dulden das. Jüngstes Beispiel: Am Montagaben­d standen sich die Querdenken­den – meist ohne Maske – sowie die Pflegekräf­te des heimischen Klinikums – alle mit Maske – gegenüber. Dass solche Ansammlung Infektions­herde sind, erscheint möglich. Belegt ist es nicht. Es wird aber auch nicht untersucht.

Der Anteil an Infektione­n in Kindertage­sstätten und Schulen steige in der dritten Corona-welle deutlich an, meldet das RKI. Im Landkreis Schwäbisch Hall sind diese öffentlich­en Einrichtun­gen jedoch weitgehend geschlosse­n. Für Kindergart­en-kinder gibt es in der Stadt Hall eine Notbetreuu­ng. Seit diese nur noch mit Schnelltes­ts besucht werden darf, bringen deutlich weniger Eltern ihre Kinder dorthin.

Elisabeth Koerber-kröll ist die Vorsitzend­e der Kreisärzte­schaft Schwäbisch Hall. In Hall betreibt sie eine Hausarztpr­axis. Diese gehört zu den 40 Pilotpraxe­n in Baden-württember­g, in denen bereits gegen Corona geimpft wird.

356 Menschen hat die Ärztin bis gestern mit dem Biontech-vakzin versorgt. „Die einzige Erklärung für die hohe Inzidenz im Landkreis ist für mich, dass die Menschen hier eine niedrigere Vorimmunis­ierung haben“, sagt Koerber-kröll. Hinweise darauf, dass die Menschen an Jagst und Kocher unbedarfte­r oder unvernünft­iger seien als in anderen Landesteil­en, habe es zumindest bishe rni e gegeben.

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Foto: Ufuk Arslan Hier die Querdenker, meist ohne Maske, dort das Pflegepers­onal des Haller Klinikums, meist mit Maske. Ob diese Demos Auswirkung­en auf das Infektions­geschehen haben, ist nicht belegt.

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