Hall bremst, das Virus beschleunigt
Der Kreis Schwäbisch Hall ist Corona-hotspot – und ein Rätsel. Seit Wochen sind Schulen geschlossen, gelten Ausgangssperren, Kontaktverbote und Maskenpflicht.
So kann es nicht weitergehen“, schimpft die Kanzlerin. Angela Merkel will die Notbremse: Ausgangsbeschränkungen, Maskenpflicht, geschlossene Schulen und Kindertagesstätten. Ein Blick in den Landkreis Schwäbisch Hall legt den Schluss nahe: All das scheint nichts zu nutzen.
Die Inzidenzzahlen an Jagst und Kocher sind so hoch wie sonst nirgends im Südwesten und auch bundesweit in der Spitzengruppe – und das trotz nächtlichem Ausgangsverbot, Kontaktsperre, Maskenpflicht in den Innenstädten sowie geschlossener Schulen und Kitas. Der Haller Landkreis bremst seit Wochen, das Virus beschleunigt dennoch.
Läuft etwas schief im Landkreis – oder ist es nur Pech, dass die Inzidenzzahlen durch die Decke gehen? Mit dem Rätsel beschäftigen sich die Menschen auf der Straße, aber auch Apotheker, Ärzte und die Verwaltung.
Das Landratsamt erklärt: „Die hohe und immer noch steigende Inzidenz ist vorwiegend zurückzuführen auf Neuinfektionen in Kindertagesstätten und Betrieben. Zudem ist das Infektionsgeschehen im Landkreis unverändert diffus.“Erhellend ist diese Äußerung nicht, denn Kindertagesstätten und Betriebe gibt es in allen Landkreisen.
Auch Fachleute rätseln
Das Gedränge in Supermärkten und Discounter könnte eine Ursache sein, wird in persönlichen Gesprächen orakelt. Mag sein.
Aber das Netz von Aldi, Lidl oder Rewe legt sich übers ganze Land, ist nicht auf einen Landkreis begrenzt.
Josef Wagner ist Apotheker in Schwäbisch Hall. Zusammen mit Kollegen hat er eine Möglichkeit geschaffen, dass sich möglichst viele Menschen testen lassen können. Das Thema „Corona“beschäftigt ihn sehr. Aber erklären kann er das Phänomen im Landkreis nicht.
Auf der Suche nach Alleinstellungsmerkmalen des Landkreises ergeben sich Ansatzpunkte: Ungewöhnlich viele Menschen pendeln täglich in die Stadt Hall, weil sie dort ihren Job haben. Bringen sie das Virus mit?
Der größte Arbeitgeber im Landkreis ist die Bausparkasse Schwäbisch Hall. Die meisten der mehr als 3000 Mitarbeiter sind im Homeoffice. Von Infektionsherden bei den Füchsen ist nichts bekannt.
Vor Wochen wurden hohe Infektionsgeschehen aus den Unternehme nk ärche r in Obersontheim,
Bürger in Crailsheim, Binderholz in Oberrot und Würth im benachbarten Künzelsau gemeldet. Möglicherweise wurde damals eine Welle angeschoben, die sich jetzt in schwindelerregende Höhen entwickelt. Eine Bestätigung für diese Theorie fehlt.
Ein weiterer Ansatzpunkt: Zweimal in der Woche treffen sich in Hall die so genannten Querdenker. In der Innenstadt gilt die Maskenpflicht. Bei Zuwiderhandlung sind Geldbußen bis 25 000 Euro angedroht.
Viele der Querdenker tragen keine Maske. Die Ordnungshüter dulden das. Jüngstes Beispiel: Am Montagabend standen sich die Querdenkenden – meist ohne Maske – sowie die Pflegekräfte des heimischen Klinikums – alle mit Maske – gegenüber. Dass solche Ansammlung Infektionsherde sind, erscheint möglich. Belegt ist es nicht. Es wird aber auch nicht untersucht.
Der Anteil an Infektionen in Kindertagesstätten und Schulen steige in der dritten Corona-welle deutlich an, meldet das RKI. Im Landkreis Schwäbisch Hall sind diese öffentlichen Einrichtungen jedoch weitgehend geschlossen. Für Kindergarten-kinder gibt es in der Stadt Hall eine Notbetreuung. Seit diese nur noch mit Schnelltests besucht werden darf, bringen deutlich weniger Eltern ihre Kinder dorthin.
Elisabeth Koerber-kröll ist die Vorsitzende der Kreisärzteschaft Schwäbisch Hall. In Hall betreibt sie eine Hausarztpraxis. Diese gehört zu den 40 Pilotpraxen in Baden-württemberg, in denen bereits gegen Corona geimpft wird.
356 Menschen hat die Ärztin bis gestern mit dem Biontech-vakzin versorgt. „Die einzige Erklärung für die hohe Inzidenz im Landkreis ist für mich, dass die Menschen hier eine niedrigere Vorimmunisierung haben“, sagt Koerber-kröll. Hinweise darauf, dass die Menschen an Jagst und Kocher unbedarfter oder unvernünftiger seien als in anderen Landesteilen, habe es zumindest bishe rni e gegeben.