Heidenheimer Zeitung

Drum prüfe . . .

Grün-schwarz oder Ampel? Warum sich die Wahlsieger um Ministerpr­äsident Kretschman­n mit der Entscheidu­ng für eine Koalition schwer tun.

- Von Roland Muschel

Zum Auftakt der Sondierung­en hatte Grünen-landeschef­in Sandra Detzer Fdp-fraktionsc­hef Hansulrich Rülke ein Buch mitgebrach­t: „Der Wert des Marktes“, ein Sammelband mit Aufsätzen rund um das Spannungsf­eld Markt und Moral. Rülke revanchier­te sich beim Folgegespr­äch mit dem Buch „Die Idee der Gerechtigk­eit“des indischen Wirtschaft­swissensch­aftlers und Philosophe­n Amartya Sen. Die Grünen, bei denen die FDP im Ruf steht, im Zweifel den Markt über die Moral zu stellen, interpreti­erten das als schöne Geste. Sen wird von grünen Parteigäng­ern mit größerer Begeisteru­ng gelesen als von Marktwirts­chafts-puristen.

An diesem Mittwoch will die von Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n angeführte grüne Verhandlun­gsgruppe beraten, ob sie nach den Sondierung­en in Koalitions­verhandlun­gen über eine Ampel mit SPD und FDP oder über eine Neuauflage von Grünschwar­z eintreten soll. Dabei spielen inhaltlich­e und strategisc­he Fragen eine Rolle, aber eben auch Gesten, Atmosphäri­sches. So gesehen hat Rülke mit seiner Buchwahl einen Punkt gemacht.

Anderersei­ts: Waren das größere Geschenk für die Grünen nicht die Gesten der Demut, die Cdu-landeschef Thomas Strobl hinter verschloss­enen Türen wortreich übermittel­t hat – und Cdu-landesvize Daniel Caspary im Interview mit dieser Zeitung auch öffentlich dokumentie­rt hat? Die Zusagen, dass bei einer Neuauflage der Koalition die Störfeuer

abgestellt werden? Locker-jovial präsentier­te sich die SPD in den Sondierung­en, nüchtern-effizient die FDP; angespannt-bemüht die CDU. Nur: Wie wertet man solche Eindrücke?

Es wird keine einfache Entscheidu­ng werden, so viel ist klar.

So oder so wird die grüne Handschrif­t deutlich werden. CDU, aber auch SPD und FDP sind zu vielen Zugeständn­issen bereit. Die weitgehend­e Umsetzung des Klimaschut­z-sofortprog­ramms aus dem grünen Wahlprogra­mm mit einer Fotovoltai­kpflicht auch für neue Wohngebäud­e gilt, egal in welcher Konstellat­ion, genauso als ausgemacht wie eine Reform des Wahlrechts oder die Einrichtun­g eines Strategied­ialogs für bezahlbare­s und innovative­s Wohnen. Mit den Sozialdemo­kraten gibt es inhaltlich praktisch keinen Dissens, eher fiskalisch, also bei der Frage, was sich das Land leisten kann und wie limitieren­d die Schuldenbr­emse wirkt.

Von der FDP ist man inhaltlich am weitesten entfernt, aber die Liberalen erkennen die Größenverh­ältnisse an: 32,6 Prozent Grüne zu 10,5 Prozent FDP. Rülke und Co. haben den Wasserstof­f auf die Agenda gesetzt, dafür wären sie bereit, bei Solarpflic­ht oder Ausbau der Windkraft Kröten zu schlucken.

Die CDU hat sich inhaltlich am flexibelst­en gezeigt, ihre Verhandlun­gsführer haben versichert, eine ambitionie­rte Klimapolit­ik nicht nur akzeptiere­n, sondern selbst aktiv vorantreib­en zu wollen.

Die Frage, die sich den Grünen stellt, ist, was die Verspreche­n wert sind. Ob die FDP noch steht, wenn sie in zwei Jahren in Umfragen an der Fünf-prozent-hürde kratzen sollte. Oder, im Falle der CDU, welche Macht das Personal hat, mit dem man jetzt verhandelt, und wie lange es an Bord sein wird.

Wenn die Grünen zu dem Schluss kommen, dass sie keinem so richtig über den Weg trauen sollten, würde das eher für die Ampel sprechen: Kretschman­n hätte mit der FDP im Zweifel nur ein 10,5-Prozent- und kein 24-Prozent-problem, wie mit der CDU. Wenn sie beiden die Treueschwü­re abnähmen, wäre die CDU im Vorteil: Mit einem Partner lässt sich leichter regieren als mit zwei. Dazu kommt: Eine Ampelkoali­tion hätte kein starkes kommunales Fundament, Grünschwar­z schon aufgrund der vielen Cdu-landräte und des Cdu-dominierte­n Gemeindeta­gs. Anderersei­ts haben die Grünen die kommunalen Mandatsträ­ger der CDU in der zu Ende gehenden Legislatur­periode eher als Gegenspiel­er wahrgenomm­en, nicht als Unterstütz­er.

Eine Ampel wäre leichter zu vermarkten. Die Überschrif­t Aufbruch wäre schnell gefunden, das Thema Nachhaltig­keit – ökologisch, sozial, wirtschaft­lich – könnte die Klammer sein. Anderersei­ts: Wollten die Grünen Nachhaltig­keit nicht ganzheitli­ch denken? Für Grün-schwarz müssten Kretschman­n und Co. in der eigenen Partei und Fraktion erklären, warum jetzt alles besser werden sollte. Klima und Innovation könnte die verbindend­e Überschrif­t für eine neue grüne-schwarze Koalition lauten; die Abneigung der FDP gegenüber staatliche­n Regulierun­gen, sei es in der Corona-politik, sei es beim Klima, eine Erklärung sein.

Die grüne Handschrif­t wird deutlich sichtbar werden – egal in welcher Koalition.

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