Drum prüfe . . .
Grün-schwarz oder Ampel? Warum sich die Wahlsieger um Ministerpräsident Kretschmann mit der Entscheidung für eine Koalition schwer tun.
Zum Auftakt der Sondierungen hatte Grünen-landeschefin Sandra Detzer Fdp-fraktionschef Hansulrich Rülke ein Buch mitgebracht: „Der Wert des Marktes“, ein Sammelband mit Aufsätzen rund um das Spannungsfeld Markt und Moral. Rülke revanchierte sich beim Folgegespräch mit dem Buch „Die Idee der Gerechtigkeit“des indischen Wirtschaftswissenschaftlers und Philosophen Amartya Sen. Die Grünen, bei denen die FDP im Ruf steht, im Zweifel den Markt über die Moral zu stellen, interpretierten das als schöne Geste. Sen wird von grünen Parteigängern mit größerer Begeisterung gelesen als von Marktwirtschafts-puristen.
An diesem Mittwoch will die von Ministerpräsident Winfried Kretschmann angeführte grüne Verhandlungsgruppe beraten, ob sie nach den Sondierungen in Koalitionsverhandlungen über eine Ampel mit SPD und FDP oder über eine Neuauflage von Grünschwarz eintreten soll. Dabei spielen inhaltliche und strategische Fragen eine Rolle, aber eben auch Gesten, Atmosphärisches. So gesehen hat Rülke mit seiner Buchwahl einen Punkt gemacht.
Andererseits: Waren das größere Geschenk für die Grünen nicht die Gesten der Demut, die Cdu-landeschef Thomas Strobl hinter verschlossenen Türen wortreich übermittelt hat – und Cdu-landesvize Daniel Caspary im Interview mit dieser Zeitung auch öffentlich dokumentiert hat? Die Zusagen, dass bei einer Neuauflage der Koalition die Störfeuer
abgestellt werden? Locker-jovial präsentierte sich die SPD in den Sondierungen, nüchtern-effizient die FDP; angespannt-bemüht die CDU. Nur: Wie wertet man solche Eindrücke?
Es wird keine einfache Entscheidung werden, so viel ist klar.
So oder so wird die grüne Handschrift deutlich werden. CDU, aber auch SPD und FDP sind zu vielen Zugeständnissen bereit. Die weitgehende Umsetzung des Klimaschutz-sofortprogramms aus dem grünen Wahlprogramm mit einer Fotovoltaikpflicht auch für neue Wohngebäude gilt, egal in welcher Konstellation, genauso als ausgemacht wie eine Reform des Wahlrechts oder die Einrichtung eines Strategiedialogs für bezahlbares und innovatives Wohnen. Mit den Sozialdemokraten gibt es inhaltlich praktisch keinen Dissens, eher fiskalisch, also bei der Frage, was sich das Land leisten kann und wie limitierend die Schuldenbremse wirkt.
Von der FDP ist man inhaltlich am weitesten entfernt, aber die Liberalen erkennen die Größenverhältnisse an: 32,6 Prozent Grüne zu 10,5 Prozent FDP. Rülke und Co. haben den Wasserstoff auf die Agenda gesetzt, dafür wären sie bereit, bei Solarpflicht oder Ausbau der Windkraft Kröten zu schlucken.
Die CDU hat sich inhaltlich am flexibelsten gezeigt, ihre Verhandlungsführer haben versichert, eine ambitionierte Klimapolitik nicht nur akzeptieren, sondern selbst aktiv vorantreiben zu wollen.
Die Frage, die sich den Grünen stellt, ist, was die Versprechen wert sind. Ob die FDP noch steht, wenn sie in zwei Jahren in Umfragen an der Fünf-prozent-hürde kratzen sollte. Oder, im Falle der CDU, welche Macht das Personal hat, mit dem man jetzt verhandelt, und wie lange es an Bord sein wird.
Wenn die Grünen zu dem Schluss kommen, dass sie keinem so richtig über den Weg trauen sollten, würde das eher für die Ampel sprechen: Kretschmann hätte mit der FDP im Zweifel nur ein 10,5-Prozent- und kein 24-Prozent-problem, wie mit der CDU. Wenn sie beiden die Treueschwüre abnähmen, wäre die CDU im Vorteil: Mit einem Partner lässt sich leichter regieren als mit zwei. Dazu kommt: Eine Ampelkoalition hätte kein starkes kommunales Fundament, Grünschwarz schon aufgrund der vielen Cdu-landräte und des Cdu-dominierten Gemeindetags. Andererseits haben die Grünen die kommunalen Mandatsträger der CDU in der zu Ende gehenden Legislaturperiode eher als Gegenspieler wahrgenommen, nicht als Unterstützer.
Eine Ampel wäre leichter zu vermarkten. Die Überschrift Aufbruch wäre schnell gefunden, das Thema Nachhaltigkeit – ökologisch, sozial, wirtschaftlich – könnte die Klammer sein. Andererseits: Wollten die Grünen Nachhaltigkeit nicht ganzheitlich denken? Für Grün-schwarz müssten Kretschmann und Co. in der eigenen Partei und Fraktion erklären, warum jetzt alles besser werden sollte. Klima und Innovation könnte die verbindende Überschrift für eine neue grüne-schwarze Koalition lauten; die Abneigung der FDP gegenüber staatlichen Regulierungen, sei es in der Corona-politik, sei es beim Klima, eine Erklärung sein.
Die grüne Handschrift wird deutlich sichtbar werden – egal in welcher Koalition.