Herbrechtingen
Joachim B. Schmidt: Kalmann (Folge 53)
(Pfarrer Rau), 19 Uhr.
fragte sie uns, ob der vierte Platz am Tisch noch frei sei, denn ihre Freundin komme sie besuchen, aber bis jetzt war ihre Freundin noch nie gekommen. Darum blieb der vierte Platz immer frei. Lísa war auch immer so angezogen, als mache sie sich gleich auf den Weg, mit Handtasche, Hut und allem. Manchmal stand sie draußen vor dem Eingang und wartete auf den Bus, wie sie erklärte, dabei war vor dem Pflegeheim gar keine Bushaltestelle. Die Leute hier waren wirklich ballaballa. Großvater war also in guter Gesellschaft.
Zur Nachspeise gab es Karottentorte. Die fand ich lecker. Ich aß auch Großvaters Stück, bis mir schlecht wurde und ich keinen Bissen mehr runterbrachte.
„Meine Tochter hat
Und meistens
sich gestern aus dem Fenster gestürzt“, sagte Lísa und lächelte mich erwartungsvoll an. Sie sagte immer so komische Sachen, man musste also gar nicht darauf reagieren.
„Die spinnt doch“, sagte Großvater, und jetzt schaute Lísa ganz traurig.
Als wir wieder zurück im Zimmer waren, zückte ich meine kleine Plastikdose mit Gammelhai. Ich hatte immer ein kleines Klappmesser dabei. Das hatte einen guten Biss. Ich zerschnitt den Gammelhai in kleine Stücke, und Großvater schaute mir ungeduldig zu. Als ich fertig war, bediente er sich und brummte zufrieden.
„Da kommen einem direkt die Tränen“, seufzte er.
Ich war so stolz. Es klopfte, die Tür ging auf, eine Pflegefrau trat ins Zimmer, blieb aber abrupt stehen, als wäre sie gegen eine unsichtbare Wand gelaufen, sagte „nein, danke!“, drehte sich auf dem Absatz um und verließ das Zimmer fluchtartig.
Aber bevor sie die Tür hinter sich zuwarf, rief sie noch: „Macht um Himmels willen das Fenster auf !“
„Beißen sie?“, fragte Großvater. Und plötzlich war er da! Und ich zögerte nicht. Wenn Großvater plötzlich da war, musste man das einfach sofort nutzen.
„Ich habe neue Köder bekommen“, sagte ich schnell. „Ich lasse die Stücke aber noch ein wenig in den Fässern, und dann beißen sie bestimmt, du wirst sehen! Vielleicht fahre ich morgen raus, oder übermorgen, mal sehen.“
Großvater nickte und kaute. „Und Petra läuft?“
Ich nickte.
„Habe einen Ölwechsel gemacht. Saemundur hat mir geholfen.“
Großvater musterte mich.
„Du machst das wirklich gut“, sagte er. „Das habe ich immer gewusst.“
Ich nickte und unterdrückte ein Grinsen. Großvater packte meine Hand und drückte sie ganz fest, was fast weh tat.
„Dein Hai ist delikat. Der beste Hai in ganz Island!“
„Du nimmst mich auf den Arm!“, rief ich und prustete.
„Aber nein! Da können die Haifischfänger in den Westfjorden einpacken!“
Ich war so stolz! Aber ich hatte keine Zeit, um lange stolz zu sein, denn Großvater bat mich, ihm einen Kaffee zu holen, denn er sei müde. Aber ich war nicht schnell genug, denn als ich zurückkam, war er schon eingeschlafen, ließ sich auch nicht mehr wecken, atmete tief, schnarchte ein wenig. Selbst als ich ihm die Wangen tätschelte, schlief er weiter. Mir wurde bald langweilig, und der Kaffee wurde kalt, aber es dauerte sowieso nicht mehr lange, bis mich Magga abholen würde, also verabschiedete ich mich leise, küsste Großvater auf beide stachelige Wangen und auf die Stirn, umarmte ihn lange und ging.
Draußen setzte ich mich auf eine Bank und wartete, bis Magga angefahren kam. Ich war gar nicht glücklich, als hätte ich ein Loch in mir drin. Eine halbe Stunde später kam sie um die Kurve gefegt. Sie muss die Kurve wohl unterschätzt haben, so dass sich ihre Blechbüchse bedenklich neigte. Wenn sie noch etwas mehr aufs Gaspedal gedrückt hätte, wäre die Karre gekippt und mitsamt Magga in den nächsten Garten gerollt. Aber sie kam ruckartig und ziemlich nah an der Bank zum Stehen. Ich zog die Füße ein. Ich sah gleich, dass Magga gut gelaunt war. Die Rücksitze waren bis zu den Fenstern hoch mit Einkaufstaschen vollgestapelt, eine davon war für mich, das wusste ich, das war so abgemacht, und das machten wir immer so.
Fortsetzung folgt
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