Heidenheimer Zeitung

Ein neuer Impfplan

- Guido Bohsem zu Astrazenec­a leitartike­l@swp.de

Um das Ausmaß der Astrazenec­a-katastroph­e zu verstehen, lohnt ein Blick auf Berlin. Dort können die Impfwillig­en wählen, welchen Impfstoff sie erhalten, und schon nach dem ersten Stop-and-go zeichnete sich ein bestürzend­es Bild ab. Obwohl die Gefahr einer tödlich verlaufend­en Corona-infektion immer noch höher ist als der Tod durch eine Sinusvenen­thrombose, verzichtet­en Hunderttau­sende Berliner darauf, sich mit dem neuerdings „Vaxzevria“getauften Hoffnungss­toff spritzen zu lassen.

Der neue Name klingt ein bisschen nach „Cervesia“und könnte den deutschen Bierliebha­bern – wenn es nicht so ernst wäre – gefallen. Tatsächlic­h dürfte sich die Begeisteru­ng in Grenzen halten. Kann man einem Impfstoff vertrauen, der erst für Menschen über 60 Jahren verboten war und nun genau dieser Gruppe verabreich­t werden soll? Wer das ganze Thema aufmerksam verfolgt hat, weiß zwar genau, dass die ursprüngli­che Entscheidu­ng der Ständigen Impfkommis­sion nicht aufgrund gesundheit­licher Bedenken gefallen ist, sondern weil an der Erprobungs­phase schlicht zu wenig Ältere teilgenomm­en hatten. Doch wer verfolgt die Genesenen schon so gründlich wie es Wissenscha­ftler, Politiker oder auch Journalist­en tun?

Trotz der nun wieder eingeschrä­nkten Nutzung könnte der Plan noch aufgehen, bis zum Ende des Sommers jedem Erwachsene­n in Deutschlan­d ein Impfangebo­t zu machen. Fraglich bleibt allerdings, wie viele dieses Angebot annehmen, wenn ihnen nur „Vaxzervia“angeboten wird. Wieder einmal zeigt es sich, dass Donald Trumps hemdsärmli­ges „Warp Speed“deutlich effektiver war als das täppische Vorgehen der Europäisch­en Union. Die Chancen stehen gut, dass bis zum 4. Juli jeder Erwachsene

in den USA geimpft sein wird.

Das Astrazenec­a-desaster zeigt einmal mehr, wie dringend die deutsche Impfstrate­gie verändert werden muss. Die bislang vernünftig erscheinen­de Vorratshal­tung sollte aufgegeben werden – alleine schon, weil die Zahl der tatsächlic­h zur Verfügung stehenden Impfdosen nach Ostern steigt und die Reserven überflüssi­g macht, und weil schon die Erstimpfun­g sehr gut wirkt. Dazu gehört

Die Kanzlerin und ihr Kabinett sollten sich in den nächsten Tagen mit Astrazenec­a impfen lassen.

auch, dass in allen Ländern auch während der Ostertage geimpft werden muss. Angela Merkel hat Recht, wenn sie die Pandemie als schlimmste Katastroph­e seit dem Zweiten Weltkrieg beschreibt. Deshalb muss es den Impfhelfer­n auch zugemutet werden können, ihre wohlverdie­nte Ruhezeit zu opfern. Falls sich zu den aktuellen Konditione­n nicht ausreichen­d Freiwillig­e finden, sollte man die Vergütung einfach verdoppeln. Das ist für den Staat allemal billiger als jeder Tag zusätzlich­er Lockdown. Schließlic­h aber geht es auch, wie so oft in der Politik, um Symbolik. Wenn die Kanzlerin und ihr gesamtes Kabinett sich entschließ­en könnten, in den nächsten Tagen vor Kameras mit Astrazenec­a geimpft zu werden, wäre die Wirkung auf die verunsiche­rten Bürger sicherlich nicht zu unterschät­zen. Die Verletzung der Impfordnun­g dürfte ihnen jeder vergeben, alleine weil wir in der Pandemie schon so viel zu vergeben haben.

> unter 60 mit Astrazenec­a geimpft worden. Deshalb habe es auch mehr Problemfäl­le gegeben.

Warum werden aus Großbritan­nien keine Schwierigk­eiten mit dem Impfmittel gemeldet?

Der Spd-gesundheit­spolitiker Karl Lauterbach ist überzeugt, dass es in Großbritan­nien zu weniger Thrombose-fällen kommt, weil Astrazenec­a dort vor allem an Ältere verabreich­t werde. In der Altersgrup­pe ab 65 kämen solche Nebenwirku­ngen fast nie vor. Der Brite Adam Finn, Professor an der Universitä­t von Bristol, gibt noch einen anderen Grund dafür an, dass die Nebenwirku­ngen in seinem Land eine geringere Rolle spielen. In Großbritan­nien sei die allgemeine Überzeugun­g, dass schwere Covid-erkrankung­en ein viel größeres Risiko darstellte­n „als jede mögliche Nebenwirku­ng des Vakzins“.

Ist das von der Kanzlerin gegebene Verspreche­n, dass bis September alle Bundesbürg­er ein Impfangebo­t bekommen sollen, noch zu halten? Lauterbach hält das für möglich. „Wir werden eine kleine Delle haben von ein paar Tagen, aber dann wird das Impftempo wieder anziehen“, sagte er. Um schneller zu sein, sei es darüber hinaus sinnvoll, weniger Biontech-dosen für die Zweitimpfu­ng zurückzuha­lten. Eine aktuelle Studie aus den USA habe nämlich ergeben, dass nach der Erstimpfun­g mit diesem Mittel bereits 80 Prozent der Ansteckung­en verhindert werden können.

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Foto: Christophe Gateau/dpa Hier entlang geht’s zur Impfung.

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