„Es würde Zeit verlorengehen“
über den zumindest teilweisen Ausfall des Covid-19-impfstoffes des Herstellers Astrazeneca ist groß. Der Vorstandsvorsitzende des Weltärztebundes (WMA), Professor Frank Ulrich Montgomery, warnt deswegen vor einer Verdammung.
Herr Montgomery, finden Sie die geänderten Impfregeln für Astrazenca richtig?
Frank Ulrich Montgomery:
Ja. Es ist vernünftig und klug, wenn man neue wissenschaftliche Erkenntnisse sofort in praktisches Handeln umsetzt.
Der Chef der Ständigen Impfkommission meint, das Vertrauen könne schwinden. Ist das eine Untertreibung? Ist der Impfstoff von Astrazeneca in Deutschland nicht de facto erledigt?
Das will ich nicht hoffen und dafür gibt es keine faktenbasierten Gründe. Wir brauchen Astrazeneca dringend als Rückgrat unseres Impfprogramms. Allerdings hatte der Impfstoff kommunikativ einen entsetzlichen Start in Deutschland. Bei den Studien wurden unterschiedliche Dosierungen verwendet, dann gab es nicht genügend Daten für die über 60-Jährigen und nun die Hirnvenenthrombosen bei jüngeren Frauen.
Wo soll Vertrauen herkommen?
Es wurde schnell und konsequent auf unerwartete Nebenwirkungen reagiert. Anderseits müssen wir besser vermitteln, dass die heftigen Reaktionen auf einen Impfstoff zeigen, dass das Immunsystem reagiert und der Impfstoff wirkt. Wenn wir dann bei den unerwünschten Nebenwirkungen feststellen, dass sie nur bei einem Teil der Bevölkerung
auftreten können, dann ist es richtig, schnell diesen Teil von den Impfungen auszuschließen. Aber eben nur diesen Teil.
Jetzt sollen Ärzte aufklären. Worüber denn?
Das Patientenschutzgesetz verlangt vom Arzt in Fällen wie dem Vorliegenden eine Risikoaufklärung. Das heißt, er muss über das Risiko bei der Verwendung eines Impfstoffes informieren, über andere zur Verfügung stehende Impfstoffe und über die Risiken der Krankheiten, vor denen die Impfungen Schutz bieten sollen.
Aufklärungsgespräche dauern.
Das stimmt. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Arzt 20 Impfungen in der Stunde schafft, schwindet.
Ist es Ärzten zuzumuten, einen Impfstoff zu verabreichen, der mal für über-60- und mal für unter 60-Jährige unzumutbar ist und bei dem jede Woche eine neue negative Botschaft auftauchen könnte?
So lange es eine Zulassung der Europäischen Arzneimittel-agentur EMA und ein positives Votum des Paul-ehrlich-institutes gibt, ist das zumutbar. Auch die Haftungsfragen sind für die Ärzte geklärt. Wenn sie selbst keine Fehler machen, können sie nicht belangt werden. Wie die Ärzteschaft reagiert, weiß ich natürlich nicht. Ich kann nur dafür werben, Astrazeneca auch unter den neuen Bedingungen weiter einzusetzen.
Falls aber die Bevölkerung Astrazeneca weitgehend ablehnt, könnten andere Impfstoffe den Ausfall schnell kompensieren?
Kompensieren, ja. Schnell, ist ein Problem. Die EU hat klugerweise drei bis viermal so viel Impfstoff bei den verschiedenen Firmen bestellt, wie nötig wäre. Aber es würde Zeit verlorengehen.