Neun Minuten Todeskampf
In Minneapolis beginnt der Prozess gegen den ehemaligen Polizisten, der wegen des Todes des Afroamerikaners George Floyd angeklagt ist. Die Zeugenaussagen sind erschütternd.
Packende Zeugenaussagen und Teenager, die den Polizisten Derek Chauvin, der wegen des Todes des Afroamerikaners George Floyd bis zu 40 Jahren hinter Gittern verbringen könnte, schwer belastet haben: Ein guter Prozessauftakt für den ehemaligen Ordnungshüter aus Minneapolis war es nicht. Viele Rechtsexperten rechnen mit einem Schuldspruch gegen Chauvin (45), der acht Minuten lang auf Floyds Hals kniete und von drei anderen Polizisten unterstützt wurde. Gleichwohl weiß niemand, was in den Köpfen der zwölf Juroren vorgeht, die zu entscheiden haben.
Am 25. Mai vergangenen Jahres hatte Chauvin den 46-jährigen George Floyd vor einem Lebensmittelgeschäft zu Boden gerungen und ihm Handschellen angelegt. Floyd stand im Verdacht, eine Schachtel Zigaretten mit einer gefälschten Banknote gekauft zu haben. Der Polizist kniete auf Floyds Hals und ließ selbst nach Einsetzen der Bewusstlosigkeit nicht locker. Nicht weniger als 27 Mal stammelte Floyd „ich kann nicht atmen“, und im Verlaufe der tragischen Minuten, die mehrere Passanten mit ihren Handys aufgezeichneten, starb der fünffache Vater. Nun hatten jene jungen Menschen, die hilflose Augenzeugen waren, die Chance, ihre Wahrnehmung zu schildern.
Ergreifend waren vor allem die Worte der 18-jährigen Darnella Frazier. Sie war mit ihrer neunjährigen Cousine an dem Streifenwagen vorbeigegangen. Sie spürte, dass etwas nicht stimmt und sagte ihrer Cousine, sie solle in das Geschäft gehen und dort auf sie warten. „Ich wollte nicht, dass sie das sieht“sagte Darnella, eilte selbst aber zum Tatort zurück und begann, mit ihrem iphone den Ablauf aufzuzeichnen.
Eines tat Frazier, die damals noch minderjährig war und deswegen dem Gericht nur via Audio-feed zugeschaltet war, aber nicht: Sie sagte keine Wort, sondern schaute still zu, was ihr bis heute Gewissensbisse bereitet. „Ich kann nachts nicht schlafen, sondern bleibe wach und bitte George Floyd um Entschuldigung dafür, dass ich nichts getan habe“, schluchzte das Mädchen. Dabei sei klar gewesen, „dass er schlimme Schmerzen hat, am Hals, am Rücken, das sagte er immer wieder und rief auch nach seiner Mama“.
Auch ohne sie zu sehen, hörte das Gericht, wie die Zeugin sich die Tränen nicht verkneifen konnte. Anlegen wollte sich Chauvins Strafverteidiger Eric Nelson mit der jungen Frau nicht, versuchte dafür aber, andere Zeugen in die Mangel zu nehmen, etwa den Boxer und Freistilringer Donald Williams, der Chauvin mehrmals aufforderte, Floyd aus dem Würgegriff zu befreien. Er habe gesehen, dass Floyd mit dem Tod ringt, und deswegen die Notrufnummer gewählt: „Ich habe die Polizei bei der Polizei angezeigt.“Obwohl er Chauvin mehrfach beschimpfte, habe er diesen nie bedroht, wie Chauvins Anwalt behauptete. „Ich verhielt mich immer völlig professionell.“
Heftig ging es auch zwischen Nelson und der Feuerwehrfrau Genevieve Hansen zu. Sie hatte die Polizisten aufgefordert, zumindest Floyds Puls zu messen. Als der Anwalt ihre Darstellung in Zweifel zog und meinte, sein Mandant habe sich von der Menschenmenge bedroht gefühlt, schoss Hansen zurück. „Wir waren immer friedlich und völlig zivil. Ich weiß nicht, ob Sie jemals eine Menschen sterben sahen, aber es ist erschütternd.“
Erwartet wird, dass der Prozess frühestens in der zweiten Aprilhälfte abgeschlossen sein wird. So gern Gerichte die Bedeutung der Hauptfarbe herunterspielen, könnte diese aber sowohl bei der Auswahl der Zeugen, die überwiegend Afroamerikaner sind, als auch der der zwölf Geschworenen eine Rolle spielen, von denen die Hälfte weiß ist. So oder so spricht der Strafverteidiger und ehemalige Staatsanwalt Elie Honig von „starken Zeugen, deren Aussagen wirklich jeden überzeugen müssten“.
Würde Chauvin wegen vorsätzlicher Tötung schuldig gesprochen, könnte er zu bis zu 40 Jahren Haft verurteilt werden. Im Fall einer fahrlässigen Tötung drohen Strafen zwischen 5 und 15 Jahren, und dies halten Experten für die wahrscheinlichere Variante.