Auf die schiefe Bahn geraten
Drei jungen Männern wird vorgeworfen, mit mehr als einem Kilogramm Kokain gehandelt zu haben. Verarbeitung und Verkauf wurden von Heidenheim aus gesteuert.
Wenn man sagt, jemand sei auf die schiefe Bahn geraten, dann klingt das recht passiv, als hätte die Person kaum eine Wahl gehabt. Dabei steht vor dem ersten Schritt auf die glitschige Bahn oft eine Entscheidung, ob klug oder nicht. Womöglich erscheinen die ersten Meter auf der Abwärtsstrecke sogar noch verlockend und aufregend. Für drei junge Männer endete die schiefe Bahn nun jedoch vor der Großen Strafkammer des Ellwanger Landgerichts.
Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen gemeinschaftlichen Handel mit Betäubungsmitteln „in nicht geringer Menge“vor. Es geht womöglich um mehr als ein Kilogramm Kokain, also mehrere Tausend Portionen der Droge. Es geht aber auch um die Frage, wie solche Mengen bewiesen werden können, wenn das potenzielle Beweismittel längst durch diverse Nasen gegangen ist.
„Bunker“in Heidenheim
Im Mittelpunkt des auf fünf Verhandlungstage angesetzten Prozesses stehen ein 29-Jähriger gebürtiger Heidenheimer und ein 28-Jähriger, der zuletzt in Giengen lebte. Sie sollen zwischen März und August 2020 in mehreren Fällen Kokain eingekauft, nach Heidenheim gebracht und dort für den Weiterverkauf gestreckt und portioniert haben. Für ihre Unternehmung spannten sie demnach mehrere Frauen für Kurierfahrten durch ganz Deutschland ein. Die Heidenheimer Wohnung einer weitere Frau diente als „Bunker“, dort wurden die Drogen
gelagert und weiterverarbeitet. In diesem Zusammenhang wurden am Heidenheimer Amtsgericht bereits mehrere Urteile gesprochen, weitere Verfahren laufen noch.
Während die beiden Männer anfangs noch gemeinsam agierten, stiegt der jüngere offenbar im Laufe des Sommers aus. Es habe Streit zwischen ihnen gegeben, hieß es.
Vor Gericht steht auch ein 22 Jahre alter Mann aus dem nordrhein-westfälischen Stolberg. Ihm wirft die Staatsanwaltschaft vor, in mehreren Fällen die Großeinkäufe der beiden mutmaßlichen Mittäter eingefädelt zu haben. In einem Fall geht es dabei unter anderem um die Einfuhr von zwei Kilogramm Marihuana aus den Niederlanden.
Während ihrer Aktivitäten waren die Männer offenbar kaum einmal unbeobachtet. Zum Prozessauftakt
am Montag berichtete ein Beamter der gemeinsamen Ermittlungsgruppe Rauschgift von Zoll und Landeskriminalamt von den umfangreichen Ermittlungen, die schließlich Ende August 2020 zur Festnahme der nun Angeklagten führten.
Genaue Überwachung
Wie ein unsichtbarer Schatten hatten sich demnach die Verfolger über den von Heidenheim aus gesteuerten Drogenhandel gelegt. 31 Rufnummern wurden überwacht, 46 Fahrten per GPS verfolgt, 25 Mal observierten Polizisten die mutmaßlichen Dealer. Mehrere Tausend Datensätze seien angefertigt worden, so der Zollbeamte.
Auf die Spur der jungen Männer kamen die Behörden offenbar durch den Hinweis einer „Vertrauensperson“, die berichtet habe, in Heidenheim handle jemand mit größeren Mengen Kokain. Wie genau die Verfolger die beiden Hauptangeklagten identifizierten, blieb am Montag offen.
Angeklagte räumen Vorwürfe ein
Konkreter wurden dagegen die Angeklagten, denen angesichts der Schwere ihrer Taten mehrjährige Haftstrafen drohen. Sie räumten die Vorwürfe weitgehend ein, bestritten jedoch, es habe sich in mehreren Fällen um Mengen von bis zu 450 Gramm Kokain gehandelt. Nie seien es mehr als 150 Gramm gewesen, ließen sie ihre Verteidiger vorbringen.
Observationsfotos ausgewertet
Knapp 150 Gramm Kokain fanden Beamte auch im Luftfilter des Fahrzeugs, das die Verfolger am Ende der letzten „Beschaffungsfahrt“des 29-Jährigen durchsuchten. Die Annahme, dass es mehrmals bis zu 450 Gramm gewesen sein könnten, fußt dagegen auf Observationsfotos, auf denen der Mann einen Gegenstand an eine Frau übergab. Nach Annahme der Behörden habe es sich um in rechteckige Form gepresstes Kokain gehandelt. Spezialisten des Landeskriminalamtes hätten aus den Umrissen des Gegenstands das mögliche Volumen ermittelt, so der als Zeuge geladene Zollbeamte. Der Verteidiger des jüngsten Angeklagten bezeichnete die Herleitung als „kühn“.
Dass sie mit ihrem Handel vor allem Geld verdienen wollten, stritten die Angeklagten ab. Sie hätten ihre Drogensucht finanzieren wollen, einen guten Teil des eingekauften Kokains hätten sie selber konsumiert. Weitere Anteile
verkauften sie laut Anklage an etliche Abnehmer im Raum Heidenheim.
Mit Drogen Schmerzen betäubt
Der 28-Jährige gab an, seit einem Autounfall vor zehn Jahren unter so starken Schmerzen zu leiden, dass er zunächst große Mengen Schmerzmittel einnahm, später Marihuana rauchte und schließlich Kokain schnupfte, um die Schmerzen zu betäuben. Der ein Jahr ältere Mitangeklagte erklärte, er habe zunächst nur hin und wieder „in der Gruppe“Kokain genommen, zuletzt jedoch habe er die Droge schon vor der Arbeit gebraucht, um durch den Tag zu kommen. Eine von der Staatsanwaltschaft in Auftrag gegebene Haaranalyse ergab hingegen, dass der 29-Jährige allenfalls „moderat“konsumiert habe.
Wunsch: drogenfreies Leben
Übereinstimmend betonten die jungen Männer jedoch, sie hätten in der seit August andauernden U-haft viel Zeit zum Nachdenken gehabt. Beide bemühten sich demnach, künftig drogenfrei zu leben und baten nicht zuletzt ihre Familien um Entschuldigung.