Betrug während der Quarantäne?
David Storl und Alina Reh befürchten „Schmu“, wenn Kontrollen entfallen.
Hamburg. Zwei Wochen Quarantäne? Für den Otto Normalbürger eine Horrorvorstellung, für Dopingbetrüger auf dem Weg zu den Olympischen Spielen aber womöglich ein unbeobachtetes Paradies. Das befürchtet zumindest der ehemalige Kugelstoß-weltmeister David Storl. Und auch Lauf-ass Alina Reh rechnet damit, dass die Coronavirus-pandemie genutzt wird, um vor Tokio (23. Juli bis 8. August) „Schmu“zu betreiben.
Durch seine eigene Quarantäne im Zuge einer Corona-infektion sei Storl „so richtig bewusst“geworden, wie weit dadurch „dem Betrug Tür und Tor“geöffnet werde. Schließlich habe er einem Kontrolleur der Nationalen Anti Doping Agentur (Nada) durch die angeordnete häusliche Isolation für eine Kontrolle nicht die Tür öffnen dürfen.
„Zu Hause in deinen eigenen vier Wänden bieten sich doch unter
der totalen Abschottung alle Möglichkeiten der Welt, um bestimmte Leistungsfähigkeiten mit unerlaubten Stoffen zu verbessern“, sagte Storl, Europameister der Jahre 2012, 2014 und 2016: „Die Quarantäne ist das beste Alibi zum Betrügen. Ich finde die jetzige Situation noch dramatischer als vor einem Jahr.“In Japan werde man es „ganz bestimmt nicht mit Chancengleichheit zu tun haben“, lautet Storls Schlussfolgerung: „Jedenfalls ist meine Skepsis jetzt noch einmal extrem gestiegen.“
Alina Reh, Em-dritte über 10 000 m von 2018, will die Spiele nicht schon jetzt als „schmutzig“bezeichnen. „Aber ich denke, dass die Kontrollen, gerade im letzten Jahr, zu wünschen übrig ließen und da wahrscheinlich im Hintergrund viel Schmu betrieben wurde – aber das sind alles nur Spekulationen.“Die Nada bestätigt, dass „bei behördlich angeordneten Quarantäne-maßnahmen keine Dopingkontrollen stattfinden. Die 23-jährige Reh betonte, sie werde etwa „seit einem halben Jahr wieder so“kontrolliert wie vor Corona, darüber sei sie „froh und dankbar“. An der Startlinie in Tokio will sie das Thema ausblenden: „Was die Leute links und rechts von mir gemacht haben, kann ich in dem Moment nicht beeinflussen.“
Speerwurf-olympiasieger Thomas Röhler setzt auf das Prinzip Hoffnung. Er sei „guter Dinge, dass sich da jetzt keiner neu motiviert gefühlt hat, weil er dachte, er sei unbeobachtet aufgrund der Pandemie. Das wäre schon höchst kriminell an der Stelle“, sagt der 29-Jährige.
Storl, der es persönlich als „großes Desaster“empfindet, dass er für die zwei Wochen seiner Quarantäne selbst „nicht glaubwürdig“sei, wünscht sich in der Pandemie mehr technische Hilfsmittel im Kampf gegen Doping. Ein digitales Forschungsprojekt der Nada, bei dem Athleten bei der Blutabnahme per Live-videoübertragung via Handy überwacht wurden, ist mittlerweile beendet worden. Experten rechnen jedoch damit, dass die Welt-anti-doping-agentur Wada dieses System in Zukunft in ihr justiziables Regelwerk aufnehmen könnte.