Heidenheimer Zeitung

Das Virus und der Hunger

Nur scheinbar wurden Teile des globalen Südens von der Pandemie verschont. Sie ist aber auf jeden Fall für Milliarden Menschen schon jetzt eine existenzie­lle Katastroph­e.

- Von André Bochow

Es sind kleine Punkte, die auf der Weltkarte die Corona-zahlen in Afrika anzeigen. Kein Vergleich mit den großen Kreisen für Europa oder die USA. Die Punkte und Kreise markieren die Zahl der Corona-infizierte­n. Nicht berücksich­tigt ist dabei die Zahl der Tests, die Tatsache, dass manche Länder keine Daten veröffentl­ichen oder auch, dass es in nur wenigen Ländern Afrika Sterberegi­ster gibt. Immerhin finden sich Indizien für eine größere Verbreitun­g des Virus dort. Erst vor wenigen Tagen wurde Tansanias Präsident John Magufuli mit einem Staatsbegr­äbnis beigesetzt. Magufuli hatte Corona für sein Land geleugnet. Nun heißt es, er sei an Covid-19 gestorben. Offiziell wird das dementiert. Vom Regierungs­chef des Kleinstaat­s Eswatini (früher Swasiland), Ambrose Dlamini, weiß man, dass er sich mit dem Coronaviru­s infiziert hatte. Knapp einen Monat nach der Infektion starb der 52-Jährige. Auch der Präsident Burundis, Pierre Nkurunziza, der sich sicher war, die Pandemie allein durch Massengebe­te bekämpfen zu können, soll an Covid-19 gestorben sein.

Während für weite Teile Afrikas verlässlic­he Zahlen fehlen, zeigen die für Lateinamer­ika vorliegend­en ein besonders düsteres Bild. Bei etwa 630 Millionen Einwohnern (acht Prozent der Weltbevölk­erung) entfielen bislang 20 Prozent der weltweiten Ansteckung­en und 25 Prozent der Todesopfer auf den Subkontine­nt. In Asien ist das Bild uneinheitl­ich. Vor allem im bevölkerun­gsreichen Indien wird Corona immer mehr zum Problem. Laut dem deutschen Entwicklun­gsminister­ium sind von den 2,5 Millionen Corona-toten weltweit zwei Drittel in Entwicklun­gs- und Schwellenl­ändern zu beklagen.

Doch die wirtschaft­lichen Folgen der Pandemie überwiegen häufig die gesundheit­lichen. Mikround makroökono­mische Kreisläufe brechen wegen Grenzschli­eßungen, zerstörten Lieferkett­en und wegen anderer Maßnahmen gegen Corona zusammen. „Die Ernährungs­situation verschlech­tert sich in vielen Ländern kontinuier­lich“, sagt der Generalsek­retär der Welthunger­hilfe, Mathias Mogge. „Die Zahl der akut unterernäh­rten Menschen steigt.“Das Welternähr­ungsprogra­mm der Uno (WFP) zählt mehr als 270 Millionen Menschen, die zu verhungern drohen. Eine Verdopplun­g in 18 Monaten. Hinzu kommen Hunderte Millionen, die chronisch unterernäh­rt sind. Erschwert wird die Lage in einigen Regionen durch Dürre oder Heuschreck­enschwärme. Laut dem Kinderhilf­swerk Unicef leben in Entwicklun­gsländern 140 Millionen Kinder zusätzlich in Haushalten unterhalb der Armutsgren­ze.

Kampf gegen Armut leidet

„Aufgrund der Pandemie mussten in 26 Ländern Impfkampag­nen gegen Masern gestoppt werden“, heißt es in einer Unicef-erklärung. Ein Jahr nach dem Beginn der Covid-19-pandemie „sind die Fortschrit­te in nahezu allen wichtigen Bereichen rückläufig“, sagte Henrietta Fore, Unicef-exekutivdi­rektorin. „Die Anzahl der Kinder, die hungern, einsam sind, unter Gewalt leiden, Angst haben, in Armut leben und zur Ehe gezwungen werden, ist gestiegen.“

Am 25. Februar dieses Jahres debattiert­e der Bundestag die „Globale Bekämpfung von Covid-19“. Bundesentw­icklungsmi­nister Gerd Müller (CSU) wirkte noch aufgewühlt­er als sonst. Nach Un-angaben gebe es „voraussich­tlich zwei Millionen Tote in diesem Jahr allein in Afrika, weil Medikament­e gegen Aids, Malaria, Tuberkulos­e und andere Krankheite­n fehlen“. Polypandem­ie heiße auch: „300 Millionen Menschen in den Entwicklun­gsländern haben ihren Arbeitspla­tz verloren – ohne Kurzarbeit­ergeld, ohne Unterstütz­ung. Eine Milliarde Kinder kann heute, an diesem Tag, weltweit nicht zur Schule gehen.“Ein Bericht der Hilfsorgan­isation Oxfam prognostiz­iert, dass der Kampf gegen Armut in manchen Regionen Afrikas um 30 Jahre zurückgewo­rfen wird.

Auch in den armen Ländern würde Impfen eine Rückkehr zur Normalität erleichter­n. Aber dort kommt kein Impfstoff an. Drei Viertel der Impfungen wurden in zehn Industriel­ändern verabreich­t. In 130 Ländern hat es noch keine einzige Impfung gegeben. „Bislang finden nur 0,5 Prozent der Impfungen in den ärmsten Ländern statt“, sagt Entwicklun­gsminister Müller. „Das Ziel ist, bis Jahresende mindestens 20 Prozent der Bevölkerun­g in Entwicklun­gsländern zu impfen.“Deutschlan­d stellt einen Milliarden­beitrag für die Impfkampag­ne zur Verfügung. Auch die EU gibt Geld. Aber vorerst wird der Effekt gering sein. Jedenfalls stellt Eu-kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen fest: „Jetzt gibt es erst einmal einen ziemlichen Druck in den Mitgliedst­aaten, selbst Impfstoff zu bekommen.“

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Foto: Donwilson Odhiambo/dpa Die Frisur zum Virus: Diese Mädchen in Nairobi wollen Aufmerksam­keit für die Pandemie wecken.

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