Das Virus und der Hunger
Nur scheinbar wurden Teile des globalen Südens von der Pandemie verschont. Sie ist aber auf jeden Fall für Milliarden Menschen schon jetzt eine existenzielle Katastrophe.
Es sind kleine Punkte, die auf der Weltkarte die Corona-zahlen in Afrika anzeigen. Kein Vergleich mit den großen Kreisen für Europa oder die USA. Die Punkte und Kreise markieren die Zahl der Corona-infizierten. Nicht berücksichtigt ist dabei die Zahl der Tests, die Tatsache, dass manche Länder keine Daten veröffentlichen oder auch, dass es in nur wenigen Ländern Afrika Sterberegister gibt. Immerhin finden sich Indizien für eine größere Verbreitung des Virus dort. Erst vor wenigen Tagen wurde Tansanias Präsident John Magufuli mit einem Staatsbegräbnis beigesetzt. Magufuli hatte Corona für sein Land geleugnet. Nun heißt es, er sei an Covid-19 gestorben. Offiziell wird das dementiert. Vom Regierungschef des Kleinstaats Eswatini (früher Swasiland), Ambrose Dlamini, weiß man, dass er sich mit dem Coronavirus infiziert hatte. Knapp einen Monat nach der Infektion starb der 52-Jährige. Auch der Präsident Burundis, Pierre Nkurunziza, der sich sicher war, die Pandemie allein durch Massengebete bekämpfen zu können, soll an Covid-19 gestorben sein.
Während für weite Teile Afrikas verlässliche Zahlen fehlen, zeigen die für Lateinamerika vorliegenden ein besonders düsteres Bild. Bei etwa 630 Millionen Einwohnern (acht Prozent der Weltbevölkerung) entfielen bislang 20 Prozent der weltweiten Ansteckungen und 25 Prozent der Todesopfer auf den Subkontinent. In Asien ist das Bild uneinheitlich. Vor allem im bevölkerungsreichen Indien wird Corona immer mehr zum Problem. Laut dem deutschen Entwicklungsministerium sind von den 2,5 Millionen Corona-toten weltweit zwei Drittel in Entwicklungs- und Schwellenländern zu beklagen.
Doch die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie überwiegen häufig die gesundheitlichen. Mikround makroökonomische Kreisläufe brechen wegen Grenzschließungen, zerstörten Lieferketten und wegen anderer Maßnahmen gegen Corona zusammen. „Die Ernährungssituation verschlechtert sich in vielen Ländern kontinuierlich“, sagt der Generalsekretär der Welthungerhilfe, Mathias Mogge. „Die Zahl der akut unterernährten Menschen steigt.“Das Welternährungsprogramm der Uno (WFP) zählt mehr als 270 Millionen Menschen, die zu verhungern drohen. Eine Verdopplung in 18 Monaten. Hinzu kommen Hunderte Millionen, die chronisch unterernährt sind. Erschwert wird die Lage in einigen Regionen durch Dürre oder Heuschreckenschwärme. Laut dem Kinderhilfswerk Unicef leben in Entwicklungsländern 140 Millionen Kinder zusätzlich in Haushalten unterhalb der Armutsgrenze.
Kampf gegen Armut leidet
„Aufgrund der Pandemie mussten in 26 Ländern Impfkampagnen gegen Masern gestoppt werden“, heißt es in einer Unicef-erklärung. Ein Jahr nach dem Beginn der Covid-19-pandemie „sind die Fortschritte in nahezu allen wichtigen Bereichen rückläufig“, sagte Henrietta Fore, Unicef-exekutivdirektorin. „Die Anzahl der Kinder, die hungern, einsam sind, unter Gewalt leiden, Angst haben, in Armut leben und zur Ehe gezwungen werden, ist gestiegen.“
Am 25. Februar dieses Jahres debattierte der Bundestag die „Globale Bekämpfung von Covid-19“. Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) wirkte noch aufgewühlter als sonst. Nach Un-angaben gebe es „voraussichtlich zwei Millionen Tote in diesem Jahr allein in Afrika, weil Medikamente gegen Aids, Malaria, Tuberkulose und andere Krankheiten fehlen“. Polypandemie heiße auch: „300 Millionen Menschen in den Entwicklungsländern haben ihren Arbeitsplatz verloren – ohne Kurzarbeitergeld, ohne Unterstützung. Eine Milliarde Kinder kann heute, an diesem Tag, weltweit nicht zur Schule gehen.“Ein Bericht der Hilfsorganisation Oxfam prognostiziert, dass der Kampf gegen Armut in manchen Regionen Afrikas um 30 Jahre zurückgeworfen wird.
Auch in den armen Ländern würde Impfen eine Rückkehr zur Normalität erleichtern. Aber dort kommt kein Impfstoff an. Drei Viertel der Impfungen wurden in zehn Industrieländern verabreicht. In 130 Ländern hat es noch keine einzige Impfung gegeben. „Bislang finden nur 0,5 Prozent der Impfungen in den ärmsten Ländern statt“, sagt Entwicklungsminister Müller. „Das Ziel ist, bis Jahresende mindestens 20 Prozent der Bevölkerung in Entwicklungsländern zu impfen.“Deutschland stellt einen Milliardenbeitrag für die Impfkampagne zur Verfügung. Auch die EU gibt Geld. Aber vorerst wird der Effekt gering sein. Jedenfalls stellt Eu-kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen fest: „Jetzt gibt es erst einmal einen ziemlichen Druck in den Mitgliedstaaten, selbst Impfstoff zu bekommen.“