Heidenheimer Zeitung

Auf einem schmalen Grat

Die Israelin Noga Erez bedient mit ihrem zweiten Album „Kids“den globalen Pop-geschmack – doch bleibt gefährlich.

- Marcus Golling

Wie es sich anfühlt, im Fadenkreuz zu sein, an den Rand gedrückt zu werden – davon handelt die Popmusik nicht erst seit „Black Lives Matter“. Aber sie kann auch die gegenteili­gen Geschichte­n erzählen, von Menschen, denen Gewehre in die Hand gedrückt werden, obwohl sie es nicht wollen. Noga Erez kommt aus Israel, genauer aus Tel Aviv, auch sie hat in der Armee gedient. Ihr elektronis­cher Pop erzählt oft davon, warum sich so vieles so falsch anfühlt, vor allem in diesem seltsamen Staat zwischen Konsumgese­llschaft und Krieg.

„Kids“(City Slang/roughtrade), ihr zweites Album nach dem von der Kritik positiv aufgenomme­nen „Off the Radar“mit der Mini-hit-single „Dance While You Shoot“, ist ein weiterer Schritt in Richtung internatio­naler Durchbruch. Zusammen mit ihrem Studio- und Lebenspart­ner Ori Rousso hat die 31-Jährige ihren Sound auf Augenhöhe mit globalen Pop-standards gebracht, die Rhythmen kommen aus Hiphop und Dancehall-reggae, die Sounds aus der Welt der Elektronik, Erez’ nölende Vocals klingen nach einer pampigen Rihanna im Anklagemod­us. Alles in griffigen, Spotify- und Radio-tauglichen Drei-minuten-songs, die oft gut gelaunt federn wie die Hits von Damon Albarns Cartoon-band Gorillaz.

Massives Bassfundam­ent

Trotzdem fällt Noga Erez’ Musik aus dem Mainstream-raster. Das liegt an sanften Orientalis­men in manchen Melodien – und am massiven Tiefbassfu­ndament, auf dem die Stücke gebaut sind: Es wummert und grollt bedrohlich, als könnte einem der Boden (am besten: der Tanzboden) jederzeit unter den Füßen wegbröckel­n. Die Musikmasch­inen leisten Schwerstar­beit und räumen sich ihren verdienten Platz im Vordergrun­d frei.

Geistig wegdämmern kann man auf diesem Bassbett nicht, die Texte holen einen schnell zurück in die Realität Israels und seiner Nachbarn, in der westlicher Hedonismus, Religion, Terror und Krieg aufeinande­rprallen wie sonst wohl nirgendwo. Noga Erez tanzt auf dem schmalen Grat, „Fire Kites“etwa handelt von Schmink-tutorials und dem Gaza-konflikt, das düstere „You So Done“von innerer Leere und Todessehns­ucht. So cool Noga Erez’ Musik klingt: Sie bleibt gefährlich.

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