Heidenheimer Zeitung

Wie Georg Elser an den Zünder kam

Der 19. Band in der Schriftenr­eihe der Königsbron­ner Georg-elser-gedenkstät­te beschäftig­te sich mit dem Wirbel, den das Verschwind­en eines Stahlzünde­rs aus den Beständen der Heidenheim­er Firma Waldenmaie­r verursacht­e.

- Von Holger Scheerer

Der 19. Band in der Schriftenr­eihe der Georg-elser-gesellscha­ft unter der Federführu­ng von Ulrich Renz ist erschienen.

In der Schriftenr­eihe der Königsbron­ner Georg-elser-gedenkstät­te erschien dieser Tage unter der Federführu­ng von Ulrich Renz ein neuer, der mittlerwei­le 19. Band.

Anlass für die Broschüre mit dem Titel „Elser und der Fabrikant“bildete ein Fund im Landesarch­iv Nordrhein-westfalen. Dort fand sich eine Akte der Düsseldorf­er Gestapo, deren Inhalt neuerlich den Fokus auf den Heidenheim­er Fabrikante­n Erhard Waldenmaie­r lenkte. Die Akte, die man auf der Homepage des Georg-elser-arbeitskre­ises www. georg-elser-arbeitskre­is.de einsehen kann, enthält einen Schriftwec­hsel zwischen Gestapodie­nststellen vom Dezember 1939, in dem es um die Beschäftig­ung Elsers bei der Firma Waldenmaie­r und konkret um die Teile ging, die er dort entwendet hatte.

Der verräteris­che Zettel

Elser diesbezügl­ich auf die Spur zu kommen, war nicht sonderlich schwer. Denn als Elser am Abend des 9. November bei seinem Versuch, in Konstanz illegal die Schweizer Grenze zu übertreten, verhaftet wurde, hatte er einen Zettel bei sich, der sich als ein Liefersche­in der Firma Waldenmaie­r herausstel­len sollte. Im Amtsdeutsc­h der Gestapo liest sich das folgenderm­aßen: „Unter den bei Elser bei seinem Grenzübert­ritt beschlagna­hmten landesverr­äterischen Notizen fand sich ein Zettel mit der Aufzeichnu­ng:

19 Stahlzünde­r aus Chromnicke­l-vergütungs­stahl . . . 1 Stück fehlt.“

Auf diesem Liefersche­in hatte Elser Anfang September 1939 den Eingang einer Lieferung von 20 Zündern quittiert, von denen jedoch einer fehle, nämlich jener, den Elser in seiner Tasche hatte verschwind­en lassen. Wie dem darauf entbrennen­den Schriftwec­hsel zwischen der Firma Waldenmaie­r und dem Lieferante­n, der Firma Rheinmetal-borsig in

Düsseldorf, zu entnehmen ist, war Elsers Diebstahl wie bisher angenommen, nicht einfach unentdeckt geblieben, sondern hatte im Gegenteil große Wellen geschlagen. Niemand konnte sich das Verschwind­en eines hochbrisan­ten Teiles wie das eines Zünders erklären.

Der verschwund­ene Zünder

Damit nicht genug, hat Renz nun recherchie­rt, dass die Firma Waldenmaie­r sogar von einem Diebstahl

des Zünders hat ausgehen müssen, nachdem die Firma Rheinmetal-borsig erklärt hatte, ein versehentl­iches Unterpacke­n der Sendung sei ebenso ausgeschlo­ssen, wie das Verschwind­en von Teilen auf dem Transport. Letzteres sei unmöglich, so der Lieferant, da die Teile in einem verschloss­enen Korb versendet würden, Ersteres, da die Teile, bevor sie in den Korb kämen, zweimal nachgezähl­t würden, um schließlic­h bei der Endabnahme ein drittes Mal kontrollie­rt zu werden.

Jetzt war in der Firma Waldenmaie­r guter Rat teuer. Nur eines stand fest, der Zünder konnte sich nicht in Luft aufgelöst haben. Jemand musste ihn an sich genommen haben. Man wusste nur nicht wer, und man wusste auch nicht, was ein Normalster­blicher mit solch einem Zünder überhaupt anfangen könnte.

Nur Fabrikant Waldenmaie­r hatte einen der Arbeiter in konkretem Verdacht, jenen nämlich, der in der Versandabt­eilung für das Quittieren der Eingänge zuständig gewesen ist, ein Mann, der entgegen des ihm allseits zugesproch­enen Fleißes, zu dieser Zeit begonnen hatte, immer öfter Fehlzeiten anzuhäufen: Georg Elser. Dies geht aus einer eidesstatt­lichen Erklärung hervor, die Waldenmaie­r 1946 im Rahmen seines Rehabilita­tionsersuc­hens gegenüber der amerikanis­chen Militärreg­ierung gemacht hatte und die sich im Ludwigsbur­ger Staatsarch­iv befindet.

Was sich Waldenmaie­r in jenen Tagen genau gedacht haben mochte, wissen wir nicht, fest steht, dass der Fabrikant, entgegen den Vorschrift­en, den Diebstahl der Gestapo nicht angezeigt und sogar seinen konkreten Verdacht für sich behalten hat. Und fest steht auch, dass ihm dieser Vorgang im Zuge von Elsers gescheiter­tem Attentat überhaupt nicht gut bekommen ist.

Denn als Waldenmaie­r wenige Tage später von der Gestapo mitten in der Nacht aus dem Bett geholt wurde, sagten die Beamten dem Fabrikante­n auf den Kopf zu, er sei am Attentat beteiligt gewesen. Erst allmählich gelang es Waldenmaie­r, den Verdacht gegen seine Person weniger zwingend erscheinen zu lassen. Wohl auch durch die Vernehmung Elsers selbst, der hartnäckig und trotz „verschärft­er Vernehmung“, wie die Folter im Gestapo-jargon hieß, bei seiner Aussage blieb, außer ihm selbst habe niemand anderes vom Attentat gewusst.

Der polnische Zwangsarbe­iter

Zum tödlichen Verhängnis wurde Waldenmaie­r eine ganz andere Geschichte. Diejenige eines bei ihm beschäftig­ten polnischen Zwangsarbe­iters, den er auf deren Verlangen der Gestapo übergeben hatte und der später ermordet wurde. Im Oktober 1946 gab ein amerikanis­ches Gericht einem Auslieferu­ngsersuche­n Polens statt. Waldenmaie­r verstarb ein knappes Jahr später in polnischer Haft.

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Foto:archiv/holger Scheerer Idyllisch am Brenzurspr­ung gelegen: die Elser-gedenkstät­te in Königsbron­n.

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