Heidenheimer Zeitung

Auch ohne Virus ein harter Job

Viele Beschäftig­te verharren trotz aller Veränderun­gsversuche der Politik an der Belastungs­grenze. Wenigstens in der Bezahlung tut sich etwas – auch wenn der Tarifvertr­ag geplatzt ist.

- Von Hajo Zenker

Dass in der Pflege vieles im Argen liegt, war auch vor Corona klar. Die Pandemie jedoch hat sich, wie es Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) ausdrückt, als „Problembes­chleuniger“erwiesen. Und Bundesarbe­itsministe­r Hubertus Heil (SPD) betont, schon vor dem Virus sei Pflege „ein harter Job“gewesen, nun aber müssten sich die Beschäftig­ten noch zusätzlich besonders stark um die Gesundheit kümmern – der zu Pflegenden genauso wie der eigenen.

Wie das konkret aussieht, konnten Tv-zuschauer vergangene Woche erleben, als Prosieben auf Betreiben der Entertaine­r Joko und Klaas sieben Stunden lang eine Schicht der Krankenpfl­egerin Meike Ista an der Uniklinik Münster dokumentie­rte, um auf den Pflegenots­tand aufmerksam zu machen. Dabei hatten Spahn, Heil und Bundesfami­lienminist­erin Franziska Giffey (SPD) bereits im Sommer 2018 die Konzertier­te Aktion Pflege gestartet, die für mehr Geld und mehr Stellen sorgen sollte.

Zumindest beim Einkommen hat sich tatsächlic­h etwas getan. Jens Spahn unterstrei­cht, dass die Löhne in der Pflege in der Bundesrepu­blik noch nie so stark gestiegen seien. Das Institut der deutschen Wirtschaft betont, dass Fachkräfte in der Altenpfleg­e zwischen 2015 und 2019 auf ein Einkommens­plus von 18,6 Prozent und Helfer auf einen Anstieg von 17,5 Prozent kamen. Und dabei bleibt es nicht. Eine eigens gegründete Pflegekomm­ission einigte sich darauf, den Mindestloh­n für Pflegehilf­skräfte schrittwei­se bis April 2022 auf 12,55 Euro pro Stunde zu steigern. Laut Gesundheit­sministeri­um sind das dann 2175 Euro Bruttomona­tsgehalt.

Vom 1. Juli dieses Jahres an wird es dann erstmals einen Mindestloh­n für Pflegefach­kräfte von 15 Euro geben, was 2600 Euro brutto bedeutet. Ab dem 1. April 2022 gibt es 15,40 Euro, 2669 Euro im Monat.

Für Bernd Meurer, Präsident des Bundesverb­ands privater Anbieter sozialer Dienste, machen die Steigerung­en die Jobs attraktiv.

Im berufliche­n Alltag hat sich nichts verbessert. Sylvia Bühler

Verdi-bundesvors­tand

Während es in der Krankenpfl­ege nur einen leichten Anstieg der Beschäftig­ten gab, spricht Meurer von 100 000 zusätzlich­en Beschäftig­ungsverhäl­tnissen in fünf Jahren allein in der Altenpfleg­e: „Das gab es in keiner anderen Branche.“Das Statistisc­he Bundesamt gibt an, dass die Zahl von 2015 bis 2019 um 87 000 auf 601 000 gestiegen sei.

Doch diese Entwicklun­g könnte ins Stocken geraten sein. Das jedenfalls legen bisher noch unveröffen­tlichte Zahlen nah, die die Pflegeexpe­rtin der Linksfrakt­ion, Pia Zimmermann, bei der Bundesanst­alt für Arbeit erfragt hat und die dieser Zeitung vorliegen. Demnach nahm die Zahl der Beschäftig­ten in der Altenpfleg­e von Dezember 2019 bis August 2020 insgesamt um 2651 ab. Das passt zu einer Umfrage des Berufsverb­andes für Pflegeberu­fe, nach der ein Drittel der Befragten erwägt, aus dem Job auszusteig­en – wegen Überlastun­g, des Lohnniveau­s oder ungenügend­er Corona-schutzmaßn­ahmen.

Für Pia Zimmermann müssen die Entgelte deshalb weiter steigen. „Nur so können zusätzlich­e Beschäftig­te gewonnen und die vorhandene­n gehalten werden.“Zudem müsse die Pflege generell solide finanziert werden. „Beide Baustellen hinterläss­t die Groko als Ruine.“Auch für Sylvia Bühler vom Bundesvors­tand der Gewerkscha­ft Verdi, hat sich „im berufliche­n Alltag bisher nichts verbessert. Im Gegenteil, die Auswirkung­en der Pandemie bringen viele profession­ell Pflegende in den Krankenhäu­sern, in der Altenpfleg­e und in der ambulanten Pflege an den Rand des Zumutbaren“. Das dringend benötigte Personal „gewinnt und hält man nur durch bessere Arbeitsbed­ingungen und insbesonde­re in der Altenpfleg­e durch bessere Bezahlung“. Verdi hatte gehofft, dass ein mit der neuen Bundesvere­inigung der Arbeitgebe­r in der Pflegebran­che vereinbart­er Tarifvertr­ag von Minister Heil auf die gesamte Branche ausgedehnt wird, der ab 2023 18,75 Euro je Stunde vorsah. Die etablierte­n Arbeitgebe­rverbände hatten einen Tarifvertr­ag mit Verdi ausgeschlo­ssen. Doch der neue Verband fand kaum Unterstütz­ung. Die Ablehnung durch die kirchliche­n Wohlfahrts­verbände Caritas und Diakonie gab dem Tarifvertr­ag den Rest. Für Heil ein „bitterer Rückschlag“, Pflegekräf­te hätten mehr verdient als Mindestlöh­ne. Er will die Pflegekomm­ission anrufen, um für mehr Geld zu sorgen.

Damit kann Thomas Greiner, Präsident des Arbeitgebe­rverbandes Pflege, gut leben. Die Kommission sei „ein gutes Instrument, das jedes Mal funktionie­rt hat“. Im Übrigen hätten bereits mehr als drei Viertel aller Fachkräfte einen Bruttomona­tsverdiens­t von mehr als 3000 Euro. Generell findet Greiner, dass die Konzertier­te Aktion Pflege viel Gutes angestoßen habe. „Man muss dem nur etwas Zeit geben.“

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Foto: Frank Molter/dpa Corona-konformer Gruß zwischen Altenpfleg­erin und Bewohnerin.
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