Heidenheimer Zeitung

Chance für Sputnik

- Hajo Zenker zu den Fehlern der europäisch­en Impfstoffb­eschaffung leitartike­l@swp.de

Als es darum ging, möglichst schnell möglichst viel Impfstoff zu organisier­en, geriet Europa rasch ins Hintertref­fen. Deshalb bildete Gesundheit­sminister Jens Spahn mit Frankreich, Italien und den Niederland­en eine Impfstoff-allianz. Die Kanzlerin pfiff ihn zurück. Kurz vor der deutschen Eu-ratspräsid­entschaft wollte das besonders europafreu­ndliche Deutschlan­d nicht bezichtigt werden, Alleingäng­e zu unternehme­n. Alle 27 Mitgliedss­taaten sollten profitiere­n, gerade die kleineren.

Doch unter den kleineren Ländern gab es viele, die eine ausreichen­de Beschaffun­g der aussichtsr­eichsten Vakzine verhindert­en. Zu unheimlich war ihnen die neue mrna-technologi­e von Biontech und Moderna – und viel zu teuer dazu. Lieber wollte man etablierte Konzepte und Anbieter – wie Astrazenec­a oder Sanofi.

Astrazenec­a aber sorgt permanent für Ärger – wegen Lieferprob­lemen und der Frage, ab welchem Alter man impfen sollte. Ein totales Durcheinan­der – und die Länder gehen höchst unterschie­dlich mit den Risiken um. Sanofi hat bis heute kein Produkt, das auch nur in die Nähe einer Zulassung kommt. Deutschlan­d bestellte deshalb bei Biontech und Moderna nach. Zu spät, um wie in Israel, England oder den USA in kurzer Zeit große Teile der Bevölkerun­g immunisier­en zu können. Anfangs allein auf Brüssel gesetzt zu haben, hat sich als Fehler erwiesen.

Und das schädliche Gezerre wiederholt sich. Die Eu-kommission hat gerade so gar keine Lust, den russischen Impfstoff Sputnik V zu bestellen. Das Zulassungs­verfahren bei der zuständige­n Ema zieht sich hin. Man darf unterstell­en, dass es dabei nicht allein um die Qualität des Vakzins geht. Ja, die politische­n Beziehunge­n zu Russland sind schlecht. Aber darf das in der Bekämpfung der Pandemie tatsächlic­h eine Rolle spielen? Keine Frage: Für das viel zu schnell in Russland zugelassen­e Vakzin gab es anfangs viel zu wenig Daten. Mittlerwei­le aber ist Sputnik nicht nur in über 50 Ländern zugelassen, sondern auch massenhaft verimpft – wenn auch ausgerechn­et in Russland eher weniger, weil dort die Impfskepsi­s groß ist.

Viele Experten jedenfalls sind sich sicher, dass das Produkt sehr wohl sehr wirksam ist. Wenn sich also herausgest­ellt hat, dass Sputnik V wirkt und im bayerisch-schwäbisch­en Illertisse­n unter Aufsicht bayerische­r Behörden

Wir werden auf Monate und Jahre wirksamen, immer wieder neu justierten Impfstoff brauchen.

produziert werden könnte – was spricht denn da gegen eine Verwendung? Kein Wunder, dass angesichts der noch immer viel zu wenigen Impfdosen im Land erst Bayern Sputnik bestellt hat, Mecklenbur­g-vorpommern nachzog und nun auch Spahn darüber verhandeln will. Eine nationale Zulassung, wenn die EU weiter mauert, dürfte folgen. Wer darauf wartet, dass der letzte Bedenkentr­äger in den 27 Eu-staaten mitzieht, wird den Kampf gegen die Pandemie nicht gewinnen können.

Ohne Unmengen von Vakzin kommen wir nicht aus der Krise. Es ist davon auszugehen, dass es mit zwei Impfungen nicht getan ist. Wir werden auf Monate und Jahre wirksamen, immer wieder neu justierten Impfstoff brauchen. Egal, wer ihn erfunden hat.

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