Pro Schachzug eine Postkarte
Das Brettspiel boomt – auch dank der Corona-pandemie. Doch nur eine kleine Minderheit spielt Fernschach auf dem Postweg.
In der Wohnung von Ludger Heiermann (62) liegen viele Schachbücher verteilt. Immer wieder zieht der Berliner die Fachliteratur zu Rate. Er ist immer auf der Suche nach dem perfekten Zug. In der Corona-pandemie hat er noch mehr Zeit, seiner Leidenschaft, dem Fernschach, zu frönen. Momentan spielt er etwa 100 Partien gleichzeitig gegen Spieler aus aller Welt und verbringt bis zu zwei Stunden täglich mit seinem Hobby. Normalerweise sind es etwa 30 Partien.
Der Betriebswirt Heiermann gehört zu den wenigen Spielern, die ihre Züge zum Teil noch traditionell per Postkarte übermitteln. Pro Zug eine Postkarte, das ist das Prinzip. „Man hat für jeden Zug einige Tage Bedenkzeit. Zeit, die man nicht braucht, kann man ansparen. Ich habe also unglaublich viel Zeit.“
„Die Postkarte ist auch etwas Nostalgie“, sagt Heiermann. Viele andere Spieler seien längst ausschließlich auf elektronische Medien umgestiegen. Auch er spielt auf einem Schachserver. „Außerdem nutze ich für Analysen meiner Spiele auch den Computer“, sagt Heiermann, der seit 42 Jahren
Schach spielt. Durch die lange Bedenkzeit und die zusätzliche Postlaufzeit können Partien und Turniere Jahre dauern.
Postkarten-schachspieler sind inzwischen echte Exoten. „Jungen Menschen fehlt die Ausdauer für jahrelange Partien“, sagt Manfred Scheiba, der Präsident des Deutschen Fernschachbundes, der im August sein 75-jähriges Bestehen feiert.
Streben nach Perfektion
Von den etwa 1500 Mitgliedern nutzten nur noch etwa 80 bis 100 die Postkarte, berichtet Scheiba. „Außerdem ist es auch eine Kostenfrage.“Heiermann. „Wenn ich bei einem Turnier gegen sechs
Ludger Heiermann beim Fernschach auf dem Sofa.
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Gegner spiele und pro Spiel im Schnitt 30 Züge anfallen, kostet das etwa 110 Euro.“
„Spezielle Postkarten für Fernschach haben wir gar nicht mehr im Sortiment“, sagt Christoph Kamp, der Inhaber des Schachversands Niggemann aus Münster. „Das Schachspiel an sich boomt derzeit aber extrem.“
Auch das Gegenteil von Postkarten-schach hat viele Fans. Kamp: „Beliebt ist auch Blitzschach am Computer, bei dem die Spieler nur eine Minute Bedenkzeit haben und instinktiv spielen.“Dafür würden sogar besonders schnelle Laser-mäuse genutzt.
Im Postkartenschach sei an die Stelle des schachsportlichen
Wettstreits früherer Tage heute ein geradezu wissenschaftliches Streben nach der immer perfekteren Schachpartie getreten, sagt Kamp. „Dadurch, dass viel Unterstützung durch Computer und Literatur genutzt wird, gibt es so gut wie keine menschlichen Fehler mehr und viele Partien enden mit einem Remis.“
Heiermann fasziniert der intellektuell-kreative Prozess des Spiels. „Ich lebe das Spiel aus, freue mich, wenn ich gewinne und etwas gelernt habe.“Faszinierend für ihn auch: die Vielfalt. „Von etwa 1500 Partien, die ich bisher gespielt habe, haben sich nur zwei Partien wiederholt.“Um den Überblick zu behalten, notiert er sich stets den Spielverlauf.
Er mag zudem den menschlichen Aspekt: Zu Beginn einer Partie tauscht er mit den Gegnern jeweils einige persönliche Sätze aus. „Momentan spiele ich zum Beispiel gegen einen 80-jährigen Norweger, der sich beklagt hat, dass er ständig verliere“, erzählt Heiermann. Er habe ihm erklärt, dass viele Spieler zur Unterstützung Computer nutzten. Doch der Norweger habe betont, er spiele nur mit dem Herzen.
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